23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.10.2009

BVerfG: Steuerliche Anrechnung des Kindergeldes nicht verfas­sungs­widrigHinzurechnung des Kindergeldes zur Einkommensteuer auch bei unter­halts­recht­lichen Mangelfällen mit Grundgesetz vereinbar

Eine Hinzurechnung des Kindergeldes zur Steuerschuld ist gemäß § 31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG auch bei Nichtanrechnung auf den Unterhalt mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die mit dem Unterhalt und der Betreuung von Kindern verbundenen Belastungen der Eltern werden durch steuerliche Freibeträge und durch die Zahlung von Kindergeld ausgeglichen. Für den hier zu betrachtenden Veran­la­gungs­zeitraum 2001 maßgeblich sind die Bestimmungen des Einkom­men­steu­er­ge­setzes in der Fassung des Gesetzes zur Famili­en­för­derung vom 22. Dezember 1999. Danach wird die steuerliche Freistellung in Höhe des Existenz­mi­nimums eines Kindes einschließlich des Betreu­ungs­bedarfs durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das monatlich als Steuervergütung gezahlte Kindergeld bewirkt. Die Freibeträge werden nur dann vom Einkommen des Steuer­pflichtigen abgezogen, wenn die gebotene steuerliche Freistellung nicht bereits durch das monatlich gezahlte Kindergeld bewirkt wird („Günsti­ger­prüfung“). Sind bei der steuerlichen Veranlagung die Freibeträge abzuziehen, wird das gezahlte Kindergeld der tariflichen Einkommensteuer hinzugerechnet. Nicht steuerlich zusam­men­ver­an­lagten Eltern stehen die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG jeweils zur Hälfte zu. Da das Kindergeld nur einem Berechtigten - wie im Ausgangs­ver­fahren meist dem betreu­ungs­un­ter­halts­pflichtigen Elternteil - ausgezahlt wird (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG), steht für die steuerliche Hinzurechnung ein zivil­recht­licher Ausgleichs­an­spruch dem Erhalt von Kindergeld gleich (§ 31 Satz 5 EStG). Nach den im Veran­la­gungs­zeitraum geltenden unter­halts­recht­lichen Vorschriften war gemäß § 1612 b Abs. 1 BGB das auf das Kind entfallende Kindergeld zur Hälfte auf den Unterhalt anzurechnen, wenn es nicht an den barun­ter­halts­pflichtigen Elternteil ausgezahlt wurde. Gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB unterblieb die Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhalt aber, soweit der Unter­halts­pflichtige außerstande war, Unterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten (sog. Mangelfall).

BFH legt Frage hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen das Grundgesetz dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht vor

Der Bundesfinanzhof sah sich in einem Revisi­ons­ver­fahren gegen die Festsetzung der Einkom­mens­steuer eines geschiedenen Ehegatten, der für seine nicht in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder barun­ter­halts­pflichtig ist, an einer Entscheidung gehindert und hat dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob in unter­halts­recht­lichen Mangelfällen die Hinzurechnung des Kindergeldes zur Einkommensteuer gemäß § 31 Satz 5 in Verbindung mit § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen das Grundgesetz verstoße.

Kein Verstoß gegen das Grundgesetz

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass § 31 Satz 5 und § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar sind, auch soweit Steuer­pflichtige von der Regelung des § 1612 b Abs. 5 BGB betroffen sind. Mit dem verfas­sungs­recht­lichen Gebot der steuerlichen Verschonung des Existenz­mi­nimums des Steuer­pflichtigen und seiner unter­halts­be­rech­tigten Familie und dem allgemeinen Gleichheitssatz ist vereinbar, dass die um die Freibeträge verminderte Einkommensteuer auch bei den Steuer­pflichtigen um die Hälfte des gezahlten Kindergeldes erhöht wird, die nicht in der Lage sind, Unterhalt in Höhe von 135 Prozent des Regelbetrags nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten. Die Entscheidung ist mit 7:1 Stimmen ergangen.

Existenz­not­wendigen Minde­st­auf­wen­dungen für Kindesunterhalt für alle Steuer­pflichtige einheitlich in steuerlicher Bemes­sungs­grundlage berücksichtigt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: Die verfas­sungs­rechtlich gebotene Verschonung des kindbedingten Existenz­mi­nimums wird in - hier allein zu betrachtenden - Fällen wie dem des Ausgangs­ver­fahrens dadurch bewirkt, dass das Einkommen des Steuer­pflichtigen um die Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG vermindert wird. Der Gesetzgeber hat sich damit für eine verfas­sungs­rechtlich zulässige genera­li­sierende Regelung entschieden, mit der die existenz­not­wendigen Minde­st­auf­wen­dungen für Kindesunterhalt bei allen Steuer­pflichtigen in gleicher Weise in der steuerlichen Bemes­sungs­grundlage berücksichtigt werden. Das dem Steuer­pflichtigen als monatlich gezahlte Steuervergütung (§ 31 Satz 3 EStG) zugeflossene Kindergeld ist zur Vermeidung doppelter Berück­sich­tigung des Kindes­exis­tenz­mi­nimums zurück­zu­ge­währen, indem es zur tariflichen Einkommensteuer hinzugerechnet wird (§ 31 Satz 5 EStG).

Entsprechend dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers fließt das Kindergeld dem barun­ter­halts­pflichtigen Elternteil auch in den Fällen zu, in denen eine Anrechnung des Kindergeldes auf den Barunterhalt nach § 1612 b Abs. 5 BGB ganz oder teilweise unterblieben ist, weil es vorrangig zur Auffüllung des Kindes­un­terhalts zu verwenden war (sog. Mangelfall).

Unter­halts­pflichtiger muss im Mangelfall geschuldeten Unterhalt auf Barexis­tenz­minimum aufstocken

Ein gemäß § 31 Satz 5 EStG auszu­glei­chender Zufluss des Kindesgeldes ist nicht nur dann anzunehmen, wenn der Steuer­pflichtige über das Kindergeld, das ihm für ein Kind zusteht, beliebig verfügen kann. Da den Eltern Kindergeld vor allem zugunsten des Kindes für dessen sächliches Existenzminimum sowie für seinen Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbil­dungs­bedarf gezahlt wird, trifft die Regelung des § 1612 b Abs. 5 BGB eine Zweckbestimmung für die Verwendung des Kindergeldes. Hinter dieser Ausgestaltung steht die materielle Verpflichtung des Barun­ter­halts­pflichtigen, im Mangelfall den gemäß § 1612 a Abs. 1, § 1612 b Abs. 1 BGB geschuldeten Unterhalt auf das Barexis­tenz­minimum (135 Prozent des Regelsatzes nach der Regelsatz-Verordnung) aufzustocken. Insofern stellt sich die Regelung wirtschaftlich als Erhöhung der Unter­halts­ver­pflichtung des Barun­ter­halts­pflichtigen dar. Änderungen der individuellen Unterhaltslast berühren indes das System der steuerlichen Entlastung des Unter­halts­pflichtigen im Wege generalisierter Freibeträge nicht, solange diese das Kindes­exis­tenz­minimum angemessen abdecken, was im vorliegenden Verfahren nicht in Zweifel gezogen worden ist.

Kindergeld soll geringere Leistungs­fä­higkeit des Elternteils ausgleichen

Ein Verstoß gegen die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen gesetzlicher Regelungs­be­fugnis lässt sich nicht feststellen. Die steuerliche Entlastung kindesbedingter Minderung der Leistungs­fä­higkeit der von § 1612 b Abs. 5 BGB betroffenen Steuer­pflichtigen erfolgt nach denselben Bestimmungen wie diejenige anderer Unter­halts­pflichtiger. Die durch diese Vorschrift bewirkten finanziellen Einschränkungen Betroffener sind Konsequenz ihrer geringeren Leistungs­fä­higkeit. Nicht ersichtlich ist, inwiefern daraus eine Verpflichtung des Gesetzgebers folgen könnte, für diesen Personenkreis zur Wahrung des Gleich­heits­satzes besondere, von den allgemeinen Bestimmungen des Famili­en­leis­tungs­aus­gleichs abweichende Regelungen zu schaffen.

Quelle: ra-online, BVerfG

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