15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.10.2006

Kein weiteres Einreiseverbot für Religionsführer der Mun-Sekte?OVG Koblenz muss erneut entscheiden

Das Oberver­wal­tungs­gericht Koblenz hatte den Chef der Mun-Sekte, San Myung Mun, die Einreise nach Deutschland untersagt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hob dieses Urteil auf, da es auf einem unzutreffenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (Religi­o­ns­freiheit und Recht auf freie Religi­o­ns­ausübung) beruht. Die Sache wurde an das Oberver­wal­tungs­gericht zurückverwiesen.

Herr Mun ist Gründer der weltweit vertretenen Verei­ni­gungs­kirche, deren Anhänger in Deutschland in dem beschwer­de­füh­renden Verein organisiert sind. Das Ehepaar Mun beabsichtigte Ende 1995, im Rahmen einer Welttour nach Deutschland einzureisen. Das Besuchsprogramm sah vor, dass Herr Mun bei einer Veranstaltung eines dem Beschwer­de­führer nahe stehenden Vereins einen Vortrag mit dem Titel „Die wahre Familie und ich“ halten sollte; außerdem wollte das Ehepaar Mun Gespräche mit seinen Anhängern führen. Um dies zu verhindern, schrieb die Grenz­schutz­di­rektion Koblenz auf Bitte des Bundes­in­nen­mi­nis­teriums die Eheleute Mun für die Dauer von drei Jahren zur Einrei­se­ver­wei­gerung im Schengener Infor­ma­ti­o­ns­system aus. Die Ausschreibung wurde fortlaufend, zuletzt im Jahr 2004, verlängert. Die auf Feststellung der Rechts­wid­rigkeit der Ausschreibung gerichtete Klage des Beschwer­de­führers blieb vor den Verwal­tungs­ge­richten ohne Erfolg.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hob das klageabweisende Urteil des Oberver­wal­tungs­ge­richts auf, da es auf einem unzutreffenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (Religi­o­ns­freiheit und Recht auf freie Religi­o­ns­ausübung) beruhe. Die Sache wurde an das Oberver­wal­tungs­gericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Oberver­wal­tungs­gericht hat die Klage des Beschwer­de­führers abgewiesen, weil der geplante Besuch der Eheleute Mun keine besondere Bedeutung für die gemein­schaftliche Religi­o­ns­ausübung und keinen spezifisch religiösen Gehalt für die Mitglieder des Beschwer­de­führers habe. Damit hat das Gericht seiner Entscheidung eine Gewichtung genuin religiöser Belange aus dem Binnenbereich des Beschwer­de­führers zugrunde gelegt, die staatlichen Stellen verwehrt ist. Für die Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der persönlichen Begegnung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft mit ihrem Gründer oder geistlichen Oberhaupt zukommt, kann nur das Selbst­ver­ständnis der jeweiligen Religi­o­ns­ge­mein­schaft maßgebend sein. Insoweit sind durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Kernfragen der Pflege und Förderung des Glaubens und Bekenntnisses angesprochen, die der Beurteilung durch staatliche Stellen grundsätzlich entzogen sind. Das Besuchsvorhaben der Eheleute Mun diente – jedenfalls auch – dem Kontakt der Gläubigen mit dem Religi­o­ns­s­tifter, dem nach dem Selbst­ver­ständnis der Verei­ni­gungs­kirche religiöse Bedeutung zukommt. Angesichts der zentralen Stellung des Religi­o­ns­s­tifters für jede auf eine solche Person ausgerichtete Religion hätte es besonderer Hinweise bedurft, um eine davon abweichende Einschätzung zu rechtfertigen.

Allerdings kann unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG weder für den Einrei­se­willigen noch für die an seiner Einreise interessierte Religi­o­ns­ge­mein­schaft ein Anspruch auf Einreise abgeleitet werden. Es ist aber geboten, bei der Auslegung der Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern das Eigen­ver­ständnis der Religi­o­ns­ge­mein­schaft so weit wie möglich zu berücksichtigen. Bei der Abwägung zwischen den mit der Ausschreibung im Schengener Infor­ma­ti­o­ns­system verfolgten Belangen und den Interessen des Beschwer­de­führers ist zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Schengener Durch­füh­rungs­über­ein­kommens insoweit gebunden hat, als die für alle Schengen-Staaten grundsätzlich verbindliche Ausschreibung zur Einrei­se­ver­wei­gerung das Vorliegen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraussetzt. Es liegt nicht auf der Hand, dass Besuchs­auf­enthalte der Eheleute Mun Gefahren mit sich bringen, die auch bei der Einbeziehung der Interessen des Beschwer­de­führers die Anordnung und Aufrecht­er­haltung der Ausschreibung der Eheleute Mun zur Einrei­se­ver­wei­gerung gerechtfertigt erscheinen lassen. Soweit das Bundes­mi­nis­terium des Innern das öffentliche Interesse an der Einrei­se­ver­wei­gerung aus Widersprüchen zwischen den Glaubens­in­halten des Beschwer­de­führers und den Wertent­schei­dungen des Grundgesetzes herleitet, ist darauf hinzuweisen, dass die Religi­o­ns­ge­mein­schaften hinsichtlich der von ihnen vertretenen Glaubensinhalte und sonstiger rein interner Angelegenheiten grundsätzlich nicht den für das Verhalten des Staates maßgeblichen Wertvor­stel­lungen des Grundgesetzes verpflichtet sind und außerhalb dieses Bereichs der Wechselwirkung von Religionsfreiheit und Schrankenzweck durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist.

siehe auch

Ehepaar Mun darf nach Deutschland (Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 19.04.20077 A 11437/06.OVG)

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 109/06 des BVerfG vom 09.11.2006

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