15.11.2024
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Dokument-Nr. 3169

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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.09.2006

Gerichtlicher Durch­su­chungs­be­schluss muss Mindestmaß an Darle­gungs­an­for­de­rungen erfüllenEingriffs­vor­aus­set­zungen und Verhält­nis­mä­ßigkeit müssen sorgfältig geprüft werden

Im Zusammenhang mit der Durchsuchung einer Rechts­an­walts­kanzlei hat sich das Bundes­ver­fas­sungs­gericht erneut zu den Darle­gungs­an­for­de­rungen an einen richterlichen Durch­su­chungs­be­schluss geäußert (siehe auch Zu den Minde­st­an­for­de­rungen an einen Durchsuchungs- oder Abhörbeschluss).

Die Beschwer­de­führer verteidigten einen Mandanten in einem Strafverfahren vor einer großen Strafkammer des Landgerichts. Der Kammer gehörte ein Richter an, der den Mandanten in einem früheren Verfahren verteidigt hatte. Der Mandant lehnte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, unter anderem weil ihm in dem früheren Verfahren gravierende Fehler unterlaufen seien. In der Folgezeit leitete die Staats­an­walt­schaft gegen die Beschwer­de­führer ein Ermitt­lungs­ver­fahren wegen des Verdachts der versuchten Nötigung ein. Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung der Kanzleiräume der Beschwer­de­führer an. Die bisherigen Ermittlungen hätten Anhaltspunkte ergeben, dass die Beschwer­de­führer durch Recherchen im persönlichen Lebensbereich und in Bezug auf die frühere Anwalt­stä­tigkeit des Richters auf diesen Druck ausüben wollten, damit er sich selbst für befangen erkläre. Das Landgericht verwarf die Beschwerde unter Hinweis darauf, dass eine dritte Person dem Richter in einem Anruf nahe gelegt habe, sich aus dem Strafverfahren gegen den Mandanten der Beschwer­de­führer zurückzuziehen, weil sonst kompro­mit­tierende Veröf­fent­li­chungen über das Privatleben des Richters drohten. Die gegen die Durch­su­chungs­a­n­ordnung gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde war erfolgreich. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht stellte fest, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts die Beschwer­de­führer in ihrem Recht auf Unver­letz­lichkeit der Wohnung verletzen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

In einem Durch­su­chungs­be­schluss muss der Ermitt­lungs­richter ein dem Beschuldigten angelastetes Verhalten schildern, das die Voraussetzungen eines Strafgesetzes erfüllt. Die Schilderung braucht nicht so vollständig zu sein wie die Sachver­halts­dar­stellung in einer Anklage oder einem Urteil. Es müssen aber ein Verhalten oder sonstige Umstände geschildert werden, die alle wesentlichen Merkmale des Straf­tat­be­standes erfüllen. Nur wenn der zur Kontrolle des Eingriffs berufene Richter sich den in Frage kommenden Straftatbestand vergegenwärtigt, kann die Verhält­nis­mä­ßigkeit vollständig geprüft werden, weil die Zumutbarkeit des Eingriffs auch von der Schwere der vorgeworfenen Tat abhängt.

Der Vorwurf einer versuchten Nötigung verlangt – in Abgrenzung zur straflosen Vorbe­rei­tungs­handlung – ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes. Dazu muss der Täter mit der Anwendung der Nötigungsmittel beginnen. Das Amtsgericht hat nicht dargelegt, dass die Beschwer­de­führer irgendetwas unternommen hätten, um dem Richter zu drohen. Als ihnen angelastetes Verhalten werden Recherchen im persönlichen Lebensbereich des Richters genannt. Als Drohung hätte der Richter dieses Verhalten allenfalls dann verstehen können, wenn es ihm bekannt gewesen wäre. Das Amtsgericht legt aber nicht dar, dass die Beschwer­de­führer damit begonnen hätten, es ihm zur Kenntnis gelangen zu lassen. Das Landgericht behebt diesen Mangel nicht durch den Verweis auf den Anruf einer dritten Person bei dem Richter, die kompro­mit­tierende Veröf­fent­li­chungen in Aussicht gestellt habe. Es hätte einer Schilderung bedurft, auf welche Weise die Beschwer­de­führer diesen Anruf veranlasst haben könnten. Die befassten Gerichte schildern zudem keinen Tatplan oder ein Verhalten, mit dessen Ausführung begonnen worden wäre, das als eine verwerfliche Nötigungs­handlung bewertet werden könnte. Den Beschwer­de­führern wird angelastet, den Ausschluss des früher als Rechtsanwalt tätigen Richters aus einem Strafverfahren gegen dessen früheren Mandanten zu betreiben. Um den mit einer Durchsuchung von Kanzleiräumen verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die räumlich geschützte Sphäre der Berufsausübung eines Rechtsanwalts rechtfertigen zu können, hätten die Gerichte sorgfältiger erwägen müssen, ob es sich dabei um ein erlaubtes Prozess­ver­halten im Interesse des Mandanten handelte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 90/06 des BVerfG vom 10.10.2006

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