21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil26.01.2005

Bundes­ver­fas­sungs­gericht kippt Verbot von Studiengebühren

Art. 1 Nr. 3 und 4 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschul­rah­men­ge­setzes (6. HRGÄndG), der die Länder auf den Grundsatz der Gebüh­ren­freiheit des Studiums und zur Bildung verfasster Studie­ren­den­schaften an den Hochschulen verpflichtet, ist nichtig. Dem Bundes­ge­setzgeber fehlt das Gesetz­ge­bungsrecht. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Die Regelungen zur Gebüh­ren­freiheit des Studiums und zur Bildung verfasster Studie­ren­den­schaften fallen dem Gegenstand nach in die Rahmen­ge­setz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a GG). Der Bund hat aber nur dann das Gesetz­ge­bungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebens­ver­hältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaft­s­einheit im gesamt­s­taat­lichen Interesse eine bundes­ge­setzliche Regelung erforderlich macht (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt:

Studiengebühren (Art. 1 Nr. 3 6. HRGÄndG)

1. Unter dem Aspekt gleichwertiger Lebens­ver­hältnisse ist eine bundes­ge­setzliche Regelung über die Erhebung von Studiengebühren nicht erforderlich.

Das Ziel, möglichst breiten Kreisen der Bevölkerung den Zugang zum Hochschul­studium zu eröffnen, erfordert eine bundes­ein­heitliche Regelung nicht. Auf die bildungs­po­li­tische Einschätzung der Erhebung allgemeiner Studiengebühren kommt es für das Gesetz­ge­bungsrecht des Bundes nicht an. Ein Bundesgesetz wäre erst dann zulässig, wenn sich abzeichnete, dass die Erhebung von Studiengebühren in einzelnen Ländern zu einer mit dem Rechtsgut Gleich­wer­tigkeit der Lebens­ver­hältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führt. Dafür bestehen jedoch zurzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Für die Wahl des Studienorts und der Hochschule ist eine Vielzahl von Faktoren von Bedeutung. Soweit finanzielle Erwägungen bei dieser Wahl überhaupt eine Rolle spielen, sind Studiengebühren in der bislang diskutierten Größenordnung im Vergleich zu den Lebens­hal­tungs­kosten von nachrangiger Bedeutung. Vor allem aber ist anzunehmen, dass die Länder bei Einführung von Studiengebühren in eigen­ver­ant­wort­licher Wahrnehmung der verfas­sungs­rechtlich begründeten Aufgabe zu sozial­staat­licher, auf die Wahrung gleicher Bildungschancen bedachter Regelung den Belangen einkom­mens­schwacher Bevöl­ke­rungs­kreise angemessen Rechnung tragen werden.

Auch der Aspekt, dass Unterschiede in der Erhebung von Studiengebühren zwischen den Ländern erhebliche Wande­rungs­be­we­gungen der Studierenden auslösen würden und es dadurch zu Kapazi­täts­eng­pässen und Quali­täts­ver­lusten der studien­ge­büh­ren­freien Hochschulen kommen könnte, rechtfertigt eine bundes­ein­heitliche Regelung nicht. Es ist schon nicht ausreichend belegt, dass Studierende den Studienort maßgeblich unter dem Aspekt möglicher Studiengebühren wählen. Selbst wenn man von Wande­rungs­be­we­gungen ausginge, hat ein Land daraus resultierende Nachteile grundsätzlich in eigener Verantwortung zu bewältigen. Voraussetzung einer bundes­ge­setz­lichen Regelung ist insoweit, dass vorhersehbare Einbußen in den Lebens­ver­hält­nissen von den betroffenen Ländern durch eigenständige Maßnahmen entweder gar nicht oder nur durch mit anderen Ländern abgestimmte Regelungen bewältigt werden können. Dies lässt sich nicht feststellen.

2. Eine bundes­ein­heitliche Regelung ist auch nicht zur Wahrung der Wirtschaft­s­einheit im gesamt­s­taat­lichen Interesse erforderlich.

Das Ziel, möglichst viele Befähigte an das Studium heranzuführen und ihnen einen berufs­qua­li­fi­zie­renden Hochschul­ab­schluss zu ermöglichen, liegt zwar im gesamt­wirt­schaft­lichen Interesse. Es ist aber nicht ersichtlich, dass unter­schiedliche Landes­re­ge­lungen über die Erhebung von Studiengebühren dieses Ziel in erheblicher Weise beeinträchtigen könnten. Denn die Länder sind bundesrechtlich verpflichtet, den Hochschul­un­terricht auf geeignete Weise jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Befähigungen zugänglich zu machen. Darüber hinaus bietet die Möglichkeit, allgemeine Studiengebühren einzuführen und auszugestalten, den Ländern die Chance, die Qualität der Hochschulen und eine wertbewusste Inanspruchnahme ihrer Leistungen zu fördern und auf diese Weise auch Ziele der Gesamt­wirt­schaft zu verfolgen.

3. Zur Wahrung der Rechtseinheit ist eine bundes­ge­setzliche Regelung ebenfalls nicht erforderlich. Unter­schied­liches Landesrecht in Bezug auf Studiengebühren beeinträchtigt nicht unmittelbar die Rechts­si­cherheit im Bundesstaat.

Verfasste Studie­ren­den­schaften (Art. 1 Nr. 4 6. HRGÄndG) Das Ziel, die Voraussetzungen für eine bundesweite Vertretung der Studierenden als Ansprechpartner der Bundesregierung in hochschul­po­li­tischen Fragen zu schaffen, rechtfertigt eine bundes­ge­setzliche Regelung nicht. Denn es kann nicht angenommen werden, dass Bundesregierung und Bundes­ge­setzgeber ohne eine bundesweit insti­tu­ti­o­na­li­sierte Inter­es­sen­ver­tretung der Studierenden Gefahr liefen, Problemlagen und Sachge­ge­ben­heiten nicht angemessen zu erfassen und zu bewältigen. Die Nichtigkeit der Regelung über die Pflicht zur Bildung von Studie­ren­den­schaften erfasst auch die mit ihr untrennbar verbundene Bestimmung über deren Aufgaben und Verfassung.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 8/2005 des BVerfG vom 26. Januar 2005

der Leitsatz

Dem Bund ist es gemäß Art. 75 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG gegenwärtig verwehrt, die Gesetzgebung der Länder durch Rahmen­vor­schriften auf den Grundsatz der Gebüh­ren­freiheit des Studiums und zur Bildung verfasster Studie­ren­den­schaften an den Hochschulen zu verpflichten.

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