14.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.11.2011

Staatskritik: Bundes­ver­fas­sungs­gericht zum Schutz der Meinungs­freiheit bei straf­recht­licher Beurteilung von Meinung­s­äu­ße­rungen im Bereich des StaatsschutzesText eines Flugblatts gegen Theaterstück über Hitler-Attentäter Georg Elser ist vom Schutzbereich der Meinungs­freiheit umfasst

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat eine straf­ge­richtliche Verurteilung eines Vorstands­mit­glieds eines NPD-Kreisverbandes wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates (§ 90 a Abs. 1 StGB) aufgehoben. Der überwiegend Meinung­s­äu­ße­rungen enthaltende Text des streit­ge­gen­ständ­lichen Flugblatts ist vom Schutzbereich der Meinungs­freiheit umfasst, erklärte das Gericht.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Falls wendet sich mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde gegen ihre straf­ge­richtliche Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Verunglimpfung des Staates (§ 90 a Abs. 1 StGB). Gegenstand des Strafverfahrens war ein Flugblatt, für das die Beschwer­de­führerin als Vorstands­mitglied eines NPD-Kreisverbandes nach außen die presse­rechtliche Verantwortung übernommen hatte. Das Flugblatt war nach der Premiere des Theaterstücks „Georg Elser - allein gegen Hitler“ von unbekannt gebliebenen Personen verteilt worden. Unter der Überschrift „Georg Elser - Held oder Mörder?“ verhält sich der Text in den ersten beiden Absätzen zur Person des „militanten Kommunisten“ Georg Elser und zu dessen gegen Hitler gerichteten Anschlag im Münchener Bürger­bräu­keller 1939, der „acht unschuldige Menschen in den Tod“ gerissen habe. Weiter heißt es im Text:

„Wie sehr ist dieses BRD-System schon verkommen, daß es für seinen ‚K(r)ampf gegen Rechts’ (und damit alles Deutsche!) eines solchen Vorbildes bedarf? Ihn in Filmen und Theaterstücken bejubelt, Schüler zwingt, ihn zu verehren ... ? Werden bald die kommunistischen RAF-Terroristen ebenso geehrt und ihre Opfer verhöhnt? Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!“

Beschwer­de­führerin in grundrechtlich gewährleisteter Meinungs­freiheit verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die straf­ge­richt­lichen Entscheidungen aufgehoben, weil sie die Beschwer­de­führerin in ihrer grundrechtlich gewährleisteten Meinungsfreiheit verletzen und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Überwiegende Meinung­s­äu­ße­rungen des Flugblatts durch Meinungs­freiheit geschützt

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Verfas­sungs­be­schwerde ist begründet. Der überwiegend Meinung­s­äu­ße­rungen enthaltende Text des streit­ge­gen­ständ­lichen Flugblatts ist vom Schutzbereich der Meinungs­freiheit umfasst. Diese ist zwar nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet ihre Grenze unter anderem in den allgemeinen Gesetzen. Die angegriffenen Entscheidungen werden jedoch bei der Anwendung der hier einschlägigen Strafnorm der Bedeutung der Meinungs­freiheit nicht gerecht, weil sie verkannt haben, dass durch die Verteilung des Flugblattes die Schwelle zur Verletzung des durch § 90 a StGB geschützten Rechtsguts noch nicht überschritten ist.

Äußerungen fallen in den Bereich bloßer Polemik, die nicht geeignet sind, Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden

Denn bei Auslegung und Anwendung einer die Meinungs­freiheit einschränkenden Vorschrift im Einzelfall gilt, um der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts Rechnung zu tragen, dass nicht der Inhalt einer Meinung als solcher verboten werden darf, sondern nur die Art und Weise der Kommunikation, wenn sie die Schwelle zu einer sich abzeichnenden Rechts­gut­ver­letzung überschreitet. Da anders als dem einzelnen Staatsbürger dem Staat kein grundrechtlich gewährleisteter Ehrenschutz zukommt, ist im Falle des § 90 a StGB die Schwelle zur Rechts­gut­ver­letzung erst dann überschritten, wenn aufgrund der konkreten Art und Weise der Meinung­s­äu­ßerung der Staat dermaßen verunglimpft wird, dass dies zumindest mittelbar geeignet erscheint, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, die Funkti­o­ns­fä­higkeit seiner staatlichen Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das streitige Flugblatt setzt sich anlässlich der Aufführung des Theaterstücks mit dem zugrunde liegenden historischen Geschehen um Georg Elser auseinander und setzt im Rahmen des öffentlichen Meinungskampfes der unterstellten anderen Wertung des „BRD-Systems“ eine eigene Wertung entgegen. Kernaussage des Flugblattes ist bei einer kontext­be­zogenen objek­ti­vie­renden Betrachtung der Satz „Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!“. Die Darstellung einer Verkommenheit des „BRD-Systems“ ist hingegen weder inhaltlich noch dem Umfang nach thematischer Schwerpunkt des Flugblattes. Bezugspunkt ist auch nicht etwa die verfas­sungs­mäßige Ordnung, sondern mit dem „K(r)ampf gegen Rechts“ lediglich ein politischer Einzelaspekt. Die Äußerungen verbleiben dabei im Bereich bloßer Polemik, so dass eine auch nur mittelbare Eignung des Flugblattes, den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen oder die Friedlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, ausgeschlossen erscheint.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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