21.11.2024
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Dokument-Nr. 908

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Bundesverfassungsgericht Urteil25.08.2005

BVerfG weist Klage der beiden Bundes­tags­ab­ge­ordneten gegen Parla­ment­s­auf­lösung abDer Weg für Neuwahlen ist damit geebnet

Mit Urteil vom 25.08.2005 hat der Zweite Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts in Karlsruhe die Klage der beiden Bundes­tags­ab­ge­ordneten Schulz und Hoffmann, die sich gegen die Anordnung des Bundes­prä­si­denten vom 21.07.2005 über die Auflösung des 15. Deutschen Bundestages und über die Festsetzung der Wahl auf den 18.09.2005 gewandt hatten, als unbegründet zurückgewiesen.

Die angegriffenen Entscheidungen des Bundes­prä­si­denten seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Ein dem Zweck des Art. 68 GG wider­spre­chender Gebrauch der Vertrauensfrage, um zur Auflösung des Deutschen Bundestages und zu einer vorgezogenen Neuwahl zu gelangen, lasse sich nicht feststellen. Der Einschätzung des Bundeskanzlers, er könne bei den bestehenden Kräfte­ver­hält­nissen im Deutschen Bundestag künftig keine vom Vertrauen der Parla­ments­mehrheit getragene Politik mehr verfolgen, sei keine andere Einschätzung eindeutig vorzuziehen.

Der Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Zwar greife die Auflösung des Deutschen Bundestages in den Abgeord­ne­ten­status der Antragsteller ein. Dieser Eingriff sei jedoch durch das Grundgesetz erlaubt und daher gerechtfertigt. Die an das Parlament gerichtete Vertrauensfrage entspreche nicht nur den formellen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit, sondern auch dem Zweck des Art. 68 GG und sei somit inhaltlich rechtmäßig.

Ob ein Kanzler über ein verlässliche parla­men­ta­rische Mehrheit verfüge, könne von außen nur eingeschränkt beurteilt werden. Aus den parla­men­ta­rischen und politischen Arbeits­be­din­gungen könne sich ergeben, dass der Öffentlichkeit teilweise verborgen bleibe, wie sich das Verhältnis des Bundeskanzlers zu den seine Politik tragenden Fraktionen entwickle. Es widerspreche dem Zweck des Art. 68 GG nicht, wenn ein Kanzler, dem Niederlagen erst bei künftigen Abstimmungen drohten, bereits eine auflö­sungs­ge­richtete Vertrauensfrage stelle, denn die politische Handlungs­fä­higkeit gehe auch dann verloren, wenn der Kanzler zur Vermeidung offenen Zustim­mungs­verlusts im Bundestag gezwungen sei, von wesentlichen Inhalten seines politischen Konzepts abzurücken und eine andere Politik zu verfolgen. Insoweit habe der Bundeskanzler eine Wertung vorgenommen, die durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht schon praktisch nicht eindeutig überprüft werden könne und auch nicht den üblichen prozessualen Erkennt­nis­mitteln zugänglich sei.

Auch seien die Überprü­fungs­mög­lich­keiten des Gericht schon deshalb zurückgenommen, weil bei der Beurteilung über die Vertrauensfrage schon vorher drei Verfas­sungs­organe, nämlich Kanzler, Parlament und Bundespräsident beteiligt gewesen seien. Das Grundgesetz vertraue insoweit dem System der gegenseitigen politischen Kontrolle und des politischen Ausgleichs zwischen den obersten Verfas­sungs­organen. Im Rahmen des dem Bundeskanzler eingeräumten Einschät­zungs­spiel­raumes könne das Gericht daher nur überprüfen, ob der Einschätzung des Kanzlers aufgrund von Tatsachen eine andere Einschätzung eindeutig vorzuziehen sei und sich die Einschätzung des Kanzlers somit als falsch darstelle. Dies sei jedoch nicht der Fall, da solche, die Einschätzung des Kanzlers eindeutig widerlegende Tatsachen von den Antragstellern nicht vorgetragen seien. Vielmehr habe der Bundeskanzler Tatsachen benannt, die für seine Einschötzung der politischen Kräfte­ver­hältnisse sprächen.

In diesem Zusammenhang sei beispielsweise der Streit innerhalb der SPD über die "Agenda 2010" zu nennen, der zu erheblichen Verlusten bei sämtlichen Landtagswahlen und der Europawahl seit deren Beschluss geführt habe. Aus seiner eigenen Partei seien im Laufe der Wahlperiode und im Zuge der Ausein­an­der­set­zungen über die "Agenda 2010" Forderungen nach seinem Rücktritt als Partei­vor­sit­zender verlautbart worden.

Darüber hinaus habe der Partei- und Frakti­o­ns­vor­sitzende (Müntefering- d.Red.) diese Einschätzung des Bundeskanzlers nachweislich geteilt, indem er dem Kanzler vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen mitgeteilt habe, er habe Sorge um die Handlungs­fä­higkeit seiner Partei und Fraktion. Damit habe dieser in seiner Eigenschaft als 'Gewährleister' der stetigen parla­men­ta­rischen Unterstützung der Regie­rungs­politik und als engster Zusam­me­n­a­r­beiter des Kanzlers deutlich gemacht, dass durch die Fraktion des Bundestages eine Gewähr für die Unterstützung der Politik des Kanzlers nicht mehr übernommen werden könne.

Der Kanzler habe deshalb, auch ob der Kräfte­ver­hältnisse im Bundesrat, seiner Einschätzung zu Grunde legen dürfen, dass eine Durchsetzung seiner politischen Linie gefährdet sei bzw. eine Fortführung der Leitlinien seiner Politik keine Mehrheiten mehr finden würde. Dieser Einschätzung des Bundeskanzlers sei jedoch keine andere Einschätzung eindeutig vorzuziehen, daher sei der dem Kanzler eingeräumt Ermes­sens­spielraum eingehalten worden.

Die Entscheidung ist im Ergebnis mit 7 : 1 Stimmen ergangen, im Hinblick auf den Maßstab der Entscheidung mit 5 : 3 Stimmen. Die Richterin Lübbe-Wolff, die die Entscheidung im Ergebnis mitträgt, sowie der Richter Jentsch, der sie nicht mitträgt, haben der Entscheidung jeweils eine abweichende Meinung angefügt.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG vom 25.08.2005, zusammengefasst von der ra-online Redaktion

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