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25.01.2025  
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Bundesverfassungsgericht Beschluss06.07.2010

Mangold-Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellt keine verfas­sungs­rechtlich zu beanstandende Kompe­tenz­über­schreitung darRegelung zur Befristung Arbeits­ver­trägen verstößt gegen Verbot der Alters­dis­kri­mi­nierung

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass das so genannte Mangold-Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Befristung von Arbeits­ver­trägen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Die Beschwer­de­führerin ist ein Unternehmen der Automo­bil­zu­lie­ferung, das im Februar 2003 mehrere befristete Arbeitsverträge mit zuvor arbeitslosen Personen schloss, ohne für die Befristung einen sachlichen Grund zu haben. Nach der damals geltenden Fassung von § 14 Abs. 3 Satz 4 des Teilzeit- und Befris­tungs­ge­setzes (TzBfG) konnte von dem Grundsatz, dass es zur Begründung befristeter Arbeits­ver­hältnisse eines sachlichen Grundes bedarf, abgewichen werden, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des Arbeits­ver­hält­nisses das 52. Lebensjahr bereits vollendet hatte.

Beschwer­de­führerin macht Unwirksamkeit der Befristung des Arbeitsvertrags geltend

Der Kläger des Ausgangs­ver­fahrens, der von der Beschwer­de­führerin auf dieser Grundlage eingestellt worden war, machte später gegenüber der Beschwer­de­führerin die Unwirksamkeit der Befristung seines Arbeitsvertrags geltend. Sein Begehren auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeits­ver­hält­nisses und auf Weiter­be­schäf­tigung hatte vor dem Bundes­a­r­beits­gericht Erfolg.

BAG beruft sich auf Mangold-Urteil des EuGH

Das Bundes­a­r­beits­gericht stellte fest, dass das Arbeits­ver­hältnis zwischen den Parteien nicht durch Befristung geendet habe. Nationale Gerichte dürften § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG nicht anwenden, weil sie insoweit an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2005 in der Rechtssache Mangold gebunden seien. Danach sei eine nationale Regelung wie § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG mit der Antidis­kri­mi­nie­rungs­richtlinie 2000/78/EG und dem allgemeinen Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung unvereinbar. Da das Urteil des Europäischen Gerichtshofs unmiss­ver­ständlich sei, bedürfe es keiner erneuten Vorlage. Obwohl die im Streit stehende Befris­tungs­abrede vor dem Mangold-Urteil getroffen wurde, lehnte das Bundes­a­r­beits­gericht es ab, § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG aus Gründen des gemein­schafts­recht­lichen oder nationalen Vertrau­ens­schutzes anzuwenden.

Beschwer­de­führerin sieht sich in ihrer Vertrags­freiheit verletzt

Die Beschwer­de­führerin sieht sich durch das Urteil des Bundes­a­r­beits­ge­richts in ihrer Vertrags­freiheit und in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Eine Verletzung ihrer Vertrags­freiheit macht sie aus zwei unter­schied­lichen Blickwinkeln geltend. Sie ergebe sich zunächst daraus, dass das Bundes­a­r­beits­gericht sich maßgeblich auf das Mangold-Urteil des Europäischen Gerichtshofs gestützt habe, mit welchem dieser seine Kompetenzen in mehrfacher Hinsicht überschritten habe. Eine Verletzung ihrer Vertrags­freiheit folgt nach Ansicht der Beschwer­de­führerin des Weiteren daraus, dass das Bundes­a­r­beits­gericht keinen hinreichenden Vertrau­ens­schutz gewährt habe. Schließlich hätte das Bundes­a­r­beits­gericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorlegen müssen, ob nicht Grundsätze des gemein­schafts­recht­lichen oder des nationalen Vertrau­ens­schutzes eine zeitliche Einschränkung des Mangold-Urteils geböten.

Verfas­sungs­be­schwerde zurückgewiesen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde zurückgewiesen. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Gründe mit 6:2 Stimmen und im Ergebnis mit 7:1 Stimmen ergangen. Der Richter Landau hat der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.

Beschwer­de­führerin nicht in Vertrags­freiheit verletzt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Die Beschwer­de­führerin ist nicht deswegen in ihrer Vertrags­freiheit verletzt, weil das angegriffene Urteil des Bundes­a­r­beits­ge­richts auf einer unzulässigen Rechts­fort­bildung des Europäischen Gerichtshofs beruht und das Mangold-Urteil deshalb als so genannter Ultra-vires-Akt in Deutschland nicht hätte angewendet werden dürfen.

Ultra-vires-Kontrolle kommt nur bei Kompe­tenz­verstoß europäischer Organe in Betracht

Wie das Gericht in seinem Lissabon-Urteil festgestellt hat, darf die Ultra-vires-Kontrolle von Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nur europa­rechts­freundlich ausgeübt werden. Sie kommt deshalb nur in Betracht, wenn ein Kompe­tenz­verstoß der europäischen Organe und Einrichtungen hinreichend qualifiziert ist. Dies setzt voraus, dass das Handeln der Unionsgewalt offensichtlich kompetenzwidrig ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt.

BVerfG hat Entscheidungen des EuGH grundsätzlich als verbindliche Auslegung des Unionsrechts zu beachten

Bei der Kontrolle von Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich als verbindliche Auslegung des Unionsrechts zu beachten. Soweit der Europäische Gerichtshof die aufgeworfenen Fragen noch nicht geklärt hat, ist ihm deshalb vor der Annahme eines Ultra-vires-Akts die Gelegenheit zur Auslegung der Verträge sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der fraglichen Handlungen zu geben.

Keine Kompe­tenz­über­schreitung seitens des Bundes­a­r­beits­ge­richts

Hieran gemessen hat das Bundes­a­r­beits­gericht die Tragweite der Vertrags­freiheit der Beschwer­de­führerin nicht verkannt. Der Europäische Gerichtshof hat seine Kompetenzen durch das in dem Mangold-Urteil gefundene Ergebnis jedenfalls nicht hinreichend qualifiziert verletzt.

Antidis­kri­mi­nie­rungs­richtlinie 2000/78/EG macht Verbot der Alters­dis­kri­mi­nierung für arbeits­ver­tragliche Rechts­be­zie­hungen verbindlich

Dies gilt insbesondere für die Herleitung eines allgemeinen Grundsatzes des Verbots der Alters­dis­kri­mi­nierung. Es kann dahinstehen, ob sich ein solcher Grundsatz aus den gemeinsamen Verfas­sungs­tra­di­tionen und den völker­recht­lichen Verträgen der Mitgliedstaaten ableiten ließe. Denn auch eine unterstellte, rechts­me­thodisch nicht mehr vertretbare Rechts­fort­bildung des Europäischen Gerichtshofs würde erst dann eine hinreichend qualifizierte Verletzung seiner Kompetenzen darstellen, wenn sie auch praktisch kompe­tenz­be­gründend wirkte. Mit der Herleitung eines allgemeinen Grundsatzes des Verbots der Alters­dis­kri­mi­nierung wurde aber weder eine neue Kompetenz für die Europäische Union begründet noch eine bestehende Kompetenz ausgedehnt. Insoweit hatte bereits die Antidis­kri­mi­nie­rungs­richtlinie 2000/78/EG das Verbot der Alters­dis­kri­mi­nierung für arbeits­ver­tragliche Rechts­be­zie­hungen verbindlich gemacht und damit Ausle­gungs­spielräume für den Europäischen Gerichtshof eröffnet.

Möglichkeiten mitglied­s­taat­licher Gerichte zur Gewährung von Vertrau­ens­schutz unionsrechtlich vorgeprägt und begrenzt

2. Die Beschwer­de­führerin ist auch nicht deswegen in ihrer Vertrags­freiheit verletzt, weil das angegriffene Urteil des Bundes­a­r­beits­ge­richts keinen Vertrau­ens­schutz gewährt hat. Das Vertrauen in den Fortbestand eines Gesetzes kann nicht nur durch die rückwirkende Feststellung seiner Nichtigkeit durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht, sondern auch durch die rückwirkende Feststellung seiner Nicht­an­wend­barkeit durch den Europäischen Gerichtshof berührt werden. Die Möglichkeiten mitglied­s­taat­licher Gerichte zur Gewährung von Vertrau­ens­schutz sind jedoch unionsrechtlich vorgeprägt und begrenzt. Vertrau­ens­schutz kann von den mitglied­s­taat­lichen Gerichten demnach nicht dadurch gewährt werden, dass sie eine nationale Regelung, deren Unvereinbarkeit mit Unionsrecht festgestellt wurde, für die Zeit vor Erlass der Vorab­ent­scheidung anwenden.

Mitglied­s­taat­lichen Gerichten können sekundären Vertrau­ens­schutz durch Ersatz des Vertrau­ens­schadens gewähren

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs finden sich hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass es den mitglied­s­taat­lichen Gerichten verwehrt wäre, sekundären Vertrau­ens­schutz durch Ersatz des Vertrau­ens­schadens zu gewähren. Zur Sicherung des verfas­sungs­recht­lichen Vertrau­ens­schutzes ist deshalb zu erwägen, in Konstellationen der rückwirkenden Nicht­an­wend­barkeit eines Gesetzes infolge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs innerstaatlich eine Entschädigung dafür zu gewähren, dass ein Betroffener auf die gesetzliche Regelung vertraut und in diesem Vertrauen Dispositionen getroffen hat.

Tragweite eines verfas­sungs­rechtlich zu gewährenden vertrau­ens­schutzes seitens des Bundes­a­r­beits­ge­richts nicht verkannt

Hieran gemessen hat das Bundes­a­r­beits­gericht die Tragweite eines verfas­sungs­rechtlich zu gewährenden Vertrau­ens­schutzes nicht verkannt. Wegen des gemeinschafts- bzw. unions­recht­lichen Anwen­dungs­vorrangs durfte es sich außer Stande sehen, Vertrau­ens­schutz dadurch zu gewähren, dass es die zugunsten der Beschwer­de­führerin ergangenen Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Ein ohne Verstoß gegen den Anwen­dungs­vorrang möglicher Anspruch auf Entschädigung gegen die Bundesrepublik Deutschland für Vermö­gen­s­einbußen, die die Beschwer­de­führerin durch die Entfristung des Arbeits­ver­hält­nisses erlitten hat, war nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundes­a­r­beits­gericht.

BAG nahm vertretbar an, nicht zur Vorlage beim EuGH verpflichtet zu sein

3. Die Beschwer­de­führerin wurde schließlich nicht dadurch ihrem gesetzlichen Richter entzogen, dass das Bundes­a­r­beits­gericht das Verfahren nicht an den Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat. Das Bundes­a­r­beits­gericht nahm insoweit vertretbar an, nicht zur Vorlage verpflichtet zu sein.

BVerfG unionsrechtlich nicht zur Kontrolle möglicher Verletzung der unions­recht­lichen Vorlagepflicht verpflichtet

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Rechtsprechung, wonach der Willkürmaßstab, den es allgemein bei der Auslegung und Anwendung von Zustän­dig­keits­normen anlegt, auch für die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gilt Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht ist unionsrechtlich nicht verpflichtet, die Verletzung der unions­recht­lichen Vorlagepflicht voll zu kontrollieren und an der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auszurichten (anders BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 -).

Sondervotum des Richters Landau

Richter Landau ist der Auffassung, dass die Senatsmehrheit die Anforderungen an die Feststellung eines Ultra-vires-Handelns der Gemeinschafts- und Unionsorgane durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht überspanne. Sie verlasse den dem Lissabon-Urteil zugrunde liegenden Konsens, indem sie nicht nur einen „ersichtlichen“, sondern einen „hinreichend qualifizierten“ Kompe­tenz­verstoß fordere. Dieser müsse nicht nur offensichtlich sein, sondern zudem zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und supranationaler Organisation führen. Damit verkenne die Senatsmehrheit, dass jede Ausübung von Hoheitsgewalt nach dem Lissabon-Urteil demokratisch legitimiert sein müsse. Dies sei jedoch nicht der Fall, wenn die Gemeinschafts- und Unionsorgane ihre Kompetenzen verletzten.

Richter sieht in Mangold-Urteil Kompe­tenz­über­schreitung des EuGH

Der Europäische Gerichtshof habe mit dem Mangold-Urteil die ihm verliehenen Kompetenzen zur Auslegung des Gemein­schafts­rechts ersichtlich überschritten. Die von der Senatsmehrheit offen gelassene Frage, ob der Europäische Gerichtshof den Bereich der vertretbaren Auslegung verlassen habe, sei offensichtlich zu bejahen. Es sei insbesondere nicht vertretbar, ein spezifisches Diskri­mi­nie­rungs­verbot wegen des Alters aus den gemeinsamen Verfas­sungs­tra­di­tionen oder den völker­recht­lichen Verträgen der Mitgliedstaaten herzuleiten.

Unter diesen Umständen sei es dem Bundes­a­r­beits­gericht verwehrt gewesen, sich auf das Mangold-Urteil zu berufen, § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG unangewendet zu lassen und der Entfris­tungsklage stattzugeben. Da es dem Bundes­a­r­beits­gericht nicht frei gestanden habe, unter offener Abweichung von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheiden, hätte das Bundes­a­r­beits­gericht alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erwägen oder erörtern müssen, um die sich abzeichnende Spannungslage aufzulösen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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