15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 6075

Drucken
Beschluss05.05.2008Bundesverfassungsgericht2 BvR 1801/06
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • BRAK-Mitt 2008, 217Zeitschrift: BRAK-Mitteilungen (BRAK-Mitt), Jahrgang: 2008, Seite: 217
  • DVBl 2008, 841Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2008, Seite: 841
  • JuS 2009, 71 (Michael Sachs)Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2009, Seite: 71, Entscheidungsbesprechung von Michael Sachs
  • NJW 2008, 2422Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2008, Seite: 2422
  • wistra 2008, 301Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (wistra), Jahrgang: 2008, Seite: 301
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss05.05.2008

Hausdurch­suchung bei einem Straf­ver­teidiger wegen des Vorwurfs der Beleidigung nur nach sorgfältiger PrüfungErfolgreiche Verfassungs­beschwerde gegen die Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt

Die Durchsuchung der Kanzleiräume eines Rechtsanwalts gegen den ein Ermittlungs­verfahren wegen Beleidigung läuft, ist rechtswidrig, wenn sich die ihm vorgeworfenen Äußerungen in den Schriftsätzen an das Gericht befinden. Eine Durchsuchung ist dann nicht erforderlich, um den Tatverdacht der Beleidigung zu erhärten. Dies hat das Bundes­verfassungs­gericht entschieden.

Der Beschwer­de­führer ist Rechtsanwalt. Wegen einiger Passagen in einem Beschwer­de­schriftsatz für einen Mandanten erstattete der erkennende Amtsrichter gegen den Beschwer­de­führer Strafanzeige wegen Beleidigung. In der Anzeige macht der Richter unter anderem geltend, dass ihm in der Beschwer­de­schrift vorgeworfen werde, er hätte in diesem Beschluss 'wider besseres Wissen' Tatsachen falsch dargestellt, hätte zu einer Summe einen Betrag von 400.000 € 'hinzugemogelt' und Beträge in 'unzulässiger und rechtswidriger Weise' übertrieben, sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, selbst die Grundlagen seiner Entscheidung zu beurteilen, hätte sich für eine behauptete Ungereimtheit scheinbar nicht interessiert, 'weil sie ja vielleicht zugunsten des Beschuldigten gewertet werden müsste' und hätte sich gegenüber einer bestimmten behaupteten Konstellation 'stur nicht erkennend' gestellt. In dem daraufhin von der Staats­an­walt­schaft eingeleiteten Ermitt­lungs­ver­fahren erließ das Amtsgericht einen Durch­su­chungs­be­schluss, um in der Wohnung und in den Kanzleiräumen "Handakten und Unterlagen" aufzufinden, "aus denen sich ergibt, ob der Beschuldigte wider besseren Wissen gehandelt hat und was Grundlage seiner Behauptungen in der Beschwer­de­schrift vom 14.10.2005 … ist". Bei der Durchsuchung der Kanzlei gab der Rechtsanwalt verschiedene Unterlagen heraus. In seinem Wohnhaus wurden sämtliche Unterlagen durchgesehen, aber nichts gefunden.

Verfas­sungs­be­schwerde erfolgreich

Die gegen die Durch­su­chungs­a­n­ordnung und die sie bestätigende Entscheidung des Landgerichts gerichtete Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts hatte Erfolg. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht stellte fest, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 13 GG (Unver­letz­lichkeit der Wohnung) verletzen. Zur Begründung heißt es in dem Beschluss unter anderem:

Bei Durchsuchung ist der Grundsatzes der Verhält­nis­mä­ßigkeit und die herausgehobene Bedeutung der Berufsausübung eines Rechtsanwalts zu beachten

Die herausgehobene Bedeutung der Berufsausübung eines Rechtsanwalts für die Rechtspflege und für die Wahrung der Rechte seiner Mandanten gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffs­vor­aus­set­zungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, auch wenn die Beschlagnahme und die auf sie gerichtete Durchsuchung bei einem als Straf­ver­teidiger tätigen Rechtsanwalt durch § 97 StPO nicht generell ausgeschlossen ist, wenn dieser selbst Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren ist.

Durchsuchung war nicht erforderlich

Die Durchsuchung der Kanzleiräume und der Wohnung des Beschwer­de­führers war nicht erforderlich, um den Tatverdacht zu erhärten. Die dem Beschwer­de­führer vorgeworfenen Äußerungen ergaben sich aus einem Schriftsatz in einer den Ermitt­lungs­be­hörden zugänglichen Gerichtsakte. Die Handakte des Beschwer­de­führers war zum Beweis der ihm vorgeworfenen Äußerungen nicht erforderlich, denn es war nicht zweifelhaft, dass die vorgeworfenen Äußerungen tatsächlich vom Beschwer­de­führer stammten. Das Auffinden etwaigen entlastenden Materials in den Unterlagen des Beschwer­de­führers kann den Grund­recht­s­eingriff ebenfalls nicht rechtfertigen; denn es wäre dem Beschwer­de­führer ohne weiteres möglich gewesen, solches Material im Rahmen seiner Verteidigung selbständig vorzulegen.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht vermisst Abwägung der berührten Grundrechte mit der Schwere des Tatvorwurfs

Die angegriffenen Beschlüsse lassen nicht erkennen, dass die Gerichte eine Abwägung der berührten Grundrechte mit der Schwere des Tatvorwurfes vorgenommen hätten. Angesichts der Möglichkeit, durch die Ermittlungen wegen Richter­be­lei­digung Zugriff auf die sonst den Ermitt­lungs­be­hörden nach § 97 Abs. 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO entzogenen Vertei­di­ge­rakten zu erhalten, hätte die Durchsuchung einer besonders sorgfältigen Prüfung und Begründung bedurft. Dabei wäre auch die geringe Beweisbedeutung der zu suchenden Unterlagen für das Ermitt­lungs­ver­fahren zu berücksichtigen gewesen. Dem angegriffenen Durch­su­chungs­be­schluss liegt keine diese Gesichtspunkte berück­sich­tigende Abwägung zugrunde.

Quelle: ra-online, BVerfG (pm)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss6075

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI