21.11.2024
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Dokument-Nr. 526

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Bundesverfassungsgericht Beschluss30.07.2003

BVerfG zum Kopftuch einer muslimischen Verkäuferin in einem Kaufhaus

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Verfas­sungs­be­schwerde (Vb) der Betreiberin eines Kaufhauses, die das Arbeits­ver­hältnis mit einer Verkäuferin mit Kopftuch gekündigt hatte, nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Beschwer­de­führerin (Bf) betreibt ein Kaufhaus. Eine dort seit 1989 beschäftigte muslimische Verkäuferin teilte der Bf mit, sie werde bei ihrer Tätigkeit künftig ein Kopftuch tragen. Ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, der Islam verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Die Bf kündigte daraufhin ordentlich das Arbeits­ver­hältnis. Die Kündi­gungs­schutzklage der Verkäuferin war in 1. und 2. Instanz erfolglos, ihre Revision hatte jedoch vor dem Bundes­a­r­beits­gericht (BAG) Erfolg. Hiergegen richtet sich die Vb. Die Bf sieht sich in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG verletzt. Das BAG trage einseitig den Interessen der Arbeitnehmerin Rechnung, ohne die Berufs- und Vertrags­freiheit des Arbeitgebers ausreichend zu berücksichtigen.

Aus den Entschei­dungs­gründen ergibt sich:

Es liegen keine Gründe für die Annahme der Vb vor. Die Vb hat keine Aussicht auf Erfolg. Das BAG hat bei der Auslegung und Anwendung der Kündi­gungs­vor­schriften den Grund­rechts­schutz des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht verkannt. Im vorliegenden Fall können sich zwei Personen des Privatrechts, nämlich sowohl die gekündigte Arbeitnehmerin wie auch die Bf auf den Schutz ihrer Berufsfreiheit berufen. Der Arbeitnehmerin kommt darüber hinaus auch der Schutz aus Art. 4 Abs. 1 GG zugute, da sie ihren Arbeitsplatz aufgrund eines Verhaltens, zu dem sie sich aus religiösen Gründen verpflichtet fühlt, verlieren soll. Privatpersonen unterliegen grundsätzlich nicht der Bindung der Grundrechte. Gleichwohl sind die Grundrechte auch in privat­recht­lichen Beziehungen von Bedeutung. Sie beeinflussen die Auslegung der zivil­recht­lichen Vorschriften, die im Geiste der Grundrechte ausgelegt und angewandt werden müssen, was sich vor allem auf die zivil­recht­lichen Generalklauseln und die sonstigen ausle­gungs­fähigen und ausle­gungs­be­dürftigen Begriffe auswirkt. Dies gilt auch im Arbeitsrecht. Es ist Sache der Fachgerichte, diesen grund­recht­lichen Schutz durch Auslegung und Anwendung des Rechts zu gewähren und im Einzelfall zu konkretisieren. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht tritt deren Beurteilung und Abwägung von Grund­rechts­po­si­tionen im Verhältnis zueinander nur bei Ausle­gungs­fehlern entgegen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den Rechtsfall von einigem Gewicht sind.

Nach diesen Maßstäben hat das BAG die wechselseitigen Grund­rechts­po­si­tionen der gekündigten Arbeitnehmerin und der Bf erkannt und in plausibler Weise gewürdigt, ohne dass dies verfas­sungs­rechtlich zu beanstanden wäre. Aus den kollidierenden Grund­rechts­po­si­tionen der Arbeitnehmerin und der Bf ergeben sich abstrakt keine Maßstäbe dafür, welches Maß der Einschränkung seiner Kündi­gungs­freiheit der Arbeitgeber letztlich hinnehmen muss, um den Freiheitsraum des Arbeitnehmers im Rahmen des von beiden Parteien freiwillig eingegangenen Verhältnisses zu wahren. In erster Linie haben die Fachgerichte im konkreten Einzelfall des betroffenen Arbeits­ver­hält­nisses abzuwägen, ob eine bestimmte Erwar­tungs­haltung an das Verhalten des Arbeitnehmers eine Kündigung des Arbeits­ver­hält­nisses rechtfertigen kann, wenn der Arbeitnehmer sich im Rahmen seiner grundrechtlich geschützten Freiheiten nicht in der Lage sieht, den an ihn herangetragenen Erwar­tungs­hal­tungen gerecht zu werden. Das BAG hat das Abwägungs­er­gebnis maßgeblich darauf gestützt, dass die Bf betriebliche Störungen oder wirtschaftliche Nachteile nicht hinreichend plausibel dargelegt habe. Darauf deutete weder Branchen­üb­lichkeit noch die Lebenserfahrung hin, zumal die Verkäuferin auch weniger exponiert als in der Parfü­me­rie­ab­teilung des Kaufhauses eingesetzt werden könne. Dies ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Sachgerecht ist es auch, dass das BAG eine konkrete Gefahr des Eintritts der von der Bf befürchteten nachteiligen Folgen verlangt und nicht schon auf einen bloßen Verdacht hin die Glaubens­freiheit der Arbeitnehmerin zurücktreten lässt.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 68/03 des BVerfG vom 21.08.2003

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