21.11.2024
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Dokument-Nr. 30110

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Bundesverwaltungsgericht Beschluss13.03.2021

BVerfG-Vorlage zur Verfassungs­mäßigkeit der Anrechnung ausländischer Zahlungen auf die ConterganrenteBVerwG hält Anrechnung für gleich­heits­widrig

Die Regelung des Contergan­stiftungs­gesetzes (ContStifG), wonach auf die nach diesem Gesetz zu gewährende Kapital­entschädigung und Conterganrente Zahlungen angerechnet werden, die wegen der Einnahme thali­do­mid­haltiger Präparate von Anderen, insbesondere von ausländischen Staaten, geleistet werden (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG) verstößt nach Überzeugung des Bundes­verwaltungs­gerichts gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) und die Eigen­tums­ga­rantie (Art. 14 Abs. 1 GG). Das Bundes­verwaltungs­gericht in Leipzig hat deshalb beschlossen, dem Bundes­verfassungs­gericht die Frage der Vereinbarkeit der Anrech­nungs­re­gelung mit den genannten Bestimmungen des Grundgesetzes zur Entscheidung vorzulegen.

Der 1962 geborene Kläger lebt in der Republik Irland, deren Staats­an­ge­höriger er ist. Er hat verschiedene körperliche Schädigungen erlitten, weil seine Mutter während der Schwangerschaft ein thali­do­mid­haltiges Präparat der G. GmbH eingenommen hatte. Seit Oktober 1972 bezieht er deshalb u.a. laufende monatliche Geldzahlungen (Conterganrente) nach dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" (Stiftungsgesetz), das durch das Conter­gan­stif­tungs­gesetz abgelöst wurde. Seit Januar 2013 betrug diese 3 686 Euro. Außerdem erhält er wegen seiner thali­do­mid­be­dingten Schädigungen vom irischen Staat monatlich 1 109 Euro. Diesen Betrag rechnet die beklagte Stiftung seit August 2013 unter Verweis auf § 15 Abs. 2 Satz 2 ContStifG an und zieht ihn von der dem Kläger zustehenden Conterganrente ab.

BVerwG: Anrech­nungs­reg­lungen stellen Verstoß gegen den Gleichheitssatz dar

Durch das Stiftungsgesetz waren die privat­recht­lichen Haftungs­ansprüche der Geschädigten aus einem 1970 geschlossenen Vergleich mit der Firma Grünenthal in Ansprüche gegen die öffentlich-rechtliche Stiftung umgewandelt worden. Von den über 2 500 Leistungs­emp­fängern lebt etwa ein Zehntel im Ausland. Davon erhält nur ein Teil allein an die Thali­do­mid­schä­digung anknüpfende Leistungen des jeweiligen ausländischen Staates. Die gegen die Anrechnung gerichtete Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Die Anrech­nungs­re­gelung, die nach ihrer rechtlichen Zielsetzung Zahlungen ausländischer Staaten erfasst und in ihren tatsächlichen Auswirkungen allein den Teil der ausländischen Geschädigten betrifft, der solche Leistungen bezieht, verstößt nach Überzeugung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Besserstellung ausländischer Geschädigter nicht sachgerecht belegt

Die Ungleich­be­handlung, die darin liegt, dass die genannte Personengruppe die Conterganrente nur in verminderter Höhe erhält, ist sachlich nicht gerechtfertigt, weil sie unver­hält­nismäßig ist. Erklärtes gesetz­ge­be­risches Ziel der Anrechnung ist die Vermeidung von Besser­stel­lungen durch Doppel­leis­tungen derjenigen ausländischen Berechtigten, die wegen der Einnahme von thali­do­mid­haltigen Präparaten neben der Conterganrente Zahlungen von Anderen erhalten. Hierzu ist die Anrechnung jedoch weder geeignet noch angemessen, weil bereits nicht erkennbar ist, dass sie dieses Ziel erreichen kann. Sie berücksichtigt nicht Art und Umfang der den Betroffenen in den unter­schied­lichen Staaten gewährten allgemeinen Sozia­l­leis­tungen, ohne die die Gesamtsituation der Betroffenen nicht beurteilt und deshalb eine "Besserstellung" der ausländischen Geschädigten durch Leistungen Anderer nicht sachgerecht belegt werden kann.

Conterganrente und die Leistungen der ausländischen Staaten nicht vergleichbar

Zudem sind die Conterganrente und die Leistungen der ausländischen Staaten nicht vergleichbar, weil sie unter­schiedliche Zwecke verfolgen und sich deshalb kategorial unterscheiden. Während die Conterganrente die ursprünglich wegen der Einnahme thali­do­mid­haltiger Präparate bestehenden privat­recht­lichen Haftungs­ansprüche fortführt, fehlt ein solcher Zusammenhang bei den allein aus Fürsorgegründen erbrachten Zahlungen ausländischer Staaten, die gerade nicht aufgrund einer staatlich übernommenen haftungs­recht­lichen Verant­wort­lichkeit gewährt werden.

Anrech­nungs­re­gelung verstößt auch gegen Eigen­tums­ga­rantie

Zudem verstößt die Anrech­nungs­re­gelung gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG). Ansprüche nach dem Conter­gan­stif­tungs­gesetz genießen nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts schon im Hinblick auf ihren Entste­hungsgrund den Schutz der Eigen­tums­ga­rantie. Die Anrech­nungs­re­gelung stellt eine unzulässige, weil jedenfalls nicht gleich­heits­ge­rechte Inhalts- und Schran­ken­be­stimmung des Eigentums dar. Weil das Bundes­ver­wal­tungs­gericht als Fachgericht nicht befugt ist, die Verfas­sungs­wid­rigkeit eines Parla­ments­ge­setzes selbst festzustellen, hat es das Verfahren ausgesetzt und die Frage dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Entscheidung vorgelegt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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