14.11.2024
14.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 8660

Drucken
Beschluss13.10.2009Bundesverfassungsgericht2 BvE 4/08
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss13.10.2009

Keine Zustimmung des Deutschen Bundestages für erneuten KFOR-Einsatz der Bundeswehr notwendigFortsetzung des Bundes­wehr­ein­satzes nach kosovarischen Unabhän­gig­keits­er­klärung ohne erneute Zustimmung zulässig

Für die Bundesregierung besteht keine Notwendigkeit vor einem erneuten KFOR-Einsatz der Bundeswehr im Kosovo die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht und verwarf damit einen gegen die Bundesregierung gerichteten Antrag der Fraktion DIE LINKE.

Seit 1999 beteiligt sich die Bundeswehr an der internationalen KFOR-Mission im Kosovo, die auf der Grundlage eines UNO-Mandats unter der Führung der NATO steht und ein Wieder­auf­flammen der gewaltsamen Kämpfe zwischen Serben und Kosovo-Albanern zu verhindern sucht. Im Februar 2008 erklärte sich der Kosovo unter Loslösung von Serbien einseitig für unabhängig und wurde seither von zahlreichen Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, völkerrechtlich anerkannt. Nach der Unabhän­gig­keits­er­klärung hielt die Bundesregierung an dem laufenden militärischen Engagement der Bundeswehr fest. Hiergegen richtet sich das Organ­streit­ver­fahren der Fraktion DIE LINKE. Sie ist der Ansicht, dass sich durch die kosovarische Unabhän­gig­keits­er­klärung tatsächliche und rechtliche Umstände wesentlich verändert hätten, und beantragt festzustellen, dass vor der Fortsetzung des KFOR-Einsatzes der Bundeswehr eine erneute Zustimmung des Deutschen Bundestages hätte eingeholt werden müssen.

Fortsetzung des Bundes­wehr­ein­satzes nach der Unabhän­gig­keits­er­klärung des Kosovo nicht zu beanstanden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat den gegen die Bundesregierung gerichteten Antrag gemäß § 24 BVerfGG verworfen. Nach dieser Vorschrift können Anträge durch einstimmigen Beschluss des Gerichts verworfen werden, wenn sie unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind. Der Senat beanstandet die Fortsetzung des Bundes­wehr­ein­satzes nach der Unabhän­gig­keits­er­klärung des Kosovo nicht. Von Verfassungs wegen gab es keine Verpflichtung der Bundesregierung, unverzüglich eine erneute Zustimmung des Deutschen Bundestages herbeizuführen.

Zustim­mungs­be­schluss des Deutschen Bundestages unter bestimmten Aspekten erforderlich

In der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts ist geklärt, dass die Bundeswehr ein Parlamentsheer ist. Deshalb bedarf jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der grundsätzlich vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages. Aus diesem sogenannten Parla­ments­vor­behalt folgt, dass die Bundesregierung eine erneute Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einem Streit­kräf­te­einsatz herbeiführen muss, wenn tatsächliche oder rechtliche Umstände wegfallen, die der Zustim­mungs­be­schluss als notwendige Bedingungen für einen Einsatz nennt. Für die Frage, wann ein neuer Zustim­mungs­be­schluss des Deutschen Bundestages erforderlich wird, sind im vorliegenden Fall Aspekte der Rechts­si­cherheit und der Rechtsklarheit maßgeblich zu berücksichtigen. Danach kann ein parla­men­ta­rischer Zustim­mungs­be­schluss seine Wirkung nicht schon dann verlieren, wenn der Fortbestand von Umständen, an die der Bundestag seine Zustimmung geknüpft hat, lediglich zweifelhaft wird. Vielmehr verlangt der Parla­ments­vor­behalt, dass in Zweifelsfällen der Bundestag die endgültige Bewertung der in Rede stehenden Umstände selbst verantwortet. Er hat - als Herr seiner Zustim­mungs­ent­scheidung - die verfas­sungs­rechtliche Möglichkeit, Zweifel über das Fortbestehen seiner Zustimmung selbst auszuräumen. Gegebenenfalls kann er dazu das ihm zustehende Rückholrecht ausüben, einen Streit­kräf­te­einsatz also förmlich beenden. Entbehrlich - im Sinne einer automatischen Wirkungs­lo­sigkeit der Zustimmung - ist ein derartiger Rückhol­be­schluss nur dann, wenn die Umstände, auf die sich die Zustimmung bezieht, offensichtlich wegfallen. Dieser Evidenzmaßstab ist von Verfassungs wegen geboten, weil das Grundgesetz die Bundesregierung anderenfalls einem Dilemma aussetzte: Sie müsste bei jeder strittigen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände eines Einsatzes neue Zustimmungen des Bundestages rein vorsorglich beantragen, um sich nicht durch ein Unterlassen dem Vorwurf der Verfas­sungs­ver­letzung auszusetzen.

UNO-Mandat für die KFOR-Mission immer noch gültig

Auch nach der kosovarischen Unabhän­gig­keits­er­klärung durfte der Bundes­wehr­einsatz auf Grundlage der zuvor erteilten parla­men­ta­rischen Zustimmung fortgesetzt werden. Entscheidend für die Entbehrlichkeit einer neuen Entscheidung des Deutschen Bundestages ist es, dass die einseitige Loslösung von Serbien nicht in evidenter Weise das völker­rechtliche Einsatzmandat hat entfallen lassen, von dem der Bundestag seine Zustimmung zuvor abhängig gemacht hatte. Das UNO-Mandat für die KFOR-Mission ist vielmehr bis heute weder aufgehoben, noch durch eine neue Resolution ersetzt worden. Es ist unbefristet in Kraft. Ob das UNO-Mandat, wie die Antragstellerin meint, nur formal, nicht aber materiell fortgilt, hat der Senat bei Anlegung des gebotenen Evidenzmaßstabs nicht nachzuprüfen. Das Organ­streit­ver­fahren dient dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht einer allgemeinen Verfassungs- oder gar Völker­rechts­aufsicht. Der Deutsche Bundestag hat auch keine anderen wesentlichen Bedingungen für die Zustimmung formuliert als die Fortgeltung des UNO-Mandats. Einem etwaigen Willen, dem Bundes­wehr­einsatz im Kosovo nur nach Maßgabe bestimmter äußerer Umstände zuzustimmen, hätte der Bundestag in seiner Zustimmung leicht Ausdruck verleihen können. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Quelle: ra-online, BVerfG

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss8660

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI