24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss15.07.2010

BVerfG zum Rechtsschutz eines Gefangenen nach Unterbringung in Haftraum mit rassistischen SchmierereienGefangener muss beschmierte Wände und grob unhygienische Haftraum­be­din­gungen nicht hinnehmen

Das Rechts­schut­z­in­teresse eines Strafgefangenen ist zu bejahen, wenn eine gegen die Menschenwürde verstoßende Haftrau­mun­ter­bringung – zum Beispiel durch rassistische Schmierereien an den Zellenwänden – in Rede steht. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Der strafgefangene Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Falls war im Zuge von Transporten zweimal jeweils kurzzeitig im Transporthaus einer nieder­säch­sischen Straf­voll­zugs­anstalt untergebracht. Nach der zweiten dortigen Unterbringung beantragte er beim Landgericht u. a. die gerichtliche Feststellung, dass die zuständige Justiz­voll­zugs­anstalt durch die Anordnung seiner Unterbringung in dem Transporthaus seine Menschenwürde (Art. 1 GG) verletzt habe. Die Haftraumwände seien mit Hakenkreuzen und - vom Beschwer­de­führer in Beispielen wiedergegebenen - rassistischen, Gewalt androhenden Texten versehen gewesen, und es habe sich Kot an den Wänden befunden. Schon bei der früheren Unterbringung seien die Wände in dem Transporthaus in ähnlicher Weise - insbesondere mit antisemitischen Äußerungen rohster Art - beschmiert gewesen. Das Landgericht wies seinen Antrag mit der Begründung zurück, dass angesichts der Beendigung der Unterbringung der Beschwer­de­führer kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechts­wid­rigkeit mehr habe. Das Oberlan­des­gericht verwarf die hiergegen erhobene Rechts­be­schwerde als unzulässig.

Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlan­des­ge­richts verletzen Beschwer­de­führer in Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die mit der Verfas­sungs­be­schwerde angegriffenen Beschlüsse der Fachgerichte aufgehoben, soweit sie den Feststel­lungs­antrag des Beschwer­de­führers betreffen, und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlan­des­ge­richts verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

LG verkennt verfas­sungs­ge­richt­lichen Maßstäbe für Fortbestehen eines Rechts­schut­z­in­teresses

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Das Landgericht hat die verfas­sungs­ge­richt­lichen Maßstäbe verkannt, die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG für das Fortbestehen eines Rechts­schut­z­in­teresses ergeben.

Achtung der Würde eines Menschen verbietet es grundsätzlich, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraum­be­din­gungen auszusetzen

Ein Rechts­schut­z­in­teresse für die Feststellung der Rechts­wid­rigkeit einer erledigten Maßnahme besteht unter anderem dann, wenn die Feststellung eines gewichtigen Grund­recht­s­ein­griffs begehrt wird, gegen den nach dem typischen Ablauf wirksamer Rechtsschutz nicht vor Erledigung zu erlangen ist. Das Rechts­schut­z­in­teresse ist zudem zu bejahen, wenn eine gegen die Menschenwürde verstoßende Haftrau­mun­ter­bringung in Rede steht. Die von Art. 1 Abs. 1 GG geforderte Achtung der Würde, die jedem Menschen unabhängig von seiner gesell­schaft­lichen Stellung, seinen Verdiensten oder der Schuld, die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines Personseins zukommt, verbietet es grundsätzlich, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraum­be­din­gungen auszusetzen. Dies gilt auch insoweit, als die Unerträg­lichkeit der Verhältnisse im Haftraum durch Verhal­tens­weisen anderer Gefangener bedingt ist, und betrifft auch mit physischem oder verbalem Kot beschmierte Haftraumwände. Schutz vor solchen Wider­wär­tig­keiten, selbst strafbarer Art, mag, wie das Nieder­säch­sische Justiz­mi­nis­terium geltend macht, im Haftvollzug nicht ausnahmslos und unter allen Umständen erreichbar sein. Die Straf­voll­stre­ckungs­kammer hatte jedoch im vorliegenden Fall nicht den geringsten Anlass zu der Annahme, dass staat­li­cherseits alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden waren, um den vom Beschwer­de­führer dargestellten Verhältnissen entge­gen­zu­wirken oder zu vermeiden, dass er ihnen ausgesetzt wurde. Die vom Beschwer­de­führer geschilderten Zustände deuteten vielmehr auf das Gegenteil hin.

Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts für Bundes­ver­fas­sungs­gericht nicht nachvollziehbar

Die Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts verstößt ebenfalls gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Die nicht weiter begründete Annahme, die Überprüfung des landge­richt­lichen Beschlusses sei weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, ist nicht nachvollziehbar. Es lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Landgericht seine mit der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts unvereinbare Rechts­auf­fassung nicht auch künftigen Entscheidungen zugrunde legen werde.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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