14.11.2024
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Dokument-Nr. 3481

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Bundesgerichtshof Beschluss15.11.2006

Anstalts­seel­sorger hat nicht immer Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrechtBeugehaft gegen Anstalts­seel­sorger rechtmäßig

Das Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht eines Anstalts­seel­sorgers bezieht sich nur auf ihm in dieser Eigenschaft anvertraute Umstände. Das geht aus einem Beschluss des Bundes­ge­richtshofs hervor.

In einem vor dem Oberlan­des­gericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren wird gegen mehrere Angeklagte wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in bzw. der Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung Al Qaeda und anderer Delikte verhandelt. Ihnen wird vorgeworfen, in großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher Lebens­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaften begangen zu haben, um hohe Versi­che­rungs­summen zu erhalten und diese - zumindest teilweise - der Al Qaeda zur Finanzierung des „Heiligen Krieges“ zufließen zu lassen.

In der Haupt­ver­handlung hat die Verteidigung des Angeklagten ihn (möglicherweise) entlastendes Beweismaterial (angeblich schon vor der Inhaftierung gefertigte, nicht abgesandte Schreiben an die Lebens­ver­si­cherer mit einer Änderung der Bezugs­be­rech­tigung) vorgelegt. Die dazu angestellten Ermittlungen haben den Verdacht begründet, dass der Angeklagte die Schreiben erst in der Haft gefertigt hat und dass jemand für ihn im Internet die Adressen der Lebens­ver­si­cherer recherchiert hatte, an die die Schreiben gerichtet waren. Daraufhin wurde ein Anstalts­seel­sorger, der in dieser Funktion in der Justiz­voll­zugs­anstalt mehrfach Kontakt mit einem der Angeklagten hatte, als Zeuge vernommen. Bei seiner Vernehmung lehnte er es unter Berufung auf sein Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht als Seelsorger ab, die Frage zu beantworten, ob er für den Angeklagten im Internet Adressen von Versicherungen recherchiert habe. Daraufhin hat das Oberlan­des­gericht Haft von höchstens sechs Monaten zur Erzwingung des Zeugnisses angeordnet. Dagegen hat der Zeuge Beschwerde eingelegt.

Der 3. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs hat die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts bestätigt und im Wesentlichen ausgeführt: Zwar sei der Zeuge, obwohl er keine kirchliche Weihe erhalten habe, als Geistlicher im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO anzusehen, weil er im Rahmen seiner hauptamtlichen Tätigkeit als Anstalts­seel­sorger im Auftrag der katholischen Kirche selbständig seelsorgerische Aufgaben wahrnehme. Sein Zeugnis­ver­wei­ge­rungsrecht erstrecke sich jedoch nur auf Umstände, die ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden seien. Dazu gehörten nicht Gespräche, Erkenntnisse oder Tätigkeiten auf den Gebieten des täglichen Lebens bei Gelegenheit der Ausübung von Seelsorge ohne inneren Bezug zu diesem Bereich. Es erscheine ausgeschlossen, dass die Recherchen, zu denen der Zeuge die Aussage verweigere, im Zusammenhang mit Seelsorge stehen könnten. Die Anordnung der Beugehaft sei auch unter Berück­sich­tigung des Freiheits­grund­rechtes des Zeugen nicht unver­hält­nismäßig, weil die Zeugenaussage zur Aufklärung der schwerwiegenden Tatvorwürfe für das Oberlan­des­gericht von zentraler Bedeutung sei.

Erläuterungen
Vorinstanz

OLG Düsseldorf - III-VI 10/05 - Entscheidung vom 19. September 2006

aus dem Gesetz

§ 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO lautet:

Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt

1. Geistliche über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;

….

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 172/06 des BGH vom 07.12.2006

der Leitsatz

StPO § 53 Abs. 1 Nr. 1

Geistlicher im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist auch ein Laie, der keine kirchliche Weihe erhalten hat, aber im Auftrag der Kirche hauptamtlich als Anstalts­seel­sorger einer Justiz­voll­zugs­anstalt selbständig Aufgaben wahrnimmt, die zum unmittelbaren Bereich seelsor­ge­rischer Tätigkeit gehören.

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