21.11.2024
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Sie sehen drei Hände erschiedener Hautfarbe vor einer Weltkarte.

Dokument-Nr. 5040

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Urteil23.10.2007BundesverwaltungsgerichtBVerwG 1 C 10.07
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BVerwGE 129, 367Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerwGE), Band: 129, Seite: 367
  • DÖV 2008, 329Zeitschrift: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), Jahrgang: 2008, Seite: 329
  • DVBl 2008, 189Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2008, Seite: 189
  • InfAuslR 2008, 116Zeitschrift: Informationsbrief Ausländerrecht (InfAuslR), Jahrgang: 2008, Seite: 116
  • NVwZ 2008, 326Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2008, Seite: 326
  • ZAR 2008, 140Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (ZAR), Jahrgang: 2008, Seite: 140
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ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil23.10.2007

Kein Anspruch auf Rücknahme bestands­kräftiger Ausweisungen von Unionsbürgern

Das Bundes­ver­waltungs­gericht in Leipzig hat entschieden, dass Unionsbürger keinen Anspruch darauf haben, dass rechtswidrige, aber bestandskräftig gewordene Ausweisungen von den Auslän­der­be­hörden aufgehoben werden. Sie haben aber Anspruch auf Befristung des durch die Ausweisung ausgelösten und weiterhin geltenden Einreise- und Aufent­halts­verbots.

Der Kläger, ein italienischer Staats­an­ge­höriger, erstrebt die Aufhebung seiner Ausweisung aus dem Jahr 1998. Er ist im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen. Im Zeitpunkt der Ausweisung lebte er mit einer Deutschen zusammen; die zwei aus dieser Verbindung hervor­ge­gangenen deutschen Kinder waren noch minderjährig. Das beklagte Land Baden-Württemberg hatte den Kläger im Jahr 1998 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen, nachdem dieser mehrfach, insbesondere wegen Eigentums- und Vermö­gens­de­likten, zu Freiheits­s­trafen von insgesamt mehr als drei Jahren verurteilt worden war. Die Auslän­der­behörde war von einer sog. Regel-Ausweisung ausgegangen und hatte kein Ermessen ausgeübt. Der Kläger hatte hiergegen keine Klage erhoben und war nach Bestandskraft der Ausweisung nach Italien abgeschoben worden.

Nach unerlaubter Wiedereinreise in das Bundesgebiet und erneuter Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren u.a. wegen Diebstahls und schwerer räuberischer Erpressung beantragte er im Mai 2004 die Rücknahme der bestands­kräftigen Ausweisung sowie hilfsweise die Befristung ihrer Wirkungen. Diesen Antrag lehnte das Regie­rungs­prä­sidium Stuttgart im September 2004 ab. Es führte im Einzelnen aus, dass die Ausweisung rechtmäßig und deren Rücknahme deshalb ausgeschlossen sei. Eine Befristung komme wegen der vom Kläger nach wie vor ausgehenden hohen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht in Betracht. Die dagegen gerichtete Klage hatte vor dem Verwal­tungs­ge­richtshof Mannheim teilweise Erfolg. Der Verwal­tungs­ge­richtshof hielt die Ausweisung für rechtswidrig, weil sie wegen der gemein­schafts­recht­lichen Freizü­gig­keits­be­rech­tigung des Klägers nicht ohne eine einzel­fa­ll­be­zogene Ermes­sens­ausübung hätte ergehen dürfen. Da die Auslän­der­behörde dies bei ihrer Entscheidung über die Rücknahme der Ausweisung verkannt habe, müsse sie eine neue Ermes­sen­s­ent­scheidung über die Rücknahme treffen. Einen zwingenden Anspruch auf Rücknahme der rechtswidrigen Ausweisung habe der Kläger dagegen nicht. Zu dem Befris­tungs­antrag hielt der Verwal­tungs­ge­richtshof eine Entscheidung nicht für erforderlich.

Auf die Revisionen des Klägers und des beklagten Landes hat der 1. Senat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts das Berufungsurteil hinsichtlich der Rücknahme der Ausweisung im Ergebnis bestätigt. Er hält die wegen des Bescheids vom September 2004 zur Überprüfung anstehende Ausweisung aus dem Jahre 1998 - unabhängig von Gemein­schaftsrecht - für rechtswidrig. Denn der Kläger hätte schon wegen seiner Verwurzelung im Bundesgebiet nur im Ermessenswege ausgewiesen werden dürfen. Der Senat hat seine Rechtsprechung anlässlich neuerer Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts dahingehend weiter­ent­wickelt, dass bei Regel-Ausweisungen ein zur Ausübung von Ermessen führender Ausnahmefall dann anzunehmen ist, wenn höherrangiges Recht unter Berück­sich­tigung der Gesamtumstände des Falles eine Einzel­fa­ll­wür­digung gebietet. Beim Kläger lagen diese Voraussetzungen vor, weil er als Unionsbürger im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen war und im Zeitpunkt der Ausweisung mit einer Deutschen und den gemeinsamen Kindern zusammenlebte. Demzufolge war die Ausweisung rechtswidrig. Da die Behörde ihr Rücknah­me­er­messen nicht ausgeübt hat, muss sie über die Rücknahme erneut entscheiden; ihre Revision blieb deshalb erfolglos.

Auf der anderen Seite hat der Kläger - wie das Berufungs­gericht zutreffend entschieden hat - keinen Anspruch darauf, dass die rechtswidrige Ausweisung von der Auslän­der­behörde in jedem Fall aufgehoben wird. Die Aufrecht­er­haltung der Ausweisung erweist sich trotz ihrer Rechts­wid­rigkeit nicht als "schlechthin unerträglich", so dass bei der Ausübung des Rücknah­me­er­messens dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kein größeres Gewicht zukommt als dem Prinzip der Rechts­si­cherheit. Insoweit hatte die Revision des Klägers keinen Erfolg. Auf seine Revision wurde die Sache aber wegen des hilfsweise gestellten Befris­tungs­antrags an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen. Über diesen Hilfsantrag hätte der Verwal­tungs­ge­richtshof bei sachdienlicher Auslegung des Klageantrags entscheiden müssen, da der Kläger mit seinem Hauptantrag nur teilweise Erfolg gehabt hat. Diese Prüfung wird er nun nachholen müssen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 65/07 des BVerwG vom 23.10.2007

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