23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss16.05.2007

BVerfG zu verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben im straf­recht­lichen Wieder­auf­nah­me­ver­fahrenWieder­auf­nah­me­gericht darf nicht Beweise würdigen oder Feststellungen treffen, die einer Haupt­ver­handlung vorbehalten sind

Ein wegen Mordes und Totschlages zu einer lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter hat erfolgreich eine Verfas­sungs­be­schwerde erhoben. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat in dieser Entscheidung Vorgaben zum straf­recht­lichen Wieder­auf­nah­me­ver­fahren gemacht und führt aus, dass es dem Wieder­auf­nah­me­gericht verfas­sungs­rechtlich verwehrt ist, im Wege der Eignungsprüfung Beweise zu würdigen und Feststellungen zu treffen, die nach der Struktur des Strafprozesses der Haupt­ver­handlung vorbehalten sind. Für die Feststellung straf­recht­licher Schuld steht nach dem Willen des Gesetzgebers allein die Haupt­ver­handlung zur Verfügung.

Im Jahr 2005 beantragte der Beschwer­de­führer die Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Unter Hinweis auf ein rechts­me­di­zi­nisches und ein krimi­nal­bio­lo­gisches Gutachten behauptete der Beschwer­de­führer, dass nicht bereits der erste, sondern erst der dritte Schuss das Opfer in den Rücken getroffen habe. Zu diesem Zeitpunkt sei das Opfer nicht mehr arglos gewesen. Das Landgericht und das Oberlan­des­gericht Köln verwarfen den Wieder­auf­nah­meantrag als unbegründet. Dabei stellte das Oberlan­des­gericht bezüglich der Reihenfolge des Schusswechsels Erwägungen über mögliche alternative Gesche­hens­a­bläufe an und kam zu dem Ergebnis, dass auch unter Berück­sich­tigung solcher Abläufe der Schusswechsel wie vom Schwurgericht angenommen erfolgt sei.

Die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hob die Entscheidungen des Landgerichts und des Oberlan­des­ge­richts auf, da sie das Recht des Beschwer­de­führers auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verletzen. Die Sache wurde an das Landgericht zur erneuten Entscheidung über den Wieder­auf­nah­meantrag zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Dem Wieder­auf­nah­me­gericht ist es verfas­sungs­rechtlich verwehrt, im Wege der Eignungsprüfung Beweise zu würdigen und Feststellungen zu treffen, die nach der Struktur des Strafprozesses der Haupt­ver­handlung vorbehalten sind. Für die Feststellung straf­recht­licher Schuld steht nach dem Willen des Gesetzgebers allein die Haupt­ver­handlung zur Verfügung. Sie ist von Rechts wegen so ausgestaltet, dass sie die größtmögliche Gewähr sowohl für die Erforschung der Wahrheit wie für die bestmögliche Verteidigung des Angeklagten bietet. Der Angeklagte kann dort Beweisanträge stellen, Zeugen befragen und sonst auf Gang und Ergebnis des Verfahrens in dem näher geregelten Maße Einfluss nehmen. Diese Möglichkeiten sind ihm abgeschnitten, wenn die in der Haupt­ver­handlung getroffene, jedoch unhaltbar gewordene oder ernstlich in Frage gestellte, Feststellung einer wesentlichen, den Schuldspruch begründenden Tatsache im Nachhinein durch eine andere ersetzt wird, die ohne Haupt­ver­handlung ermittelt wurde. Dies verbietet es, ohne erneute Haupt­ver­handlung, den festgestellten unmittelbaren Tatverlauf in einer Kernfrage der Beweisaufnahme durch einen anderen zu ersetzen oder eine Erschütterung der betreffenden Feststellungen unter Verweis auf denkbare alternative Verläufe für unmaßgeblich zu erklären. Dies hat das Oberlan­des­gericht jedoch bezüglich der vom Schwurgericht festgestellten Drehung des Opfers getan, indem es Erwägungen über mögliche alternative Gesche­hens­a­bläufe angestellt hat. Dadurch hat das Oberlan­des­gericht dem Beschwer­de­führer die Möglichkeit genommen, auf den Prozess der Wahrheits­findung in einer wesentlichen Frage angemessen einzuwirken.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 61/07 des BVerfG vom 05.06.2007

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