Dokument-Nr. 3327
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Bundesverfassungsgericht Beschluss24.10.2006
Kein weiteres Einreiseverbot für Religionsführer der Mun-Sekte?OVG Koblenz muss erneut entscheiden
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hatte den Chef der Mun-Sekte, San Myung Mun, die Einreise nach Deutschland untersagt. Das Bundesverfassungsgericht hob dieses Urteil auf, da es auf einem unzutreffenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (Religionsfreiheit und Recht auf freie Religionsausübung) beruht. Die Sache wurde an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Herr Mun ist Gründer der weltweit vertretenen Vereinigungskirche, deren Anhänger in Deutschland in dem beschwerdeführenden Verein organisiert sind. Das Ehepaar Mun beabsichtigte Ende 1995, im Rahmen einer Welttour nach Deutschland einzureisen. Das Besuchsprogramm sah vor, dass Herr Mun bei einer Veranstaltung eines dem Beschwerdeführer nahe stehenden Vereins einen Vortrag mit dem Titel „Die wahre Familie und ich“ halten sollte; außerdem wollte das Ehepaar Mun Gespräche mit seinen Anhängern führen. Um dies zu verhindern, schrieb die Grenzschutzdirektion Koblenz auf Bitte des Bundesinnenministeriums die Eheleute Mun für die Dauer von drei Jahren zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem aus. Die Ausschreibung wurde fortlaufend, zuletzt im Jahr 2004, verlängert. Die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung gerichtete Klage des Beschwerdeführers blieb vor den Verwaltungsgerichten ohne Erfolg.
Das Bundesverfassungsgericht hob das klageabweisende Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf, da es auf einem unzutreffenden Verständnis des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (Religionsfreiheit und Recht auf freie Religionsausübung) beruhe. Die Sache wurde an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage des Beschwerdeführers abgewiesen, weil der geplante Besuch der Eheleute Mun keine besondere Bedeutung für die gemeinschaftliche Religionsausübung und keinen spezifisch religiösen Gehalt für die Mitglieder des Beschwerdeführers habe. Damit hat das Gericht seiner Entscheidung eine Gewichtung genuin religiöser Belange aus dem Binnenbereich des Beschwerdeführers zugrunde gelegt, die staatlichen Stellen verwehrt ist. Für die Beantwortung der Frage, welche Bedeutung der persönlichen Begegnung der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft mit ihrem Gründer oder geistlichen Oberhaupt zukommt, kann nur das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft maßgebend sein. Insoweit sind durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Kernfragen der Pflege und Förderung des Glaubens und Bekenntnisses angesprochen, die der Beurteilung durch staatliche Stellen grundsätzlich entzogen sind. Das Besuchsvorhaben der Eheleute Mun diente – jedenfalls auch – dem Kontakt der Gläubigen mit dem Religionsstifter, dem nach dem Selbstverständnis der Vereinigungskirche religiöse Bedeutung zukommt. Angesichts der zentralen Stellung des Religionsstifters für jede auf eine solche Person ausgerichtete Religion hätte es besonderer Hinweise bedurft, um eine davon abweichende Einschätzung zu rechtfertigen.
Allerdings kann unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG weder für den Einreisewilligen noch für die an seiner Einreise interessierte Religionsgemeinschaft ein Anspruch auf Einreise abgeleitet werden. Es ist aber geboten, bei der Auslegung der Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft so weit wie möglich zu berücksichtigen. Bei der Abwägung zwischen den mit der Ausschreibung im Schengener Informationssystem verfolgten Belangen und den Interessen des Beschwerdeführers ist zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens insoweit gebunden hat, als die für alle Schengen-Staaten grundsätzlich verbindliche Ausschreibung zur Einreiseverweigerung das Vorliegen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit voraussetzt. Es liegt nicht auf der Hand, dass Besuchsaufenthalte der Eheleute Mun Gefahren mit sich bringen, die auch bei der Einbeziehung der Interessen des Beschwerdeführers die Anordnung und Aufrechterhaltung der Ausschreibung der Eheleute Mun zur Einreiseverweigerung gerechtfertigt erscheinen lassen. Soweit das Bundesministerium des Innern das öffentliche Interesse an der Einreiseverweigerung aus Widersprüchen zwischen den Glaubensinhalten des Beschwerdeführers und den Wertentscheidungen des Grundgesetzes herleitet, ist darauf hinzuweisen, dass die Religionsgemeinschaften hinsichtlich der von ihnen vertretenen Glaubensinhalte und sonstiger rein interner Angelegenheiten grundsätzlich nicht den für das Verhalten des Staates maßgeblichen Wertvorstellungen des Grundgesetzes verpflichtet sind und außerhalb dieses Bereichs der Wechselwirkung von Religionsfreiheit und Schrankenzweck durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen ist.
siehe auch
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 10.11.2006
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 109/06 des BVerfG vom 09.11.2006
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