14.11.2024
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Urteil12.05.2009Bundesverfassungsgericht2 BvL 1/00
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Bundesverfassungsgericht Urteil12.05.2009

Jubilä­ums­rück­stel­lungen nach dem EStG verfas­sungsgemäßArbeitgebern durften Rückstellungen von Zuwendungen für Dienstjubiläen untersagt werden

Die in § 52 Absatz 6 Satz 1 und Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des Steuer­re­form­ge­setzes 1990 war mit dem Grundgesetz vereinbar. Arbeitgebern bleibt es somit verboten, Arbeitnehmern Zuwendungen für Dienstjubiläen in der Form von bilanziellen Rückstellungen bereits vor ihrer Auszahlung gewinnmindernd zu berücksichtigen. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Bis zum Inkrafttreten des Steuer­re­form­ge­setzes vom 25. Juli 1988 beurteilte sich die Frage, ob und in welcher Weise der Arbeitgeber Zuwendungen für Dienstjubiläen seiner Arbeitnehmer und vergleichbare Gratifikationen in der Form von bilanziellen Rückstellungen bereits vor ihrer Auszahlung gewinnmindernd berücksichtigen kann, nach den allgemein für Rückstellungen geltenden Regeln. Die Frage der Zulässigkeit von Rückstellungen für Jubilä­ums­zu­wen­dungen hat der Bundesfinanzhof seit 1960 unterschiedlich beurteilt. In einem Grundsatzurteil im Jahr 1987 entschied er, dass - anders als nach früheren Entscheidungen und abweichend von der Verwal­tung­s­praxis, die solche Rückstellungen im Regelfall nicht anerkannt hatte - Rückstellungen für Jubilä­ums­zu­wen­dungen regelmäßig nicht nur gebildet werden durften, sondern auch gebildet werden mussten. Im Anschluss daran ordnete das Bundes­mi­nis­terium der Finanzen mit Erlass vom 28. Dezember 1987 an, dass es im Hinblick auf eine mögliche Geset­ze­s­än­derung nicht zu beanstanden sei, wenn entgegen der derzeitigen Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs in der Steuerbilanz eine Jubilä­ums­rück­stellung nicht oder nicht in voller Höhe ausgewiesen werde, es sei denn, die Zusage sei rechts­ver­bindlich in schriftlicher Form erteilt und dem Berechtigten stehe für jeden Fall der vorzeitigen Beendigung des Dienst­ver­hält­nisses mindestens ein entsprechender Teil der Zuwendung zu. Mit dem Steuer­re­form­gesetz 1990 vom 25. Juli 1988 fügte der Gesetzgeber dann zwei spezielle Normen in das Einkom­men­steu­er­gesetz ein, die die Bildung der Jubilä­ums­rück­stel­lungen in sachlicher (§ 5 Abs. 4 EStG) und zeitlicher (§ 52 Abs. 6 EStG) Hinsicht begrenzten. Nach § 52 Abs. 6 EStG (a.F.) galt für die Jahre 1988 bis 1992 ein Rückstel­lungs­verbot und für bereits zuvor gebildete Rückstellungen ein Gebot, diese innerhalb von drei Jahren gewinnerhöhend aufzulösen. Wesentlicher Hintergrund für diese dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht vorgelegte Bestimmung war die Befürchtung, es werde ohne die Neuregelung infolge der Möglichkeit, Rückstellungen für in der Vergangenheit erteilte Zusagen im Anschluss an die neue Rechtsprechung nachzuholen, zu erheblichen Steuerausfällen, möglicherweise bis zu 5 Milliarden DM, kommen.

Sachverhalt

Im Ausgangs­ver­fahren begehren die als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger die Anerkennung einer den Gewinn aus Gewerbebetrieb mindernden Rückstellung für eine Jubiläumszusage für das Streitjahr 1988. Der Kläger hatte den Arbeitnehmern seines Dienst­leis­tungs­un­ter­nehmens eine solche Zusage im Jahr 1981 durch Aushang am Schwarzen Brett bekanntgemacht. Das Finanzamt ließ im Einkom­men­steu­er­be­scheid 1988 auf der Grundlage des § 52 Abs. 6 EStG in der Fassung des Steuer­re­form­ge­setzes 1990 eine Zuführung zur Rückstellung per 31. Dezember 1988 nicht zu und löste die bereits in den Vorjahren gebildete Rückstellung in Höhe eines Drittels auf. Die dagegen gerichtete Sprungklage wies das Finanzgericht als unbegründet ab. Im Revisi­ons­ver­fahren legte der X. Senat des Bundes­fi­nanzhofs dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage zur Prüfung vor, ob § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG in der Fassung des Steuer­re­form­ge­setzes 1990 mit dem Rückstel­lungs­verbot für die Jahre 1988 bis 1992 und dem Auflösungsgebot für vorangehend gebildete Jubilä­ums­rück­stel­lungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß.

Verfas­sungs­widrige Ungleich­be­handlung liegt nicht vor

Der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts kam zu dem Ergebnis, dass die in § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 des Einkom­men­steu­er­ge­setzes in der bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des Steuer­re­form­ge­setzes 1990 vom 25. Juli 1988 mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar war. Danach weicht die Regelung zwar von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass für die steuerliche Gewin­n­er­mittlung das handels­rechtliche Vorsichts­prinzip maßgeblich ist, jedoch unterliegt diese Abweichung jedenfalls bei Rückstellungen für ungewisse Verbind­lich­keiten lediglich den verfas­sungs­ge­richtlich zurückhaltend zu kontrol­lie­renden Anforderungen des Willkürverbots. In sachlicher Hinsicht bewegt sich die Regelung willkürfrei innerhalb eines weiten gesetzlichen Gestal­tungs­spielraums, auch in zeitlicher Hinsicht fehlen Anhaltspunkte für verfas­sungs­widrige Ungleich­be­hand­lungen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Eine steuer­ge­setzliche Abweichung von der Maßgeblichkeit des handels­recht­lichen Vorsichts­prinzips auch für die steuer­rechtliche Gewin­n­er­mittlung verletzt nur dann das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot folgerichtiger Ausgestaltung steuer­ge­setz­licher Belas­tungs­ent­schei­dungen, wenn sich kein sachlicher Grund für diese Abweichung finden lässt, die einfach­ge­setzliche „Ausnah­me­vor­schrift“ also als willkürlich zu bewerten ist.

Das gleich­heits­rechtliche Gebot der Folge­rich­tigkeit begrenzt die Befugnis des (Steuer-) Gesetzgebers, die zentralen Fragen gerechter Belas­tungs­ver­teilung weitgehend ungebunden zu entscheiden. Das Verfas­sungsrecht, namentlich die Grundrechte der Steuer­pflichtigen, bilden hier lediglich einen allgemeinen Rahmen für die weitgehende Gestal­tungs­freiheit des Gesetzgebers. Bei der Ausgestaltung seiner Vertei­lungs­ent­schei­dungen binden jedoch die verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an Folge­rich­tigkeit und Verhält­nis­mä­ßigkeit die Ausübung der gesetz­ge­be­rischen Freiheit an ein hinreichendes Maß an Rationalität und Abgewogenheit. Soweit darüber hinaus „überzeugende“ dogmatische Strukturen durch eine systematisch konsequente und praktikable Tatbe­stands­aus­ge­staltung entwickelt werden müssen, bleibt dies der Gesetzgebung und der Fachge­richts­barkeit überlassen. Es ist nicht Aufgabe des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, die „Richtigkeit“ von Lösungen komplexer dogmatischer Streitfragen, wie sie für manche Bereiche des Steuer­bi­lanz­rechts und jedenfalls für den Bereich der Rückstellungen typisch sind, zu kontrollieren und zu gewährleisten.

Zu den nicht ohne weiteres verfas­sungs­rechtlich erheblichen Einzel­re­ge­lungen bei der Ausgestaltung von Steuer­tat­be­ständen gehören Entscheidungen des Steuer­ge­setz­gebers zur Begrenzung des Grundsatzes der Maßgeblichkeit und zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbind­lich­keiten nach dem handels­recht­lichen Vorsichts­prinzip.

Alte Geset­ze­s­an­wen­dung­s­praxis war nicht willkürlich

Die zeitlich begrenzte Aufrecht­er­haltung der bis zur Fortentwicklung der Rechtsprechung durch das Urteil des Bundes­fi­nanzhofs vom 5. Februar 1987 - IV R 81/84 - (BFHE 149, 55) geübte langjährige höchst­rich­terlich angeleitete Geset­ze­s­an­wen­dung­s­praxis war weder in sachlicher noch in zeitlicher Hinsicht willkürlich. Der Gesetzgeber hat mit dem Verbot, Rückstellungen für Jubilä­ums­zu­wen­dungen in den Jahren 1988 - 1992 zu bilden, und dem Gebot, bereits gebildete Rückstellungen zeitlich über drei Jahre gestreckt von 1988 bis 1990 aufzulösen, die jahrzehntelange, auf der älteren höchst­rich­ter­lichen Finanz­recht­sprechung beruhende Verwal­tung­s­praxis für weitere fünf Jahre fortgeführt. Unabhängig davon, ob die neuere Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs vor allem mit dem Urteil im Jahr 1987 als ein deutlicher Gewinn an systematischer Klarheit und Konsistenz zu begrüßen ist, verbietet sich die Annahme, die Gründe jener älteren Rechtsprechung für die Unzulässigkeit von Jubilä­ums­rück­stel­lungen seien willkürlich im verfas­sungs­recht­lichen Sinn.

Zum Schutz fiskalischer Interessen durfte alte Rechtspraxis aufrecht­er­halten bleiben

Angesichts einer höchst­rich­terlich begründeten, willkürfreien langjährigen Praxis der Geset­ze­s­an­wendung bewegte sich die Reaktion des Gesetzgebers auf die Hinwendung der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung zur grundsätzlichen Anerkennung von Jubilä­ums­rück­stel­lungen im Jahr 1987, als deren Folge erhebliche Einnah­me­n­ausfälle zu erwarten waren, innerhalb seines weiten Gestal­tungs­spielraums. Er durfte nicht zuletzt auch zum Schutz fiskalischer Interessen die alte Rechtspraxis durch ein befristetes Rückstel­lungs­verbot und ein begleitendes Auflösungsgebot zunächst - bis zum Geltungsbeginn einer grundsätzlichen gesetzlichen Neugestaltung der Rechtslage - aufrecht­er­halten.

Auch in zeitlicher Hinsicht führt die gestufte gesetz­ge­be­rische Reaktion auf die Änderung der höchst­rich­ter­lichen Finanz­recht­sprechung nicht zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieselben Gründe, die es ausschließen, eine willkürliche inhaltliche Wider­sprüch­lichkeit aus der zeitlichen Abfolge der gestuften gesetz­ge­be­rischen Reaktion auf die Entscheidung des Bundes­fi­nanzhofs abzuleiten, schließen auch die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG in zeitlicher Hinsicht aus. Der Beginn des Rückstel­lungs­verbots und des Auflö­sungs­gebots im Jahr 1988 war die unmittelbare Reaktion auf die Entscheidung des Bundes­fi­nanzhofs im Jahr 1987, und das Ende des Verbots zum Zeitpunkt des Anwen­dungs­beginns der Neuregelung ab dem Jahr 1993 entsprach den Interessen an einer haushalts­scho­nenden Bewältigung der Rechtslage. Dieses fiskalische Interesse an der befristeten Aufrecht­er­haltung einer willkürfreien „alten“ Rechtslage verbunden mit dem Ziel, eine einheitliche, gleich­heits­s­tiftende Ausgangslage für die Neuregelung zu schaffen, liefert hinreichende sachliche Gründe für die damit verbundenen Ungleich­be­hand­lungen in der Zeit.

Keine Verletzung des Prinzips des rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzes

Die zur Überprüfung gestellte Regelung des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG a.F. enthielt keine verfas­sungs­rechtlich unzulässige Rückwirkung, die das Prinzip des rechts­s­taat­lichen Vertrau­ens­schutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Vertrau­ens­schutz konnte weder durch die zunächst uneinheitliche Rechtsprechung des Bundes­fi­nanzhofs entstehen noch dadurch, dass eine Recht­spre­chung­s­än­derung aufgrund erheblicher Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Rahmen­be­din­gungen offensichtlich geboten und erwartbar gewesen wäre. Auch die Zeit zwischen der Veröf­fent­lichung des Urteils des Bundes­fi­nanzhofs vom 5. Februar 1987 und dem am 25. Juli 1988 verabschiedeten und am 3. August 1988 in Kraft getretenen Steuer­re­form­gesetz 1990 begründet keinen Vertrau­ens­schutz, da bei objektiver Betrachtung nicht mit dem Fortbestand der nunmehr vom Bundesfinanzhof klargestellten Rechtslage gerechnet werden konnte.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 58/09 des BVerfG vom 09.06.2009

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