24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss05.03.2012

BVerfG zur Prüfung des Zustandekommens eines "Deals" im Strafverfahren durch das Rechts­mit­tel­gerichtVerfah­rens­ab­sprachen in Strafprozessen müssen klar protokolliert werden

Zur Dokumen­ta­ti­o­ns­pflicht des Gerichts bestimmt § 273 Abs. 1a StPO, dass im Protokoll über die Haupt­ver­handlung der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Verständigung wiedergegeben und ebenfalls vermerkt sein muss, wenn keine Absprache erfolgt ist. Erfolgt diese klare Dokumentation nicht, kann dies eine Verletzung gegen das Prozess­grundrecht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) bedeuten. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hervor.

Die auch als „Deals“ bezeichnete Verständigung der Verfah­rens­be­tei­ligten im Strafverfahren über die Rechtsfolgen einer Verurteilung ist seit dem 4. August 2009 gesetzlich in dem neu eingeführten § 257 c StPO geregelt. Gegenstand der vorliegenden Verfassungsbeschwerde ist nicht die Verfas­sungs­mä­ßigkeit von Urteils­ab­sprachen im Strafprozess und ihrer gesetzlichen Regelung, sondern der Umfang der Sachauf­klä­rungs­pflicht der Rechts­mit­tel­ge­richte bei der Prüfung, ob eine Verfah­rens­ab­sprache zustande gekommen und deshalb ein erklärter Rechts­mit­tel­verzicht unwirksam ist. Gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO können die Verfah­rens­be­tei­ligten nicht wirksam auf Rechtsmittel gegen die Verurteilung verzichten, wenn ihr eine Verständigung vorausgegangen ist.

Wesentlicher Ablauf und Inhalt einer Verständigung ist im Protokoll über die Haupt­ver­handlung wiederzugeben

Zur Dokumen­ta­ti­o­ns­pflicht des Gerichts bestimmt § 273 Abs. 1a StPO, dass im Protokoll über die Haupt­ver­handlung der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Verständigung wiedergegeben und ebenfalls vermerkt sein muss, wenn keine Absprache erfolgt ist.

Weder Haupt­ver­hand­lungs­pro­tokoll noch Urteil enthielt Hinweis auf Zustandekommen einer Verständigung der Verfah­rens­be­tei­ligten

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls wurde auf der Grundlage seines Geständnisses vom Amtsgericht wegen diverser Straftaten zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Nach der Urteils­ver­kündung und der Aufhebung des Haftbefehls verzichteten die Staats­an­walt­schaft und der Beschwer­de­führer auf Rechtsmittel. Der Beschwer­de­führer legte später Berufung gegen das Urteil ein und machte die Unwirksamkeit seines Rechts­mit­tel­ver­zichts geltend, weil die Verurteilung auf einer Absprache zwischen den Verfah­rens­be­tei­ligten beruhe. Weder Hauptverhandlungsprotokoll noch Urteil enthalten einen Hinweis auf das Zustandekommen einer Absprache oder die Angabe, dass eine Verständigung nicht erfolgt sei. Im Protokoll ist lediglich vermerkt, dass die Haupt­ver­handlung vor der Einlassung des Beschwer­de­führers für ein „Rechtsgespräch“ unterbrochen wurde, dessen Inhalt und Verlauf von den Verfah­rens­be­tei­ligten jedoch unterschiedlich geschildert wird. Während nach der schriftlichen Erklärung der Verteidigerin des Beschwer­de­führers im Ergebnis eine Verständigung auf ein Strafmaß von zwei Jahren und zehn Monaten bei gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls getroffen worden sei, erklärte die Sitzungs­ver­treterin der Staats­an­walt­schaft in der von ihr eingeholten dienstlichen Stellungnahme, es habe kein regelrechtes Gespräch über ein bestimmtes Strafmaß gegeben; ihr sei es vor allem um die Fortsetzung der Unter­su­chungshaft gegangen, während der Beschwer­de­führer in erster Linie eine Aufhebung des Haftbefehls habe erreichen wollen. Dem Vorsitzenden des Schöf­fen­ge­richts war nach seiner dienstlichen Erklärung der Vorgang nicht mehr genau erinnerlich.

LG und OLG erklären Rechts­mit­tel­verzicht für wirksam

Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwer­de­führers als unzulässig, weil es das Zustandekommen einer Absprache für nicht erwiesen und deshalb den Rechts­mit­tel­verzicht für wirksam hielt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde blieb vor dem Oberlan­des­gericht ohne Erfolg. Die Annahme der Wirksamkeit des Rechts­mit­tel­ver­zichts sei nicht zu beanstanden. Da das Verhand­lungs­pro­tokoll die von § 273 Abs. 1a StPO geforderten Angaben nicht enthalte, sei seine Beweiskraft entfallen. Im Freibe­weis­ver­fahren habe der Beschwer­de­führer aufgrund der sich wider­spre­chenden Erklärungen der Verteidigerin und der Vertreterin der Staats­an­walt­schaft den Nachweis einer Verständigung nicht zur Überzeugung des Senats führen können.

Beschwer­de­führer im Prozess­grundrecht auf ein faires Strafverfahren verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat den mit der Verfas­sungs­be­schwerde angegriffenen Beschluss des Oberlan­des­ge­richts aufgehoben, weil er den Beschwer­de­führer in seinem Prozess­grundrecht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlan­des­gericht zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlan­des­ge­richts weicht in einer verfas­sungs­rechtlich nicht hinnehmbaren Weise von den Anforderungen an die richterliche Sachaufklärung ab. Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte es schon im Hinblick auf die augenfällige Ungereimtheit in der dienstlichen Erklärung der Sitzungs­ver­treterin der Staats­an­walt­schaft bedurft, die einerseits primär das Ziel einer Aufrecht­er­haltung der Unter­su­chungshaft verfolgt haben will, andererseits aber in der Haupt­ver­handlung selbst die Aufhebung des Haftbefehls beantragte. Ferner hätte das Oberlan­des­gericht Stellungnahmen der Schöffen und der Urkundsbeamtin einholen müssen, da nach der wider­spruchs­freien Erklärung der Verteidigerin die Gespräche im Sitzungssaal fortgesetzt worden sein sollen.

Verbleibende Zweifel durften nicht zulasten des Beschwer­de­führers gehen

Darüber hinaus hätten verbleibende Zweifel nicht zulasten des Beschwer­de­führers gewertet werden dürfen. Zwar ist es grundsätzlich verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, dass nach der auch im Freibe­weis­ver­fahren gebotenen Sachaufklärung nicht zu beseitigende Zweifel am Vorliegen von Verfah­ren­s­tat­sachen grundsätzlich zulasten des Angeklagten gehen. Dies gilt jedoch dann nicht mehr, wenn die Unauf­klär­barkeit des Sachverhalts auf einem Verstoß gegen eine gesetzlich angeordnete Dokumen­ta­ti­o­ns­pflicht beruht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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