18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss16.03.2005

Begrenzung der steuerlichen Abziehbarkeit von Kinder­be­treu­ungs­kosten Allein­er­zie­hender verfas­sungs­widrig

Das Gebot horizontaler Steuer­gleichheit und das Verbot der Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbieten es, die einkom­men­steu­erliche Freistellung der erwer­bs­be­dingten Kinder­be­treu­ungs­kosten allein­er­zie­hender Elternteile um eine zumutbare Belastung zu kürzen. Dies entschied der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts.

Nach § 33 c Abs. 1 Einkom­men­steu­er­gesetz (EStG) können Alleinstehende ihre erwerbs- oder krank­heits­be­dingten Kinder­be­treu­ungs­kosten bis zu einem bestimmten Höchstbetrag (§ 33 c Abs. 3 EStG) als außer­ge­wöhnliche Belastungen steuerlich absetzen. Durch das Jahressteu­er­gesetz 1997 wurde § 33 c Abs. 1 Satz 1 EStG im letzten Halbsatz dahingehend ergänzt, dass Betreu­ungs­kosten nur nach Abzug einer zumutbaren Belastung berücksichtigt werden.

Die Klägerin im Ausgangs­ver­fahren ist geschieden. Im Streitjahr 1997 erzielte sie Einkünfte aus nicht­selbst­ständiger Arbeit. Ihre damals 8- jährige Tochter lebte in ihrem Haushalt. Für deren Betreuung wandte die Klägerin im Streitjahr 1997 1.820,-- DM auf und machte diesen Betrag in ihrer Steuererklärung geltend. Das beklagte Finanzamt berücksichtigte nur 904,-- DM der Kinder­be­treu­ungs­kosten, da es die entstandenen Aufwendungen um eine zumutbare Belastung in Höhe von 916,-- DM kürzte. Im folgenden Klageverfahren setzte das Finanzgericht Berlin das Verfahren aus und legte dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 33 c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG verfas­sungs­widrig und daher nichtig sei, soweit Kinder­be­treu­ungs­kosten erst nach Abzug einer zumutbaren Belastung berücksichtigt werden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 GG Abs. 1) gebietet, Steuer­pflichtige bei gleicher Leistungs­fä­higkeit gleich hoch zu besteuern ("horizontale" Steuer­ge­rech­tigkeit). Eine verminderte Leistungs­fä­higkeit durch eine Unter­halts­ver­pflichtung gegenüber einem Kind muss in diesem Vergleich berücksichtigt werden. Art. 6 Abs. 1 GG verbietet es, Eltern und allein­er­ziehende Elternteile gegenüber Kinderlosen zu benachteiligen.

Kinder­be­treu­ungs­kosten, die wegen der Erwer­b­s­tä­tigkeit eines allein stehenden Elternteils zwangsläufig erwachsen, mindern dessen finanzielle Leistungs­fä­higkeit. Kinderlose mit gleichem Einkommen haben eine solche Einbuße an finanzieller Leistungs­fä­higkeit nicht. Das Gebot der horizontalen Steuer­gleichheit sowie das Benach­tei­li­gungs­verbot aus Art. 6 Abs. 1 GG gebieten daher zumindest, die durch erwerbsbedingte Kinder­be­treu­ungs­kosten entstandene tatsächliche Minderung der finanziellen Leistungs­fä­higkeit zu berücksichtigen. Sie müssen daher als zwangsläufige Aufwendungen der grundrechtlich geschützten privaten Lebensführung grundsätzlich in reali­täts­ge­rechter Höhe abziehbar sein.

Die Abzugs­be­schränkung bei Kinder­be­treu­ungs­kosten durch Anrechnung einer zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) lässt sich nicht unter Berück­sich­tigung der gesetz­ge­be­rischen Typisie­rungs­be­fugnis rechtfertigen. Mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG wäre allein eine typisierende Beschränkung vereinbar, die das Ziel verfolgt, zwar tatsächlich entstandene, aber über das notwendig zu berück­sich­tigende Maß hinaus gehende Kinder­be­treu­ungs­kosten vom Abzug auszuschließen. Insoweit ist der Gesetzgeber berechtigt, mit einer sachgerechten Pauschalierung eine Obergrenze festzulegen. Dem wird die Anrechnung einer zumutbaren Belastung gem. § 33 c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997 nicht gerecht. Diese Anrechnung wirkt sich in allen Fällen als Kürzung der Höchstbeträge aus, in denen der Aufwand für die Kinderbetreuung die Höhe des jährlich ohne weiteres abziehbaren Pauschbetrages von 480,-- DM (§ 33 c Abs. 4 EStG 1997) übersteigt, aber auf Grund des Abzugs der zumutbaren Belastung unterhalb des Höchstbetrages liegt.

Aus der Verfas­sungs­wid­rigkeit der Begrenzung der Abziehbarkeit von Kinder­be­treu­ungs­kosten von Alleinstehenden folgt mit rückwirkender Wirkung die Nichtigkeit von § 33 c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 42/05 des BVerfG vom 24.05.2005

der Leitsatz

Das Gebot horizontaler Steuer­gleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Verbot der Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen verbieten es, die einkom­men­steu­erliche Freistellung der erwer­bs­be­dingten Kinder­be­treu­ungs­kosten allein­er­zie­hender Elternteile um eine zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) zu kürzen.

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