21.11.2024
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Dokument-Nr. 8197

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Bundesverfassungsgericht Beschluss17.07.2009

BVerfG: Bundesregierung verhält sich verfas­sungs­widrig gegenüber BND-Unter­su­chungs­aus­schussEingeschränkte Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen für Zeugen und das Verweigern von Informationen verletzen das Informations- und Unter­su­chungsrecht des Bundestages

Die eingeschränkte Erteilung von Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen und die Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen der Bundesregierung an BND-Unter­su­chungs­aus­schuss war zum Teil verfas­sungs­widrig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Seit dem Jahr 2004 und insbesondere im Jahr 2005 berichteten die Medien verstärkt über Tätigkeiten des US-amerikanischen und deutschen Nachrich­ten­dienstes (BND) im Zusammenhang mit der Abwicklung von CIA-Flügen mit Terror­ver­dächtigen an Bord über deutsche Flughäfen. Außerdem gab es Meldungen über Tätigkeiten von BND-Mitarbeitern während des Irak-Krieges in Bagdad, der Verschleppung deutscher Staats­an­ge­höriger oder in Deutschland lebender Personen durch US-Stellen und über die Beobachtung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst. Im Jahr 2005 befasste sich sowohl der Deutsche Bundestag als auch das Parla­men­ta­rische Kontrollgremium mit diesen Themen. Die Bundesregierung legte am 20. Februar 2006 dazu einen abschließenden Bericht vor, der vom Parla­men­ta­rischen Kontrollgremium bewertet und teilweise veröffentlicht wurde (BTDrucks 16/800).

Einsetzen eines Unter­su­chungs­aus­schusses

Zur Klärung offener Fragen, vorzunehmender Bewertungen und gebotener Konsequenzen im Zusammenhang mit diesem Bericht beantragten die Fraktion der FDP, die Fraktion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie eine aus drei Abgeordneten bestehende qualifizierte Minderheit des Bundestages (die Antrag­stel­le­rinnen), die Einsetzung eines Unter­su­chungs­aus­schusses. Am 7. April 2006 beschloss das Plenum die Einsetzung dieses Ausschusses und beauftragte ihn im Wesentlichen damit, anhand konkreter benannter Vorgänge und Fragen zu klären, "welche politischen Vorgaben für das Handeln von Bundes­nach­rich­ten­dienst (BND), Bundesamt für Verfas­sungs­schutz (BfV), Militärischem Abschirmdienst (MAD), General­bun­des­anwalt (GBA) und Bundes­kri­mi­nalamt (BKA) gemacht wurden, und wie die politische Leitung und Aufsicht ausgestaltet und gewährleistet wurde."

Hochrangige staatliche Interessen dürfen durch Aussagen keinen Schaden erleiden

Der Chef des Bundes­kanz­le­ramtes wies den Vorsitzenden des Ausschusses nach Aufnahme seiner Arbeit daraufhin, dass die Bundesregierung angesichts ihrer Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Unter­su­chungs­aus­schuss­ver­fahren darauf achten werde, dass hochrangige staatliche Interessen keinen Schaden erleiden werden. Gleichzeitig erhoffe sie eine am Staatswohl orientierte Zusammenarbeit.

Zeugen wird nur eingeschränkte Aussa­ge­ge­neh­migung erteilt

Der Untersuchungsausschuss befasste sich zunächst mit den Komplexen der Verschleppung von E. und K. und vernahm dazu Angehörige und Beamte der Bundesregierung (Antragsgegnerin) und der ihr nachgeordneten Behörden als Zeugen. Wiederholt verweigerten die Zeugen unter Verweis auf eine ihnen nur eingeschränkt erteilte Aussa­ge­ge­neh­migung die weitere Aussage oder gaben auf Fragen der Mitglieder des Unter­su­chungs­aus­schusses keine Antwort. Weiterhin verweigerte die Bundesregierung dem Unter­su­chungs­aus­schuss mehrmals die Vorlage von Akten oder Akten­be­stand­teilen.

Beanstandung mangelnder Kooperation

Die Einschränkungen der Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen, die Ablehnung der Herausgabe der angeforderten Unterlagen und Organigramme und der dazu gegebenen Begründung haben die Antrag­stel­le­rinnen mit ihren verschiedenen genau bezeichneten Anträgen im Organ­streit­ver­fahren vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht beanstandet.

Verhalten der Bundesregierung ist rechtswidrig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die zulässigen Anträge überwiegend begründet sind. Die Bundesregierung (Antragsgegnerin) hat durch die Beschränkung der Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen für benannte Zeugen, durch die Auslegung dieser Beschränkungen und durch die Verweigerung der Vorlage von angeforderten Akten mit den hierfür gegebenen unzureichenden Begründungen das Informations- und Unter­su­chungsrecht des Deutschen Bundestages aus Art. 44 GG verletzt. Pauschales Berufen auf einen der verfas­sungs­recht­lichen Gründe - wie den Kernbereich exekutiver Eigen­ver­ant­wortung und Gründe des Staatswohls -, die dem parla­men­ta­rischen Unter­su­chungsrecht Grenzen setzen, genügt in keinem Fall.

Unzulässige Verkürzung des parla­men­ta­rischen Unter­su­chungs­rechts

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Die Anträge sind überwiegend begründet, weil die Bundesregierung den Infor­ma­ti­o­ns­an­spruch aus Art. 44 GG in unzulässiger Weise verkürzt hat. Die in den Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen enthaltenen Einschränkungen in Bezug auf den Kernbereich der exekutiven Eigen­ver­ant­wortung und Staats­wohl­belange und die anlässlich der Vernehmung der Zeugen zutage getretene Auslegung dieser Einschränkungen verletzen das Beweis­er­he­bungsrecht des Bundestages. Auch die Auslegung der Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen, wonach Vorgänge aus der Präsi­den­tenrunde und der Nachrich­ten­dienst­lichen Lage nicht von der Aussa­ge­ge­neh­migung erfasst sind, verkürzt in unzulässiger Weise das parla­men­ta­rische Unter­su­chungsrecht.

Durch die Einschränkung der Beweiserhebung sind die Rechte des Deutschen Bundestages und nicht nur die des Unter­su­chungs­aus­schusses verletzt; denn der eingesetzte Unter­su­chungs­aus­schuss übt seine Befugnisse als Hilfsorgan des Bundestages aus. Im Rahmen seines Unter­su­chungs­auf­trages darf er Regie­rungs­mit­glieder sowie Beamte und Angestellte im Verant­wor­tungs­bereich der Bundesregierung als Zeugen vernehmen und diejenigen Beweise erheben, die er für erforderlich hält. Auf die durch­zu­füh­renden Beweis­er­he­bungen finden die Vorschriften der Straf­pro­zess­ordnung sinngemäß Anwendung. Gehören die vom Unter­su­chungs­aus­schuss zu vernehmenden Zeugen einem Personenkreis an, der einer besonderen Verschwie­gen­heits­pflicht unterliegt, kann der Zeuge nur aussagen, wenn er eine u.a. auch eingeschränkte Aussa­ge­n­eh­migung hat.

Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen haben zu weitgehende Beschränkung

Die Bundesregierung ist vorbehaltlich verfas­sungs­recht­licher Grenzen zur Erteilung einer solchen Aussa­ge­ge­neh­migung für Zeugen verpflichtet. Begrenzt wird die Verpflichtung allerdings zunächst durch den im Einset­zungs­be­schluss zu bestimmenden Unter­su­chungs­auftrag, der sich im Rahmen der parla­men­ta­rischen Kontroll­kom­petenz halten und hinreichend deutlich bestimmt sein muss. Im vorliegenden Fall enthalten bereits die Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen selbst eine zu weitgehende Beschränkung, indem sie „insbesondere Angaben über die Willensbildung der Bundesregierung im Kabinett oder ressort­über­greifende und -interne Abstim­mungs­prozesse zur Vorbereitung von Kabinett- und Ressor­tent­schei­dungen“ pauschal von der Genehmigung ausnehmen.

Bei der Auslegung des erteilten Unter­su­chungs­auf­trages steht dem Unter­su­chungs­aus­schuss und der Bundesregierung weder ein Ermes­sens­spielraum noch eine Einschät­zungs­prä­ro­gative zu. Allerdings können sich Gründe, einem Unter­su­chungs­aus­schuss Informationen vorzuenthalten, aus dem Gewal­ten­tei­lungs­grundsatz ergeben.

Auch wenn sich die Kontroll­kom­petenz des Parlaments grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge erstreckt, gebietet der Gewal­ten­tei­lungs­grundsatz, dass parla­men­ta­rische Kontrolle wirksam sein muss. Dies wäre nicht der Fall, wenn die dazu nötigen Informationen aus dem Bereich der Vorbereitung von Regie­rungs­ent­schei­dungen dem Parlament auch nach Abschluss der jeweiligen Vorgänge grundsätzlich verschlossen blieben. Dem parla­men­ta­rischen Zugriff können daher grundsätzlich auch Informationen aus dem Bereich der regie­rungs­in­ternen Willensbildung unterliegen. Bei abgeschlossenen Vorgängen kann gegenüber einem Unter­su­chungs­aus­schuss der pauschale Verweis darauf, dass der Bereich der Willensbildung der Regierung betroffen sei, die Zurückhaltung von Informationen nicht rechtfertigen.

Parla­men­ta­risches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse

Die Berührung des Kernbereichs exekutiver Eigen­ver­ant­wortung kann dem parla­men­ta­rischen Unter­su­chungsrecht in Bezug auf abgeschlossene Vorgänge nur nach Maßgabe einer fallbezogenen Abwägung zwischen dem parla­men­ta­rischen Informationsinteresse auf der einen und der Gefahr einer Beein­träch­tigung der Funkti­o­ns­fä­higkeit und Eigen­ver­ant­wortung durch die einengenden Vorwirkungen eines Infor­ma­ti­o­ns­zugangs auf der anderen Seite entge­gen­ge­halten werden. Die Notwendigkeit zwischen gegenläufigen Belangen abzuwägen, entspricht der doppelten Funktion des Gewal­ten­tei­lungs­grund­satzes als Grund und Grenze parla­men­ta­rischer Kontrollrechte. Dabei ist zu beachten, dass je weiter ein parla­men­ta­risches Infor­ma­ti­o­ns­be­gehren in den innersten Bereich der Willensbildung der Regierung eindringt, desto gewichtiger das parla­men­ta­rische Infor­ma­ti­o­ns­be­gehren sein muss, um sich gegen ein von der Regierung geltend gemachtes Interesse an Vertraulichkeit durchsetzen zu können. Die vorgelagerten Beratungs- und Entschei­dungs­a­bläufe sind demgegenüber einer parla­men­ta­rischen Kontrolle in einem geringeren Maße entzogen. Besonders hohes Gewicht kommt dem parla­men­ta­rischen Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse zu, soweit es um die Aufdeckung möglicher Rechtsverstöße und vergleichbarer Missstände innerhalb der Regierung geht. Damit der Abwägungs­vorgang und die eingestellten Belange überprüft werden können, ist eine substantiierte Begründung der Ablehnung erforderlich, wenn einem Ausschuss Informationen vorenthalten werden sollen.

Staatswohl darf nicht durch Bekanntwerden geheim­hal­tungs­be­dürftiger Informationen gefährdet werden

Eine weitere Grenze des Beweis­er­he­bungs­rechts eines parla­men­ta­rischen Unter­su­chungs­aus­schusses bildet das Wohl des Bundes oder eines Landes (Staatswohl), das durch das Bekanntwerden geheim­hal­tungs­be­dürftiger Informationen gefährdet werden kann. Das Staatswohl ist nicht allein der Bundesregierung, sondern in gleicher Weise auch dem Bundestag anvertraut, so dass der Umgang mit Informationen in einem Unter­su­chungs­aus­schuss eigenen Geheim­schutz­be­stim­mungen unterliegt und dass Beschränkungen des Infor­ma­ti­o­ns­zugangs eines Unter­su­chungs­aus­schusses unter Berufung auf das Staatswohl daher allenfalls unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen.

Mitteilungen über Kontakte mit ausländischen Geheimdiensten sind dem Infor­ma­ti­o­ns­zugriff eines Unter­su­chungs­aus­schusses nicht ohne weiteres aus Gründen der Gefährdung des Staatswohls entzogen. Es liegt nicht auf der Hand, sondern wäre begrün­dungs­be­dürftig gewesen, dass das Bekanntwerden von Einschätzungen US-amerikanischer geheim­dienst­licher Stellen, die dessen Gefährlichkeit betrafen, originäre Geheim­hal­tungs­in­teressen dieser Stellen berühren und deshalb etwa die notwendige künftige Zusammenarbeit belasten könnte. In dem bloßen Umstand, dass das Bekanntwerden derartiger Informationen der Bundesregierung selbst im Hinblick auf ihren eigenen Umgang mit den betreffenden Erkenntnissen Unannehm­lich­keiten bereiten könnte, läge keine Gefährdung des Staatswohls, sondern eine hinzunehmende verfas­sungs­ge­wollte Folge der Ausübung des parla­men­ta­rischen Unter­su­chungs­rechts.

Berufen auf Gefährdung des Staatswohls hier keine ausreichende Begründung

Die pauschale Behauptung der Gefährdung des Staatswohls ist keine Begründung dafür, weshalb die konkret verlangten Unterlagen Sicher­heits­re­levanz besitzen sollen. Soweit ein Risiko des Bekanntwerdens geschützter Informationen zu befürchten ist, kann unter Berufung hierauf die Vorlage von Unterlagen jedenfalls nicht ohne Berück­sich­tigung etwaiger zwischen­zeit­licher Verbesserung der organi­sa­to­rischen Vorkehrungen im Bereich des Ausschusses und nicht ohne eine Begründung verweigert werden, die erkennen lässt, weshalb die fragliche Information von solcher Bedeutung ist, dass auch ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann.

Soweit die Vorbereitung auf Sitzungen parla­men­ta­rischer Gremien in den einzelnen Ressorts dem Kernbereich exekutiver Eigen­ver­ant­wortung zuzuordnen und damit in der Vorbe­rei­tungsphase selbst dem parla­men­ta­rischen Infor­ma­ti­o­ns­zugriff entzogen sein mag, gilt dasselbe nicht ohne weiteres auch nach Abschluss des jeweiligen Vorgangs. Vielmehr bedarf es insoweit einer Abwägung, in die das parla­men­ta­rische Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse mit dem ihm zukommenden Gewicht einzustellen ist.

Das Interesse der Bundesregierung an der Vertraulichkeit von Informationen ist umso schutzwürdiger, je weiter ein Infor­ma­ti­o­ns­be­gehren in den innersten Bereich der Willensbildung der Regierung eindringt. Auch hier ist eine fallbezogene Abwägung erforderlich, die auch das Gewicht des konkreten parla­men­ta­rischen Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses zu würdigen hat.

Vorenthalten von Unterlagen bedarf klarer Begründung

Sollen einem Unter­su­chungs­aus­schuss Unterlagen unter Berufung auf Art. 44 Abs. 2 Satz 2 GG vorenthalten werden, bedarf dies daher einer Begründung, die nicht nur spezifiziert, inwiefern die enthaltenen Informationen auf einem Eingriff in Art. 10 GG beruhen, sondern substantiiert auch darlegt, warum die erhobenen Informationen einem Verbot der Verwertung durch den Ausschuss unterliegen sollen.

Art. 44 GG ist schließlich auch insoweit verletzt, als die Antragsgegnerin Beweis­be­schlüssen, ganz oder teilweise unter Berufung auf fehlenden Bezug zum Unter­su­chungs­ge­genstand nicht nachgekommen ist. Insoweit fehlt es bereits an der erforderlichen Begründung; zudem nimmt die Antragsgegnerin eine Befugnis zu enger Auslegung des Unter­su­chungs­auf­trages und restriktiver Einschätzung der Auftrags­zu­ge­hö­rigkeit in Anspruch, die ihr nicht zusteht.

Soweit über die organi­sa­ti­o­ns­be­zogenen Unterlagen hinaus die erwähnten weiteren, perso­nen­be­zogenen Unterlagen angefordert wurden, verletzt die Ablehnung der Vorlage das parla­men­ta­rische Informations- und Kontrollrecht des Deutschen Bundestages aus Art. 44 GG nicht. Dasselbe gilt für den Umgang der Antragsgegnerin, die die Vorlage aller Unterlagen verlangt, „die im Rahmen der Planung, Einrichtung und Tätigkeit der ‚Besonderen Aufbau­or­ga­ni­sation USA’ des BKA an US-Stellen weitergegeben worden sind, aus der deren jeweiliger Inhalt genau hervorgeht, soweit ein persönlicher Bezug zu einem oder mehreren Personen oder Sachverhalten der Unter­su­chungs­ge­gen­stände. Dafür, dass die Prüfung von einem Verständnis des Unter­su­chungs­auf­trages seitens der Bundesregierung bestimmt gewesen wäre, das mit dem der Antrag­stel­le­rinnen nicht übereinstimmt, haben die Antrag­stel­le­rinnen nichts vorgebracht und ist auch nichts ersichtlich.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 84/09 des BVerfG vom 23.07.2009

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