23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.04.2008

Halbanrechnung der Vordienstzeiten in der Zusatz­ver­sorgung des öffentlichen Dienstes für Bestandsrentner verfas­sungsgemäßBundes­ver­fas­sungs­gericht nimmt Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung an

Die Halbanrechnung der Vordienstzeiten in der Zusatz­ver­sorgung des öffentlichen Dienstes für Bestandsrentner ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes erhalten auf Grund von Versorgungs-Tarifverträgen eine Zusatz­ver­sor­gungsrente, mit der die Rente aus der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung aufgestockt wird. Dem System der Zusatzversorgung der Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder lag bis zum 31. Dezember 2000 das Gesamt­ver­sor­gungs­prinzip zugrunde. Danach sollte dem Versicherten ein bestimmtes Gesamt­ver­sor­gungs­niveau gewährt werden, das sich an der Beamten­ver­sorgung orientierte. Bei der Berechnung der gesamt­ver­sor­gungs­fähigen Zeit wurde die Zeit der Beschäftigung im öffentlichen Dienst voll berücksichtigt. Einbezogen wurden auch die Beitragszeiten und beitragsfreien Zeiten der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung, denen keine Beschäftigung im öffentlichen Dienst zugrunde lag (Vordienstzeiten). Diese wurden aber nur zur Hälfte als gesamt­ver­sor­gungs­fähige Zeit gutgeschrieben, während die damals erworbenen Ansprüche aus der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung in vollem Umfang auf die Gesamt­ver­sorgung angerechnet wurden.

In seiner "Halban­rech­nungs­ent­scheidung" vom 22. März 2000 hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in der Halbanrechnung derartiger Vordienstzeiten bei voller Berück­sich­tigung der gesetzlichen Rente einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz gesehen, der nicht länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden könne.

In der Folgezeit wurde das Gesamt­ver­sor­gungs­system zum 31. Dezember 2000 geschlossen und durch ein Versor­gungs­punk­te­modell ersetzt. Für Bestandsrentner, d. h. für solche Versicherte, die bis zum 1. Januar 2002 versor­gungs­be­rechtigt geworden sind, sehen die Regelungen jedoch vor, dass die bisher gegebenenfalls unter Anwendung des Halban­rech­nungs­grund­satzes errechneten Beträge weitergezahlt werden. Für den betreffenden Personenkreis findet keine Neuberechnung unter Nichtanwendung des Halban­rech­nungs­grund­satzes statt.

Der Beschwer­de­führer bezieht seit dem 1. November 2000 eine Zusatz­ver­sor­gungsrente, die unter Berück­sich­tigung des Halban­rech­nungs­grund­satzes berechnet worden ist. Er klagte vor den Zivilgerichten auf Feststellung, dass vom 1. Januar 2001 an seine Renten­ver­si­che­rungs­zeiten, auch soweit sie nicht im öffentlichen Dienst zurückgelegt worden sind, bei der Errechnung seiner Rente voll einzubeziehen seien. Seine Klage blieb ohne Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Anwendung des Halban­rech­nungs­grund­satzes bei der Berechnung der Versor­gungsrente für solche Versicherte, die - wie der Beschwer­de­führer - bis zum 31. Dezember 2000 versor­gungs­be­rechtigt geworden seien, nicht gegen den Gleichheitssatz verstoße.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die vom Bundes­ge­richtshof vorgenommene Bewertung steht nicht im Widerspruch zur Halban­rech­nungs­ent­scheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts. Auch ansonsten ist die Entscheidung der Tarif­ver­trags­parteien, für den vor dem 2. Januar 2002 in Rente gegangenen Personenkreis die Rente gegebenenfalls unter Anwendung der Halban­rech­nungs­re­gelung zu berechnen, verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Dem Nicht­an­nah­me­be­schluss liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Der Bundes­ge­richtshof hat zutreffend angenommen, dass das Bundes­ver­fas­sungs­gericht in der Halban­rech­nungs­ent­scheidung nicht gemeint hat, dass für alle Rentner, insbesondere auch für diejenigen mit einem vor dem 1. Januar 2001 liegenden Rentenbeginn, die Rente ab dem 1. Januar 2001 nicht mehr von der Halbanrechnung beeinflusst sein dürfe. Die Bewertung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts in der Halban­rech­nungs­ent­scheidung stützt sich vielmehr auf eine Vielzahl von Aspekten, die sich nicht gleichzeitig und schlagartig auswirken. Vor diesem Hintergrund ist es mit der Halban­rech­nungs­ent­scheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vereinbar, den Ablauf des Jahres 2000 als den Zeitpunkt für den Beginn der erforderlichen Syste­mum­stellung zu verstehen, nicht aber als einen Zeitpunkt, ab dem keine Rente mehr von der Halbanrechnung beeinflusst sein dürfte.

2. Die Billigung der Entscheidung der Tarif­ver­trags­parteien durch den Bundes­ge­richtshof, für Bestandsrentner die Rente gegebenenfalls unter Anwendung der Halban­rech­nungs­re­gelung zu berechnen, ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Überg­angs­re­gelung erging im Gefolge des Entschlusses, das 1967 eingeführte, an der Beamten­ver­sorgung orientierte Gesamt­ver­sor­gungs­system aufzugeben. Die Tarif­ver­trags­parteien wollten nicht nur vor dem Hintergrund eines Wandels der typischen Erwer­bs­bio­graphie, sondern auch vor dem Hintergrund einer ständig abnehmenden Attraktivität der Beamten­ver­sorgung den Wert der Annäherung der Versorgung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes an die Beamten­ver­sorgung nicht mehr höher veranschlagen als das Interesse an einer Propor­ti­o­nalität zwischen im öffentlichen Dienst erbrachter Arbeitsleistung und im öffentlichen Dienst bezogener Alters­ver­sorgung. Insoweit haben die Tarif­ver­trags­parteien neue Bewertungen vorgenommen, in die gewandelte gesell­schaftliche Vorstellungen eingeflossen sind. Die Tarif­ver­trags­parteien durften einen solchen Anschau­ungs­wandel nicht nur aufgreifen, sondern durften im Rahmen ihres Beurtei­lungs­spielraums grundsätzlich auch den Zeitpunkt ihrer Reaktion festlegen. Die Entscheidung der Tarif­ver­trags­parteien, für den vor dem 2. Januar 2002 in Rente gegangenen Personenkreis von einer nach den bisherigen Regeln berechneten Rente auszugehen, ist überdies von der Notwendigkeit mitgeprägt, eine Masse­n­er­scheinung zu ordnen. Deswegen durfte hier auch eine genera­li­sierende, typisierende und pauscha­li­sierende Regelung getroffen werden. Dass mit der von den Tarif­ver­trags­parteien konzipierten Regelung in Einzelfällen Härten verbunden sein können, steht deshalb ihrer Rechtfertigung nicht entgegen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 55/08 des BVerfG vom 15.05.2008

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