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19.11.2025 
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Dokument-Nr. 35579

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Beschluss17.09.2025Bundesverfassungsgericht2 BvL 20/17, 2 BvL 21/17, 2 BvL 5/18, 2 BvL 6/18, 2 BvL 7/18, 2 BvL 8/18, 2 BvL 9/18
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Bundesverfassungsgericht Beschluss17.09.2025

Beamten­be­soldung in Berlin über viele Jahre verfas­sungs­widrigBesoldung der Berliner Landesbeamten (Besol­dungs­ordnung A) im Zeitraum 2008 bis 2020 weit überwiegend verfas­sungs­widrig

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Besol­dungs­ord­nungen A des Landes Berlin im Zeitraum 2008 bis 2020 mit wenigen Ausnahmen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt.

Der Entscheidung liegen mehrere Vorlagen des Oberver­wal­tungs­ge­richts Berlin-Brandenburg sowie des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts zu einzelnen Besol­dungs­gruppen und Zeiträumen zwischen 2008 und 2017 zugrunde. Die Prüfung wurde durch den Senat auf alle Besol­dungs­ord­nungen A und auf den gesamten Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2020 erweitert.

In seinem Beschluss entwickelt der Senat seine bisherige Rechtsprechung fort. Die gerichtliche Kontrolle, ob die Besoldung evident unzureichend und Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) deshalb verletzt ist, vollzieht sich in drei Schritten: Erforderlich ist – erstens, sofern Anlass dafür besteht – eine Prüfung des Gebots der Mindest­be­soldung (Vorabprüfung). Es bedarf – zweitens – einer zweistufigen Prüfung des Gebots, die Besoldung der Beamten fortlaufend an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaft­lichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards anzupassen (Forts­chrei­bungs­prüfung). Schließlich – drittens – ist, sofern die Vorabprüfung oder die Forts­chrei­bungs­prüfung einen Verstoß gegen das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip ergibt, zu prüfen, ob dieser Verstoß ausnahmsweise verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt ist.

Im Ergebnis stellt der Senat fest, dass rund 95 % der geprüften Besol­dungs­gruppen in den Jahren 2008 bis 2020 mit dem Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar und damit verfassungswidrig sind. Der Gesetzgeber des Landes Berlin hat verfas­sungs­konforme Regelungen bis zum 31. März 2027 zu treffen.

Sachverhalt

Den Vorlagen liegen sieben Klagen von Beamtinnen und Beamten im Dienst des Landes Berlin zugrunde, welche die Feststellung begehren, dass ihre Besoldung nicht amtsangemessen war. Sowohl ihre Widersprüche als auch ihre Klagen vor dem Verwal­tungs­gericht Berlin blieben erfolglos. Das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg hat zwei Berufungs­ver­fahren ausgesetzt und dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vorgelegt, ob die Besoldung im Land Berlin in den Besol­dungs­gruppen A 7, A 8 und A 9 in bestimmten, näher bezeichneten Jahren mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar war. In den übrigen Verfahren hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht auf die Revisionen der Kläger dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vorgelegt, ob die Besoldung in den Besol­dungs­gruppen A 9, A 10 und A 11 in den jeweils betroffenen Jahren mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar war.

Wesentliche Erwägungen des Senats

Die Vorschriften über die Besoldung der Beamten in den Besol­dungs­ord­nungen A des Landes Berlin der Jahre 2008 bis 2020 sind zu großen Teilen mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar.

I. Die Vorlage ist auf sämtliche Besol­dungs­ord­nungen A des Landes Berlin sowie auf den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2020 zu erweitern.

Die Besonderheiten des Beamtenrechts rechtfertigen hier eine Erweiterung des Prüfungs­ge­gen­standes über den Vorla­ge­ge­genstand hinaus. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes zur Durchsetzung des Anspruchs auf amtsangemessene Besoldung steht vor der Herausforderung, dass es für die Besoldung sowohl von Verfassungs wegen als auch nach einfachem Recht eines Parla­ments­ge­setzes bedarf. Eine erfolgreiche Klage auf amtsangemessene Besoldung setzt daher eine verfas­sungs­ge­richtliche Normenkontrolle voraus. Angesichts der Vielzahl von Besol­dungs­ord­nungen und Besol­dungs­gruppen birgt die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen auf amtsangemessene Besoldung das Potenzial, die Arbeits­fä­higkeit des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts bis hin zu einer Blockade zu beeinträchtigen. Die Erweiterung der Prüfungs­ge­gen­stände ist schließlich auch deshalb sinnvoll, weil die vorliegende Entscheidung für zahlreiche vergleichbare Verfahren aus anderen Ländern relevant ist. Schließlich ist sie auch mit Blick auf den Grundsatz der Völker­rechts­freund­lichkeit des Grundgesetzes und insbesondere die Gewähr­leis­tungen der Europäischen Menschrechts­kon­vention geboten.

II. Der verfas­sungs­rechtliche Maßstab, an dem die Rechts­grundlagen für die Besoldung der Beamten zu messen sind, ergibt sich aus Art. 33 Abs. 5 GG.

1. Das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG verpflichtet den Dienstherrn, Beamten und ihren Familien lebenslang einen amtsan­ge­messenen Unterhalt zu gewähren. Es hat – im Zusammenwirken mit dem Lebens­zeit­prinzip – vor allem die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten im Interesse einer fachlich leistungs­fähigen, rechts­s­taat­lichen und unparteiischen Verwaltung zu gewährleisten. Das Berufs­be­am­tentum sichert auf diese Weise das Prinzip der freiheitlichen Demokratie gegen Übergriffe zusätzlich ab.

2. Die Garantie eines amtsan­ge­messenen Unterhalts stellt eine den Besol­dungs­ge­setzgeber in die Pflicht nehmende Gestal­tungs­di­rektive dar, bei deren konkreter Umsetzung der Gesetzgeber einen weiten Entschei­dungs­spielraum besitzt. Er überschreitet die Grenzen dieses Spielraums, wenn die Besoldung im Hinblick auf Zweck und Gehalt des Alimen­ta­ti­o­ns­prinzips evident unzureichend ist. Dies unterliegt der Kontrolle durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Mit dem Gestal­tungs­spielraum des Gesetzgebers korrespondiert eine materielle Darlegungslast, der – sofern sie nicht bereits im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren erfüllt worden ist – nachträglich im Gerichts­ver­fahren durch den über die maßgeblichen Erwägungen unterrichteten Dienstherrn genügt werden kann. Sie tritt an die Stelle der in der bisherigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts geforderten Einhaltung prozeduraler Anforderungen.

Die verfas­sungs­ge­richtliche Kontrolle muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Gewähr dafür bieten, dass dem – nicht zum Streik berechtigten – Beamten mit dem gerichtlichen Rechtsschutz ein wirksames Mittel zur Verfügung steht, sein individuelles verfas­sungs­mäßiges Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt gerichtlich durchzusetzen. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass nach dem Fachrecht die prozessuale Risiko­ver­teilung einseitig zulasten des Beamten ausgestaltet ist, weil dieser eine Erhöhung der Besoldung nur auf dem Klagewege erwirken kann. Deshalb müssen die der gerichtlichen Kontrolle allgemein zugrunde gelegten Maßstäbe den Beamten in die Lage versetzen, die Verfas­sungs­kon­formität der Besoldung einzuschätzen und auf dieser Grundlage eine informierte Rechts­schut­zent­scheidung zu treffen.

3. Die Freiheit des im aktiven Dienst befindlichen Beamten von existenziellen finanziellen Sorgen setzt voraus, dass seine Besoldung mindestens so bemessen ist, dass sie einen hinreichenden Abstand zu einem ihn und seine Familie treffenden realen Armutsrisiko sicherstellt. Ein solcher Abstand ist nach Erkenntnissen der Armutsforschung nur gewahrt, wenn das Einkommen die sogenannte Preka­ri­täts­schwelle von 80 % des Median-Äquiva­len­zein­kommens erreicht (Gebot der Mindest­be­soldung).

a) Das Median-Äquiva­len­zein­kommen ist ein statistischer Ansatz, um die nominalen Netto-Haushalt­s­ein­kommen einer Gesellschaft durch differenzierte Gewichtung nach Zahl und Alter der Haushalts­mit­glieder miteinander vergleichbar zu machen.

b) Die in der Senats­recht­sprechung bisher vorgenommene Prüfung am Maßstab des Grund­si­che­rungs­niveaus wird fortentwickelt. Denn durch den Bezug zur Grundsicherung wird nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Alimentation des Beamten und seiner Familie etwas qualitativ anderes ist als staatliche Hilfe zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung. Während die Grundsicherung an die Bedürftigkeit der Betroffenen anknüpft und auf die zur Sicherung des menschen­würdigen Daseins unbedingt erforderlichen Mittel beschränkt ist, steht die Besoldung im Zusammenhang mit der spezifischen Pflich­ten­stellung des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn und ist nach der Bedeutung seines status­recht­lichen Amtes zu bemessen. Ausweislich vom Senat angestellter Vergleichs­be­rech­nungen führt dies nicht zu einer substanziellen Erhöhung des Mindest­be­sol­dungs­niveaus.

c) Wird bei der zur Prüfung gestellten Besol­dungs­gruppe die Schwelle zur Prekarität unterschritten, liegt allein hierin ein Verstoß gegen das Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip. Einer Prüfung, ob der Gesetzgeber seiner Pflicht zur konti­nu­ier­lichen Fortschreibung der Besoldungshöhe am Maßstab der Entwicklung der allgemeinen wirtschaft­lichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards gerecht geworden ist, bedarf es dann nicht. Eine Unterschreitung der Mindest­be­soldung ist jedoch noch der Rechtfertigung durch kollidierendes Verfas­sungsrecht zugänglich.

4. Ob der Gesetzgeber unabhängig von der Erfüllung des Gebots der Mindest­be­soldung der Entwicklung der allgemeinen wirtschaft­lichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards bei der konti­nu­ier­lichen Fortschreibung der Besoldung über die Jahre hinweg Rechnung getragen hat, muss anhand einer zweistufigen Gesamtschau verschiedener Kriterien beurteilt werden (Forts­chrei­bungs­prüfung).

a) Auf der ersten Prüfungsstufe sind ein Vergleich der Besol­dungs­ent­wicklung mit der Entwicklung von drei volks­wirt­schaft­lichen Vergleichs­größen (Tariflohnindex, Nomina­l­lohnindex, Verbrau­cher­prei­sindex) sowie ein systeminterner Besol­dungs­ver­gleich, dem das Abstandsgebot zugrunde liegt, vorzunehmen. Die Besol­dungs­ent­wicklung wird ebenso wie die Entwicklung der volks­wirt­schaft­lichen Vergleichs­größen methodisch jeweils mit Hilfe eines auf das feste Basisjahr 1996 zurückgehenden Index erfasst. Damit geht im Ergebnis eine erhebliche Vereinfachung der Prüfung für die Fachge­richts­barkeit einher. Zugleich dient sie der Gewährleistung effektiven – also zeitnahen – Rechtsschutzes.

Eine deutliche Abweichung der Besol­dungs­ent­wicklung von der Entwicklung einer der drei genannten Vergleichs­größen von mindestens 5 % ist jeweils ein Indiz für eine evidente Missachtung des Alimen­ta­ti­o­ns­prinzips (erster bis dritter Parameter).

Der vierte Parameter ergibt sich aus einem systeminternen Besol­dungs­ver­gleich, dem das Abstandsgebot als eigenständiger hergebrachter Grundsatz des Berufs­be­am­tentums zugrunde liegt. Die „amts“-angemessene Besoldung ist notwen­di­gerweise eine abgestufte Besoldung. Eine Verletzung des Abstandsgebots kann entweder in der deutlichen Verringerung der Abstände zwischen Besol­dungs­gruppen (unmittelbarer Verstoß) oder in der Unterschreitung der gebotenen Mindest­be­soldung in einer niedrigeren Besol­dungs­gruppe (mittelbarer Verstoß) bestehen.

b) Auf der zweiten Prüfungsstufe sind die Ergebnisse der ersten Prüfungsstufe stets mit weiteren alimen­ta­ti­o­ns­re­le­vanten Kriterien im Rahmen einer wertenden Betrachtung zusam­men­zu­führen. Sind mindestens zwei Parameter erfüllt, besteht eine Vermutung für eine verfas­sungs­widrige Unterbesoldung. Wird kein Parameter erfüllt, wird eine amtsangemessene Besoldung vermutet. Ist ein Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe auf der zweiten Stufe besonders eingehend gewürdigt werden. Auf der ersten Prüfungsstufe festgestellte Vermutungen können sowohl erhärtet als auch widerlegt werden. Die wertende Betrachtung aller alimen­ta­ti­o­ns­re­le­vanten Aspekte ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers.

5. Eine gegen das Gebot der Mindest­be­soldung verstoßende oder nach den vorstehenden Maßstäben unzureichend fortge­schriebene Besoldung kann ausnahmsweise verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt sein. Die Garantie des Art. 33 Abs. 5 GG ist – soweit sie mit anderen verfas­sungs­recht­lichen Wertent­schei­dungen oder Instituten kollidiert – entsprechend dem Grundsatz der praktischen Konkordanz im Wege der Abwägung zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Indes vermögen allein die Finanzlage der öffentlichen Haushalte oder das Ziel der Haushalts­kon­so­li­dierung den Grundsatz der amtsan­ge­messenen Alimentation nicht einzuschränken.

III. An diesen Maßstäben gemessen verstoßen die der Prüfung unterzogenen Besol­dungs­vor­schriften des Landes Berlin bezüglich der Besol­dungs­ord­nungen A für die Jahre 2008 bis 2020 mit wenigen Ausnahmen gegen Art. 33 Abs. 5 GG.

1. Für den überwiegenden Teil dieser Vorschriften ist bereits festzustellen, dass sie die verfas­sungs­rechtlich gebotene Mindest­be­soldung nicht sicherstellen. Die Prüfung ergibt, dass die verfas­sungs­rechtlich gebotene Mindest­be­soldung in den Jahren 2008 und 2009 in den Besol­dungs­gruppen A 2 bis A 9, in den Jahren 2010 bis 2015 in den Besol­dungs­gruppen A 4 bis A 10 und in den Jahren 2016 bis 2020 in den Besol­dungs­gruppen A 4 bis A 11 unterschritten wird. Hieraus folgt, dass im gesamten der Prüfung unterliegenden Besol­dungs­spektrum 57,8 % der Jahres­net­to­beträge der Besol­dungs­ord­nungen A die Mindest­be­soldung verfehlen.

2. Unabhängig von der Unterschreitung der Preka­ri­täts­schwelle in den vorgenannten Besol­dungs­gruppen und Jahren hat der Gesetzgeber seine Pflicht zur konti­nu­ier­lichen Fortschreibung der Besoldung in zahlreichen Besol­dungs­gruppen und Jahren evident verletzt.

a) Im Rahmen der ersten Prüfungsstufe ergibt sich anhand eines Vergleichs des Besoldungsindex mit den indexierten Werten für die relevanten Vergleichs­größen (Tariflohn, Nominallohn, Verbrau­cher­preise) sowie eines systeminternen Besol­dungs­ver­gleichs (Abstandsgebot), dass für zahlreiche Besol­dungs­gruppen (A 4 bis A 16) und Zeiträume die Vermutung für eine Unter­a­li­men­tation besteht, weil von den gegenüber der bisherigen Rechtsprechung auf insgesamt vier reduzierten Parametern jeweils mindestens zwei erfüllt sind.

Der sich aus einem systeminternen Besol­dungs­ver­gleich ergebende vierte Parameter ist jedenfalls für die Besol­dungs­gruppen A 10 bis A 16 in den Jahren 2008 und 2009, für die Besol­dungs­gruppen A 11 bis A 16 in den Jahren 2010 bis 2015 und für die Besol­dungs­gruppen A 12 bis A 16 in den Jahren 2016 bis 2020 wegen mittelbarer Verstöße gegen das Abstandsgebot erfüllt. Angesichts der bis weit in den gehobenen Dienst reichenden Unterschreitung der Mindest­be­soldung ist das Besol­dungs­gefüge nachhaltig erschüttert. Damit ist für sämtliche oberhalb der von der Unterschreitung der Preka­ri­täts­schwelle unmittelbar betroffenen Besol­dungs­gruppen liegenden oberen fünf bis sieben Besol­dungs­gruppen als Folgewirkung eine mittelbare Verletzung des Abstandsgebots anzunehmen.

b) aa) Die Vermutung der Unter­a­li­men­tation wird durch eine wertende Betrachtung auf der zweiten Prüfungsstufe nicht widerlegt. Die Nichtbeachtung des Alimen­ta­ti­o­ns­prinzips bei der konti­nu­ier­lichen Fortschreibung der Besoldung lässt sich nicht durch gegenläufige Aspekte entkräften. Derartige Aspekte hat der insoweit darle­gungs­be­lastete Gesetzgeber nicht aufgezeigt. Sie sind auch sonst nicht erkennbar.

Besonders fällt ins Gewicht, dass das Land Berlin nach der Födera­lis­mus­reform I im Jahr 2006 für die Grund­ge­haltssätze der A-Besoldung über einen erheblichen Zeitraum hinweg bewusst von einer landes­recht­lichen Anpassung der Bezüge absah. Die letzte lineare Besol­dungs­er­höhung (um 1 %) datierte auf den 1. August 2004, bis schließlich das Land Berlin mit dem Gesetz zur Besoldungs- und Versor­gungs­an­passung für Berlin 2010/2011 erstmals eine eigenständige Regelung traf. An diese Phase des vollständigen Ausfalls der Gestal­tungs­ver­ant­wortung knüpften dann erste lineare Erhöhungen an, die aber durch den ersatzlosen Wegfall der in den Jahren 2008 und 2009 auf 940 Euro jährlich erhöhten Sonderzahlung gegenfinanziert und damit letztlich konterkariert wurden. Anzuerkennen ist zwar, dass die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip in den Gesetz­ge­bungs­ver­fahren der Jahre 2016 bis 2020 zur Kenntnis genommen wurde. Aber die Anstrengungen sind – insbesondere in Ansehung der faktischen Versteinerung der Grund­ge­haltssätze in den Jahren 2004 bis 2010 – unzureichend, um die feststellbare evidente Abkoppelung der Besoldung von der allgemeinen wirtschaft­lichen Entwicklung wirksam zu korrigieren und damit dem Gewähr­leis­tungs­gehalt von Art. 33 Abs. 5 GG zu entsprechen.

bb) Für die Besol­dungs­gruppen A 14 und A 15 in den Jahren 2016 und 2017, für die Besol­dungs­gruppe A 14 im Jahr 2019 und für die Besol­dungs­gruppen A 14, A 15 und A 16 im Jahr 2020 kann bei einer eingehenden Würdigung aller alimen­ta­ti­o­ns­re­le­vanten Kriterien eine Verletzung von Art. 33 Abs. 5 GG nicht festgestellt werden.

3. Die festgestellte Unter­a­li­men­tation kann auch nicht durch kollidierendes Verfas­sungsrecht gerechtfertigt werden.

IV. Als Gesamtergebnis ist festzuhalten, dass rund 95 % der zu prüfenden Besol­dungs­gruppen in den Jahren 2008 bis 2020 mit dem Alimen­ta­ti­o­ns­prinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar und damit verfas­sungs­widrig sind.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/pt)

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