23.11.2024
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Dokument-Nr. 33436

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Bundesverwaltungsgericht Urteil07.11.2023

Keine Erlaubnis für den Erwerb des Betäu­bungs­mittels Natrium-Pentobarbital zum Zweck der SelbsttötungEingriff in Selbst­bestimmungs­recht gerechtfertigt

Die im Betäubung­smittel­gesetz (BtMG) vorgesehene Versagung einer Erlaubnis für den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ist angesichts der Möglichkeiten, das eigene Leben medizinisch begleitet mit anderen Mitteln zu beenden, mit dem durch das Grundgesetz geschützten Recht auf selbst­be­stimmtes Sterben vereinbar. Das hat das Bundes­verwaltungs­gericht entschieden.

Die Kläger leiden an schweren Erkrankungen. Ihre Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis für den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung lehnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ab. Die dagegen gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen keinen Erfolg.

BVerwG verweist auf andere Möglichkeiten zur Verwirklichung des Sterbewunsches

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Revisionen der Kläger zurückgewiesen. Das Berufungs­gericht hat im Einklang mit Bundesrecht entschieden, dass die beantragte Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zu versagen ist. Der Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ist grundsätzlich nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Medizinische Versorgung im Sinne der Vorschrift meint die Anwendung eines Betäu­bungs­mittels zur Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden. Eine solche therapeutische Zielrichtung hat die Beendigung des eigenen Lebens grundsätzlich nicht. Die Versagung der Erlaubnis verletzt die Kläger nicht in ihren Grundrechten. Zwar greift der Erlaub­nis­vor­behalt für den Erwerb von Betäu­bungs­mitteln (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) in Verbindung mit der zwingenden Versagung einer solchen Erlaubnis für den Erwerb zum Zweck der Selbsttötung (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG) in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht des Einzelnen ein, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden. Dieses Recht ist, wie das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden hat, nicht auf schwere oder unheilbare Krank­heits­zu­stände oder bestimmte Lebens- und Krank­heits­phasen beschränkt und bedarf keiner Begründung oder Rechtfertigung. Im Ausgangspunkt geschützt ist damit nicht nur die Freiheit des Einzelnen, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er sein Leben beenden möchte, sondern auch, wann und wie das geschehen soll. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG schränkt diese Freiheit ein. Menschen, die freive­r­ant­wortlich entschieden haben, sich mithilfe von Natrium-Pentobarbital töten zu wollen, können ihren Entschluss ohne Zugang zu diesem Betäubungsmittel nicht in der gewünschten Weise umsetzen. Der Grundrechtseingriff ist aber gerechtfertigt. Das Betäu­bungs­mit­tel­gesetz verfolgt mit dem generellen Verbot, Betäu­bungs­mittel zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, u. a. das legitime Ziel, Miss- und Fehlgebrauch von tödlich wirkenden Betäu­bungs­mitteln zu verhindern. Die Verbotsregelung ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich. Sie ist auch angemessen, weil der mit ihr verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Grund­recht­s­ein­griffs stehen; für Menschen, die selbstbestimmt entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, gibt es andere zumutbare Möglichkeiten zur Verwirklichung ihres Sterbewunsches.

Gefährlichkeit rechtfertigt Einschränkung

Das BVerwG verweist auf die verbindliche Feststellung des OVG, danach besteht für Sterbewillige die realistische Möglichkeit, über eine Ärztin oder einen Arzt Zugang zu (verschrei­bungs­pflichtigen) Arzneimitteln zu erhalten, mit denen eine Selbsttötung durchgeführt werden kann. Diese Alternativen sind für die Sterbewilligen mit Belastungen verbunden. Sie müssen eine ärztliche Person finden, die bereit ist, die notwendige pharma­ko­lo­gische und medizinische Unterstützung zu leisten. Erschwernisse für die Sterbewilligen ergeben sich bei der oralen Anwendung der Arzneimittel, weil eine größere Menge eingenommen werden muss als bei der Lebens­be­en­digung mit Natrium- Pentobarbital. Das kann für Sterbewillige mit Schluck­be­schwerden schwierig sein und erhöht das Risiko von Komplikationen. Es besteht auch die Möglichkeit, ein Arzneimittel intravenös einzusetzen, das hinsichtlich Wirkweise und Risiken keine wesentlichen Unterschiede zu Natrium-Pentobarbital aufweist. Das erfordert aber eine fachkundige medizinische Begleitung und belastet damit Sterbewillige, die - wie die Kläger - eine solche Begleitung nicht wünschen.

Auch kein Anspruch unter dem Gesichtspunkt einer extremen Notlage

Diesen Belastungen der Sterbewilligen stehen wichtige Gemein­wohl­belange gegenüber, die durch die Nichteröffnung des Zugangs zu Natrium- Pentobarbital geschützt werden. Die Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung durch Miss- oder Fehlgebrauch des Mittels sind angesichts seiner tödlichen Wirkung und der einfachen Anwendbarkeit besonders groß und wiegen schwer. Diese besonderen Gefahren sind die Kehrseite der dargelegten Vorzüge des Mittels für die Sterbewilligen. Schließlich ergibt sich ein Anspruch auf die beantragte Erwer­b­s­er­laubnis auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt einer extremen Notlage im Sinne des Urteils des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts von 2017. Die Voraussetzungen einer solchen Notlage liegen bei den Klägern schon deshalb nicht vor, weil eine zumutbare Alternative zur Selbsttötung mit Natrium-Pentobarbital nach den verbindlichen Feststellungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts auch für sie besteht. Sollte für einen der Kläger aufgrund seiner krank­heits­be­dingten Schluck­be­schwerden nur ein intravenös anwendbares Arzneimittel in Betracht kommen, ergibt sich nichts Anderes. Das OVG hat dargelegt, dass dieser vom Schultergürtel abwärts gelähmte Kläger das Mittel mithilfe eines Infusi­ons­au­tomaten anwenden könnte, den er selbst steuert.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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