21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss26.07.2013

Freigabe der Briefwahl ist verfas­sungsgemäßAngabe und Glaub­haft­machung von Gründen für Briefwahl nicht mehr erforderlich

Die Ermöglichung der Briefwahl ohne Angabe von Gründen bei der Europawahl ist verfas­sungsgemäß. Die Grundsätze der freien und geheimen Wahl sowie der Öffentlichkeit der Wahl werden hierdurch nicht verletzt. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht und wies damit eine Wahl­prüfungs­beschwerde gegen die Europawahl 2009 zurück.

Einen Wahlschein, der für die Briefwahl erforderlich ist, erhielt nach früherer Rechtslage, wer sich am Wahltag während der Wahlzeit aus wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbezirks aufhielt, seine Wohnung in einen anderen Wahlbezirk verlegt hatte und nicht in das Wähler­ver­zeichnis des neuen Wahlbezirks eingetragen worden war oder aus beruflichen Gründen oder wegen Krankheit, hohen Alters, einer körperlichen Beein­träch­tigung oder sonst seines körperlichen Zustandes wegen den Wahlraum nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten aufsuchen konnte. Die Gründe für die Erteilung eines Wahlscheines waren glaubhaft zu machen.

Europa- und Bundeswahlrecht hinsichtlich der Angaben für die Briefwahl neu gefasst

Im Dezember 2008 sind das Europa- und das Bundeswahlrecht dahingehend neu gefasst worden, dass ein Wahlbe­rech­tigter, der in das Wähler­ver­zeichnis eingetragen ist, auf Antrag einen Wahlschein erhält. Die Angabe und Glaub­haft­machung von Gründen ist nicht mehr erforderlich.

Beschwer­de­führer wendet sich gegen Gültigkeit der Europawahl 2009

Aufgrund dieser Rechtsänderung wendet sich der Beschwer­de­führer gegen die Gültigkeit der Europawahl 2009. Er beanstandet den Verzicht auf das Begrün­dungs­er­for­dernis für die Teilnahme an der Briefwahl und rügt die aus seiner Sicht mangelnde Fälschungs­si­cherheit und das erhöhte Risiko der ungewollten Abgabe ungültiger Stimmen bei der Briefwahl.

Zulassung der Briefwahl umfassende Wahlbeteiligung ermöglichen und Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung tragen

Die Beschwerde ist nicht begründet. Bei der Briefwahl ist die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe zurückgenommen. Auch ist die Integrität der Wahl nicht gleichermaßen gewährleistet wie bei der Urnenwahl im Wahllokal. Die Zulassung der Briefwahl dient aber dem Ziel, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl stellt - jedenfalls im Zusammenhang mit der Briefwahl - eine zu den Grundsätzen der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl gegenläufige verfas­sungs­rechtliche Grund­ent­scheidung dar, die grundsätzlich geeignet ist, Einschränkungen anderer Grund­ent­schei­dungen der Verfassung zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang ist es zwar in erster Linie Sache des Gesetzgebers, bei der Ausgestaltung des Wahlrechts die kollidierenden Grund­ent­schei­dungen einem angemessenen Ausgleich zuzuführen. Dabei muss er jedoch dafür Sorge tragen, dass keiner der Wahlrechts­grundsätze unver­hält­nismäßig eingeschränkt wird oder in erheblichem Umfang leer zu laufen droht. Das ist derzeit jedoch offenkundig nicht der Fall. Der Senat hat die Briefwahl daher wiederholt als verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt angesehen.

Verzicht auf Angabe von Gründen für Briefwahl beruht auf nachvoll­ziehbaren Erwägungen

Durch den Verzicht auf die Angabe und Glaub­haft­machung bestimmter Gründe für die Erteilung eines Wahlscheines wird dies nicht in Frage gestellt. Dieser Verzicht beruht auf nachvoll­ziehbaren Erwägungen und hält sich noch in dem Gestal­tungs­spielraum, der dem Normgeber von Verfassungs wegen zusteht.

Ziel ist Erreichen einer möglichst umfassenden Wahlbeteiligung

Der Verord­nungsgeber hat mit der Änderung des Europa­wahl­rechts - in Übereinstimmung mit dem Gesetzgeber bei der entsprechenden Änderung des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag - auf die zunehmende Mobilität in der heutigen Gesellschaft und eine verstärkte Hinwendung zu individueller Lebens­ge­staltung reagiert. Dabei hat er sich von dem Ziel leiten lassen, eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen.

Pflicht zur Glaub­haft­machung von Gründen mangels Kontroll­mög­lich­keiten praktisch nutzlos

Die Pflicht zur Glaub­haft­machung von Gründen, die die Teilnahme an der Urnenwahl hinderten, hatte sich nach Einschätzung des Normgebers als praktisch nutzlos erwiesen, da eine auch nur stich­pro­ben­artige Prüfung der angegebenen Gründe nicht möglich war. Nachvollziehbar und verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Einschätzung, jeder Versuch, dem Begrün­dungs­er­for­dernis höhere praktische Geltung zu verschaffen oder den Zugang zur Brief­wahl­teilnahme auf eine andere Weise zu regulieren, sei angesichts der schwindenden Bereitschaft zur Stimmabgabe im Wahllokal mit dem Risiko einer weiter zurückgehenden Wahlbeteiligung behaftet.

Erheblicher Anstieg der Brief­wahl­be­tei­ligung durch Wegfall der Glaub­haft­machung von Antragsgründen nicht zu befürchten

Der Normgeber hat auch in den Blick genommen, dass eine deutliche Zunahme der Briefwähler mit dem verfas­sungs­recht­lichen Leitbild der Urnenwahl in Konflikt geraten könnte. Dass ein erheblicher Anstieg der Brief­wahl­be­tei­ligung durch den Wegfall der Glaub­haft­machung von Antragsgründen jedoch nicht zu befürchten ist, hat der Gesetzgeber für die Bundestagswahl insbesondere mit Erfahrungen bei Landtagswahlen begründet. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung in verfas­sungs­rechtlich relevanter Weise verfehlt oder auf die Wahlen zum Europäischen Parlament nicht übertragbar sein könnte.

Geltende wahlrechtliche Bestimmungen bieten ausreichende Gewähr für den Schutz vor Gefahren

Entgegen dem Vorbringen des Beschwer­de­führers ist gegenwärtig auch nicht erkennbar, dass die geltenden wahlrechtlichen Bestimmungen keine ausreichende Gewähr für den Schutz vor Gefahren bieten, die bei der Durchführung der Briefwahl für die Integrität der Wahl, das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit entstehen können. Der Verord­nungsgeber hat den diesbezüglichen verfas­sungs­recht­lichen Vorgaben bei der Neuregelung des Europa­wahl­rechts Rechnung getragen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss16356

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI