Bundesverfassungsgericht Beschluss12.01.1971
BVerfG: Widerruf einer Begnadigung unterliegt gerichtlicher NachprüfungGewährte Freiheit kann ohne gerichtliche Kontrolle nicht wieder entzogen werden
Wird die Begnadigung eines Straftäters widerrufen, so unterliegt dieser Widerruf der gerichtlichen Nachprüfung. Es gilt daher die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Eine gewährte Freiheit kann ohne gerichtliche Kontrolle nicht wieder entzogen werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im September 1968 kam ein verurteilter Straftäter in den Genuss einer Begnadigung durch das Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg. Die Restfreiheitsstrafe von 61 Tagen wurde zur Bewährung ausgesetzt. Nachfolgend wurde die Begnadigung aber wegen schlechter Lebensführung widerrufen. Dem Straftäter wurde vorgeworfen nicht regelmäßig gearbeitet, erhebliche Schulden gemacht und keinen Unterhalt für seine Familie gezahlt zu haben. Der Straftäter war damit nicht einverstanden und klagte gegen den Widerruf.
Oberlandesgericht hielt Klage für unzulässig
Das Oberlandesgericht Stuttgart hielt die Klage des Straftäters für unzulässig. Da nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.04.1969 - 2 BvR 552/63 - weder positive noch negative Gnadenentscheidungen einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen, müsse dies ebenfalls für den Widerruf eines Gnadenaktes gelten. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Verfassungsbeschwerde des Straftäters. Seiner Meinung nach dürfe eine einmal gewährte Begnadigung nicht unkontrollierbar widerrufen werden.
Bundesverfassungsgericht bejaht Anspruch auf gerichtliche Kontrolle des Widerrufs
Das Bundesverfassungsgericht entschied zu Gunsten des Straftäters und hob daher die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf. Der Widerruf eines Gnadenaktes unterliege der gerichtlichen Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 GG. Es sei zu beachten, dass durch eine gnadenweise Strafaussetzung auf Bewährung dem Verurteilten Freiheitsrechte eingeräumt werden. Auf deren Wahrung dürfe er sich grundsätzlich verlassen. Die Exekutive sei durch ihre Gnadenentscheidung gebunden. Der dem Verurteilten gewährten Freiheitsraum unterliege somit nicht mehr ihrer freien Verfügung.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 03.02.2017
Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (vt/rb)