15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss21.01.2008

Durchsuchung einer Arztpraxis aufgrund vager Vermutungen verfas­sungs­widrigMaßnahme war unver­hält­nismäßig

Die Durchsuchung einer Arztpraxis ist rechtswidrig, wenn Behörden die Durchsuchung lediglich auf Grund einer bloßen Vermutung auf Abrech­nungs­betrug anordnen. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Die Beschwer­de­führerin ist Ärztin. Sie rechnete gegenüber einer Patientin unter anderem Kosten für Ultra­scha­ll­un­ter­su­chungen in Höhe von 74,71 Euro ab. Auf den Widerspruch der Patientin, die geltend machte, dass die Untersuchungen bei dem fraglichen Termin nicht erbracht worden seien, übersandte ihr die Beschwer­de­führerin Abdrucke von Ultra­scha­ll­bildern, auf denen der Name der Patientin, das Datum und die Uhrzeit der Untersuchung aufgedruckt waren. Die Patientin zweifelte die Echtheit der Bilder an, weil sie vermutete, dass es sich entweder um Bilder der Vorjah­res­un­ter­suchung handelte, bei denen nachträglich das Datum ausgetauscht worden sei, oder aber um Bilder einer anderen Patientin, bei denen der Name ausgetauscht worden sei. Auf Anzeige des Ehemannes leitete die Staats­an­walt­schaft gegen die Ärztin ein Ermitt­lungs­ver­fahren wegen versuchten Abrech­nungs­betrugs ein und erwirkte beim Amtsgericht einen Durch­su­chungs­be­schluss für die Wohn- und Praxisräume der Beschwer­de­führerin sowie ihrer Person und ihrer Kraftfahrzeuge. Daraufhin wurden die Praxis- und Laborräume der Beschwer­de­führerin durchsucht. Hiergegen eingelegte Rechtsmittel wies das Landgericht zurück.

Verfas­sungs­be­schwerde der Ärztin war erfolgreich

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass die angegriffenen Beschlüsse die Beschwer­de­führerin in ihrem Recht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung verletzen. In Anbetracht des relativ geringen Schadens und der Tatsache, dass ein kaum über bloße Vermutungen hinaus­rei­chender Tatverdacht bestanden hat, war die Durchsuchung der Arztpraxis unver­hält­nismäßig.

Nur vage Vermutungen reichen für eine Durchsuchung nicht aus

Die Verdachtsgründe bewegten sich im Grenzbereich zu vagen Anhaltspunkten oder bloßen Vermutungen, die eine Durchsuchung unter keinen Umständen rechtfertigen konnten. Das Landgericht hat zwar erkannt, dass den Ultra­scha­ll­bildern, auf denen der Name der Patientin und das Datum des Arzttermins aufgedruckt sind, grundsätzlich ein erheblicher Indizwert dafür zukommt, dass die Untersuchung tatsächlich vorgenommen wurde. Es hat aber diesen Indizwert durch die abweichende Uhrzeit zu Unrecht als gänzlich entwertet angesehen. In diese Wertung hat es die nahe liegende Überlegung, die Uhrzeit könne aufgrund eines technischen Fehlers falsch wiedergegeben worden sein, nicht eingestellt. Hierbei hat es auch nicht bedacht, dass die korrekte Wiedergabe der Uhrzeit einer Untersuchung regelmäßig keine zentrale Funktion eines Ultra­scha­ll­geräts ist. Es kann auch nicht nachvollzogen werden, warum der schriftlichen Strafanzeige des Ehemanns der Patientin gegenüber den Ultra­scha­ll­bildern ein derart starker Beweiswert zukomme. In die Verhält­nis­mä­ßig­keits­er­wä­gungen hätte auch eingestellt werden müssen, dass mit der Durchsuchung der Praxisräume empfindliche Daten Dritter (anderer Patientinnen) gefährdet waren.

Im Ergebnis kann damit die Frage offen bleiben, ob der Durch­su­chungs­be­schluss auch deswegen als verfassungswidrig anzusehen war, weil nicht nur die Durchsuchung der Praxisräume, sondern auch die Durchsuchung der privaten Wohnung und der Kraftfahrzeuge der Beschwer­de­führerin angeordnet war.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 10/08 des BVerfG vom 07.02.2008

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