15.11.2024
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Dokument-Nr. 3718

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Bundesverfassungsgericht Beschluss25.01.2007

Beugehaft gegen Gefäng­nis­seel­sorger verfas­sungsgemäßGeistlicher kann sich nicht immer auf das Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht berufen

In einem vor dem Oberlan­des­gericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren wird gegen mehrere Angeklagte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, in großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher Lebens­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaften begangen zu haben, um hohe Versi­che­rungs­summen zu erhalten und diese zur Finanzierung des Terrornetzwerks Al Qaeda weiterzuleiten. In der Haupt­ver­handlung wurde der Beschwer­de­führer, ein – nicht zum Priester geweihter – katholischer Gemein­de­re­ferent, als Zeuge vernommen. Dieser ist hauptamtlich als Seelsorger in einer Haftanstalt tätig und hatte in dieser Funktion Gespräche mit einem der Angeklagten geführt. Bei seiner Vernehmung vor dem Oberlan­des­gericht lehnte er es unter Berufung auf sein Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht als Seelsorger ab, die Frage zu beantworten, ob er für den Angeklagten im Internet Adressen von Versicherungen recherchiert habe. Daraufhin ordnete das Gericht gegen den Seelsorger Beugehaft zur Erzwingung der Aussage an. Die Beschwerde des Seelsorgers verwarf der Bundes­ge­richtshof als unbegründet.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die hiergegen gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Auferlegung der Zeugnispflicht, deren Erfüllung die Anordnung der Beugehaft erzwingen soll, sei verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

§ 53 Abs. 1 Nr. 1 Straf­pro­zess­ordnung gewährt Geistlichen ein Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht hinsichtlich solcher Tatsachen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekannt geworden sind. Ob Geistliche im Sinne der Vorschrift auch Seelsorger sind, die keine Priesterweihe erhalten haben, ist hier nicht generell zu entscheiden. Jedenfalls bei einer hauptamtlichen Beauftragung nach den durch das kirchliche Dienstrecht vorgesehenen Voraussetzungen – wie dies vorliegend der Fall ist – ist der Anwen­dungs­bereich der Vorschrift eröffnet. Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist objektiv und in Zweifelsfällen unter Berück­sich­tigung der Gewis­sen­s­ent­scheidung des Geistlichen zu beurteilen. Die Einschätzung der Fachgerichte, der Austausch über das Recherchieren von Versi­che­rungs­adressen zähle objektiv nicht zur Seelsorge, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Ein Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht des Beschwer­de­führers lässt sich auch nicht unmittelbar aus der Verfassung ableiten. Die aus der Beantwortung der an den Beschwer­de­führer gestellten Frage zu erwartenden Erkenntnisse sind nicht dem Kernbereich privater Lebens­ge­staltung zuzurechen, in den einzugreifen dem Staat verwehrt ist. Die Frage, deren Beantwortung hier in Rede steht, zielt nicht auf das Erlangen von Kenntnissen über ein seelsor­ge­risches Gespräch, sondern über eine Tätigkeit – das Recherchieren von Versi­che­rungs­adressen –, die der Beschwer­de­führer nur außerhalb eines solchen Gesprächs wahrgenommen haben könnte. Auch eine Abwägung mit den Belangen der Berufs­aus­übungs­freiheit begründet kein Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht des Beschwer­de­führers. Durch die Preisgabe von Wissen über eine dem betreuten Gefangenen erwiesene Gefälligkeit kann zwar das Vertrau­ens­ver­hältnis zu diesem und zu anderen Gefangenen beeinträchtigt werden – mit Folgewirkungen auf die Möglichkeit zur Wahrnehmung der seelsor­ge­rischen Aufgabe. Die Belange der Straf­rechts­pflege überwiegen jedoch das Interesse des Beschwer­de­führers an der Vermeidung einer Beein­träch­tigung der seelsor­ge­rischen Vertrau­ens­stellung. Dass ein Gefangener von der vertraulichen Behandlung einer an seinen Seelsorger gerichteten Bitte ausgeht, die ersichtlich nicht den seelsor­ge­rischen Bereich betrifft, sondern darauf abzielt, Beweis­ge­gen­stände zu verfälschen, und für den Seelsorger sogar die Gefahr eigener Strafbarkeit begründet, ist eher fern liegend. Bei der Bewertung einer möglichen Vertrau­en­s­einbuße ist auch zu berücksichtigen, dass der Beschwer­de­führer entsprechendes Wissen nicht eigenmächtig offenbaren würde, sondern aufgrund der ihm obliegenden, mit Zwangsmitteln durchsetzbaren Zeugenpflicht.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 09/07 des BVerfG vom 29.01.2007

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