18.10.2024
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Dokument-Nr. 525

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Bundesarbeitsgericht Urteil10.10.2002

Bundes­a­r­beits­gericht: Kopftuch ist kein KündigungsgrundKeine verhal­tens­be­dingte Kündigung wegen Tragens eines Kopftuches

Muslimische Arbeit­neh­me­rinnen, die sich weigern, entsprechend einer Anordnung ihres Arbeitgebers auf das Tragen eines Kopftuchs während der Arbeitszeit zu verzichten, können nicht allein deshalb gekündigt werden. Das hat das Bundes­a­r­beits­gericht entschieden.

Die Klägerin ist Muslimin. Sie begann 1989 bei der Beklagten eine Ausbildung als Einzel­han­dels­kauffrau und ist seit deren Abschluß als Verkäuferin beschäftigt. Die Beklagte betreibt in einer hessischen Kleinstadt das einzige Kaufhaus mit insgesamt ca. 100 Arbeitnehmern. Die Klägerin befand sich zuletzt im Erzie­hungs­urlaub. Kurz vor dessen Abschluß teilte sie der Beklagten mit, sie werde bei ihrer Tätigkeit künftig ein Kopftuch tragen; ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, der Islam verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Die Beklagte schloß einen solchen Einsatz aus. Nachdem die Klägerin bei ihrer Auffassung blieb, kündigte die Beklagte das Arbeits­ver­hältnis ordentlich zum 31. Oktober 1999.

Die Klägerin hat Kündi­gungs­schutzklage erhoben. Sie hält die Kündigung für einen unzulässigen, weil unver­hält­nis­mäßigen Eingriff in ihre Glaubens­freiheit. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Einsatz der Klägerin mit einem "islamischen Kopftuch" sei ihr wegen des Zuschnitts ihres Kaufhauses nicht zuzumuten. Eine "Erprobung" könne von ihr wegen des Risikos wirtschaft­licher Nachteile nicht erwartet werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landes­a­r­beits­gericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Bundes­a­r­beits­gericht Erfolg. Die Weigerung der Klägerin, entsprechend der Anordnung der Beklagten auf das Tragen eines Kopftuchs während der Arbeitszeit zu verzichten, rechtfertigt die Kündigung nicht. Die Beklagte hat bei der auf ihr Direktionsrecht gestützten Festlegung von Beklei­dungs­regeln die grundrechtlich geschützte Glaubens­freiheit der Klägerin zu berücksichtigen. Das Tragen eines Kopftuchs aus religiöser Überzeugung fällt in deren Schutzbereich. Zwar genießt auch die unter­neh­me­rische Betäti­gungs­freiheit der Beklagten grund­recht­lichen Schutz. Zwischen beiden Positionen ist ein möglichst weitgehender Ausgleich zu versuchen. Allein die Befürchtung der Beklagten, es werde im Falle des Einsatzes der Klägerin zu nicht hinnehmbaren Störungen kommen, reicht bei dieser Abwägung nicht aus, die geschützte Position der Klägerin ohne weiteres zurücktreten zu lassen. Auch unter Berück­sich­tigung der vom Landes­a­r­beits­gericht festgestellten örtlichen Verhältnisse gibt es keinen Erfahrungssatz, daß es bei der Beschäftigung einer Verkäuferin mit einem "islamischen Kopftuch" in einem Kaufhaus notwen­di­gerweise zu erheblichen wirtschaft­lichen Beein­träch­ti­gungen des Unternehmens etwa durch negative Reaktionen von Kunden kommt. Der Beklagten wäre es zumindest zuzumuten gewesen, die Klägerin zunächst einmal einzusetzen und abzuwarten, ob sich ihre Befürchtungen in einem entsprechenden Maße realisierten und ob dann etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch Kündigung zu begegnen gewesen wäre.

Gegen diese Entscheidung hat das beklagte Kaufhaus Verfas­sungs­be­schwerde eingelegt (BVerfG, Beschluss v. 30.07.2003 - 1 BvR 792/03 -).

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 71/02 des BAG vom 10.10.2002

der Leitsatz

Das Tragen eines - islamischen - Kopftuchs allein rechtfertigt regelmäßig noch nicht die ordentliche Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus aus personen- oder verhal­tens­be­dingten Gründen nach § 1 Abs. 2 KSchG.

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