15.11.2024
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Dokument-Nr. 3893

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Bundesverfassungsgericht Urteil06.03.2007

Großstadt-Beamte erhalten keine Zulagen für höhere Lebens­hal­tungs­kosten in BallungsräumenBundes­ver­fas­sungs­gericht weist Verfas­sungs­be­schwerde ab

Beamte, die in Ballungsräumen tätig sind und dort höhere Lebens­hal­tungs­kosten als ihre Kollegen auf dem Land haben, haben keinen Anspruch auf eine "Ballungs­raum­zulage". Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht wies die Verfas­sungs­be­schwerde eines 51-jährigen Münchener Krimi­na­l­haupt­kom­missars ab.

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Verfas­sungs­be­schwerde eines Beamten, der die Gewährung einer „Ballungs­raum­zulage“ zum Ausgleich der erhöhten Lebens­hal­tungs­kosten in München begehrt, zurückgewiesen. Weder das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip noch der Leistungs­grundsatz verpflichteten den Besoldungsgeber in der gegenwärtigen Lage, erhöhten Lebens­hal­tungs­kosten in München durch einen spezifischen Ausgleich Rechnung zu tragen.

Rechtlicher Hintergrund Sachverhalt:

Die gegenwärtige Beamten­be­soldung sieht eine Regelung zum Ausgleich erhöhter Lebens­hal­tungs­kosten nur für im Ausland verwendete Beamte vor. Erhöhte Lebens­hal­tungs­kosten im Inland dagegen werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Lediglich im Freistaat Bayern besteht seit dem Jahr 1990 eine Rechtsgrundlage, um Beamten und Richtern mit dienstlichem Wohnsitz in München eine „ergänzende Fürsor­ge­leistung“ zum Ausgleich der erhöhten Lebens­hal­tungs­kosten zu gewähren. Der Ausgleich der örtlichen Mehrkosten beträgt 75 Euro im Monat. Hinzu kommt ein monatlicher Zuschlag von 20 Euro pro Kind. Der Zuschlag wird nur Beamten oder Richtern mit einem Grundgehalt bis zu 2.722, 29 Euro (brutto) monatlich gewährt. Für Beamte oder Richter, deren Besol­dungs­niveau die Kappungsgrenze übersteigt, sieht das Landesrecht des Freistaats Bayern eine Regelung zum Ausgleich erhöhter Lebens­hal­tungs­kosten nicht vor. Die Regelung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2009 außer Kraft.

Der Beschwer­de­führer steht als Erster Krimi­na­l­haupt­kom­missar (BesGr A 13) mit Dienstort München im Dienst des Freistaats Bayern. Er ist geschieden und Vater von drei Kindern. Die beiden älteren Kinder leben in seinem Haushalt, für das bei der Mutter wohnende jüngste Kind leistet er einen monatlichen Barunterhalt von gegenwärtig 400 Euro. Der Beschwer­de­führer stammt aus Bayreuth. Da ihm in München die Möglichkeit eines Laufbahn­wechsels vom mittleren Dienst in den gehobenen Dienst eröffnet worden war, wechselte er im Jahr 1985 von Bayreuth nach München. Seine Beförderung in ein Amt der Besol­dungs­gruppe A 11 erfolgte im Jahr 1992, nach A 12 wurde er im Jahr 1999 befördert, und die gegenwärtige Besol­dungs­gruppe A 13 erreichte er im Jahr 2003.

Im Dezember 2000 beantragte der Beschwer­de­führer im Hinblick auf die hohen Lebens­hal­tungs­kosten im Ballungsraum München die Gewährung einer höheren Besoldung. Mit der Beförderung in ein Amt der Besol­dungs­gruppe A 11 im Jahr 1992 habe er die Anspruchs­vor­aus­set­zungen für die „Ballungs­raum­zulage“ verloren. Da seine Besoldung seitdem keine regionale Komponente mehr enthalte, könne die Alimentierung nicht mehr als amtsangemessen bewertet werden. Die Bezügestelle lehnte den Antrag ab, da es an einer gesetzlichen Grundlage für die begehrte Leistung fehle. Hiergegen erhobene Rechtmittel blieben vor den Verwal­tungs­ge­richten ohne Erfolg.

Der Beschwer­de­führer ist der Auffassung, die Nicht­be­rück­sich­tigung der höheren Lebens­hal­tungs­kosten im Ballungsraum München verletze den Alimen­ta­ti­o­ns­grundsatz und damit Art. 33 Abs. 5 GG. Angesichts der exorbitant hohen Lebens­hal­tungs­kosten in München werde er nicht mehr angemessen im Sinne seines Amtes nach der Besol­dungs­gruppe A 13 alimentiert. Unabhängig davon erweise sich das Fehlen einer Ortszulage für Beamte ab der Besol­dungs­gruppe A 11 auch deshalb als verfas­sungs­widrig, weil hierdurch Amtsun­ter­schiede nivelliert würden und so dem Leistungs­grundsatz nicht mehr angemessen Rechnung getragen werde. Eine Beförderung in die Besol­dungs­gruppe A 11 mit einhergehender Versetzung in den Ballungsraum München könne in finanzieller Hinsicht sogar eine Herabstufung bewirken. Eine Ausweich­mög­lichkeit bestehe schon wegen der in Bayern geltenden Residenzpflicht für Beamte nicht. Aus der Kaufkraftstudie des bayerischen Wirtschafts­mi­nis­teriums ergebe sich eine Abweichung der Gesamt­le­bens­hal­tungs­kosten in München vom Durchschnitt der übrigen bayerischen Gebiete um 23, 4 %. Dieser Kaufkraft­verlust werde durch das von privaten Arbeitgebern gewährte Lohnniveau ausgeglichen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Es existiert kein hergebrachter Grundsatz des Berufs­be­am­tentums, der den Gesetzgeber verpflichtete, bei der Festsetzung der Bezüge einen spezifischen Ausgleich für regional erhöhte Lebens­hal­tungs­kosten zu gewähren. Geschützt sind nur diejenigen Regelungen, die das Bild des Beamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägen, so dass ihre Beseitigung auch das Wesen des Beamtentums antasten würde. Zu diesem Kernbestand von Struk­tur­prin­zipien gehören unter anderem das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip und der Leistungs­grundsatz. Dem Ortszu­la­gen­system der Beamten­be­soldung kommt dagegen kein in diesem Sinne wesensprägender Charakter zu. Bei der Ausgestaltung der Zulagen zur Beamten­be­soldung handelt es sich um eine Detailregelung, die keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweist. Für diese sind vielmehr die Nettobezüge maßgeblich, mithin das, was sich der Beamte von seinem Gehalt tatsächlich leisten kann. Hierfür ist nicht entscheidend, ob die Bezüge aus dem Grundgehalt, aus Grundgehalt und Ortszulage oder aus anderen Komponenten bestehen. Sieht der Gesetzgeber keinen gesonderten Ausgleich für die örtlich bedingten Lebens­hal­tungs­kosten vor, so kann dies im Hinblick auf die hergebrachten Grundsätze des Berufs­be­am­tentums nicht missbilligt werden, wenn sich die Bezüge gleichwohl auch in Ballungsräumen noch als angemessen erweisen und damit der Alimen­tie­rungs­pflicht Rechnung getragen wird.

II. Der Besol­dungs­ge­setzgeber ist durch das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip gegenwärtig nicht verpflichtet, erhöhte Lebens­hal­tungs­kosten in München durch einen spezifischen Ausgleich abzufedern.

Das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip gehört zu den verfas­sungs­rechtlich gewährleisteten Grundsätzen des Berufs­be­am­tentums. Der Beamte muss über ein Nettoeinkommen verfügen, das seine rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit gewährleistet und ihm über die Befriedigung der Grund­be­dürfnisse hinaus einen seinem Amt angemessenen Lebenskomfort ermöglicht. Die wirtschaft­lichen und finanziellen Verhältnisse unterscheiden sich regional teilweise erheblich, so dass unter­schiedliche Nettobeträge erforderlich sein können, damit die Beamten in der Lage sind, sich in der Lebens­wirk­lichkeit annähernd das Gleiche zu leisten. Es verletzt das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip daher nicht, wenn bei der Bemessung der Bezüge von Beamten, die das gleiche Amt innehaben, an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufungen vorgesehen werden, sofern sich solche regionalen Unter­schei­dungen nach Anlass und Ausmaß der Differenzierung vor dem Gleichheitssatz rechtfertigen lassen. Welche Alimentation angemessen ist, bedarf allerdings der Konkretisierung durch den Gesetzgeber und ist von den jeweiligen Verhältnissen abhängig.

Es ist nicht zu beanstanden, dass es der Gesetzgeber unterlassen hat, einen spezifischen Ausgleich für in Ballungsräumen erhöhte Lebens­hal­tungs­kosten vorzusehen. Die in bestimmten Ballungsräumen vergleichsweise hohen Preise spiegeln die dortige Lebensqualität wider. Sie bringen unter anderem zum Ausdruck, dass ein Leben in dem betreffenden Standort von einer Vielzahl von Menschen als attraktiv bewertet wird. Zwar trifft es zu, dass Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen von Teilen dessen, was die Attraktivität des Lebens an Orten mit hohem Preisniveau ausmacht, gerade aus Kostengründen nicht oder nur eingeschränkt profitieren können. Auch wenn berücksichtigt wird, dass etwa Teile des kulturellen Angebots, gehobene Einkaufs­mög­lich­keiten und innerstädtische Wohnungen nur von Personen mit höherem Einkommen intensiv oder überhaupt genutzt werden können, ist die Einschätzung nicht offensichtlich verfehlt, dass auch für Bezieher niedrigerer Einkommen den höheren Lebens­hal­tungs­kosten Vorteile gegenüberstehen, die dagegen sprechen, die geringere Kaufkraft des Beamtengehalts in diesen Räumen ohne weiteres mit einem entsprechend geringeren Lebensstandard gleichzusetzen. Als Beispiele seien nur die in Ballungsräumen reichhaltigeren Bildungs­an­gebote und medizinischen Versor­gungs­mög­lich­keiten, vielfältigere Freizeit- und Unter­hal­tungs­an­gebote auch in den niedrigeren Preissegmenten oder ortsspezifische Vorteile wie die Nähe zu attraktiven Erholungs­ge­bieten genannt. Hinzu kommt, dass für die Amtsan­ge­mes­senheit der Besoldung eines Beamten nicht allein der Vergleich zum Lebensstandard von Beamten in kosten­güns­tigeren Regionen ausschlaggebend ist. Die Amtsan­ge­mes­senheit der Alimentation des Beamten bestimmt sich auch durch ihr Verhältnis zu den Einkommen, die für vergleichbare und auf der Grundlage vergleichbarer Ausbildung erbrachte Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielt werden. Es ist indes nicht dargetan, dass Beamte wie der Beschwer­de­führer gegenüber vergleichbaren Erwerbstätigen außerhalb des öffentlichen Dienstes in einem Umfang benachteiligt würden, dass deshalb die Alimentation in München und Umgebung nicht mehr als „standesgemäß“ angesehen werden könnte.

Es ist allerdings Aufgabe des Gesetzgebers, die tatsächliche Entwicklung der Lebens­hal­tungs­kosten auf relevante Unterschiede zwischen Stadt und Land zu beobachten, um möglichen Verstößen gegen den Alimen­ta­ti­o­ns­grundsatz angemessen begegnen zu können.

III. Eine Handlungs­pflicht des Gesetzgebers ergibt sich auch nicht aus dem Leistungs­grundsatz. Da die Bezüge so zu bemessen sind, dass sie dem Beamten eine Lebenshaltung ermöglichen, die der Bedeutung seines jeweiligen Amtes entspricht, muss sich die Stufung der Ämter auch in der Realität wieder finden. Dies besagt aber nicht, dass die realen Lebens­ver­hältnisse eines Beamten der Besol­dungs­gruppe A 13 in München mit denen eines Beamten der Besol­dungs­gruppe A 12 oder A 11 an einem anderen Ort zu vergleichen wären. Einem Vergleich zugänglich sind insoweit allein die Beamten der verschiedenen Besol­dungs­gruppen am selben Ort. Der Gesetzgeber geht zulässigerweise davon aus, dass die Beamten den unter­schied­lichen Lebens­ver­hält­nissen in München und an Orten außerhalb dieses Ballungsraums durch entsprechende Lebens­ge­staltung Rechnung tragen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilungen des Bundesverfassungsgerichts

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