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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.03.2000
Bundesverfassungsgericht zur Berechnung der von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder gewährten Zusatzrente
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Berechnung der Versorgungsrente von Arbeitnehmern, die bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert sind, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Kammer weist jedoch in ihrem Beschluss darauf hin, dass folgende Satzungsregelungen aus verfassungsrechtlicher Sicht nur noch bis Ende des Jahres 2000 hingenommen werden können:
1. Soweit es um Vordienstzeiten (Beschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes) geht, werden diese nur zur Hälfte bei der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit angerechnet; in dieser Zeit erworbene Rentenansprüche werden jedoch voll auf die Zusatzrente angerechnet.
2. Die von der VBL garantierte Mindestversorgungsrente wird nicht dynamisiert.
Ab dem 1. Januar 2001 verstoßen diese Satzungsregelungen gegen das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Satzungsgeber der VBL hat bis dahin die Berechnungsgrundlagen zu überprüfen.
I.
1. Durch die VBL-Zusatzrente soll Arbeitnehmern des Bundes und der Länder sowie Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe ein Gesamtversorgungsniveau gewährt werden, das sich an der Beamtenversorgung orientiert (Gesamtversorgung). Als gesamtversorgungsfähige Zeit werden bei rentenversicherungspflichten Beschäftigten die im öffentlichen Dienst erreichten Monate voll und Vordienstzeiten zur Hälfte berücksichtigt, soweit letztere beitragspflichtig oder beitragsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung waren.
Als Mindestleistung erhalten die Versicherten eine Mindestversorgungsrente, die sich nach einem bestimmten Prozentsatz der vor 1978 erbrachten Beiträge und der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte seit 1978 bestimmt. Diese Rente ist im Gegensatz zu den regulären Versorgungsrenten nicht dynamisiert, sondern statisch. Die Mindestversorgungsrente wird auch dann gezahlt, wenn die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung über dem ermittelten Gesamtversorgungsbedarf liegt.
2. In Zusammenhang mit den von der VBL gewährten Zusatzrenten hat das BVerfG bisher u.a. folgende Entscheidungen getroffen:
Mit Beschluss vom 15. Juli 1998 hat der Erste Senat § 18 des Betriebsrentengesetzes, der den Fortbestand und die Höhe von Anwartschaften aus der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst bei vorzeitigem Ausscheiden regelt, beanstandet und den Gesetzgeber verpflichtet, bis Ende des Jahres 2000 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 25. August 1999 entschieden, dass es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, wenn bei der Berechnung der Zusatzrenten von Teilzeitbeschäftigten zu deren Ungunsten Steuer- und Soziallasten in dem selben Umfang in Rechnung gestellt werden wie bei einer Vollzeitkraft.
3. Die Beschwerdeführerin (Bf) war von 1972 bis 1982 im öffentlichen Dienst beschäftigt, zunächst ganztags und später halbtags. Seit dem 1. Januar 1983 bezieht sie eine nicht-dynamisierte Mindestrente in Höhe von rund 47 DM monatlich. Auf ihre Klage verurteilte das Amtsgericht die VBL, der Bf eine weitere monatliche Rente in Höhe von rund 21 DM zu zahlen. Die Berufung der Bf blieb erfolglos. Sie hält die Mindestrente für zu gering und erhob Vb gegen die zivilgerichtlichen Urteile und mittelbar gegen die Satzung der VBL.
II.
Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen, jedoch auf Folgendes hingewiesen:
1. Soweit die Bf sich gegen die Berücksichtigung von Zeiten vor Aufnahme der Tätigkeit im öffentlichen Dienst einerseits und die volle Berücksichtigung der Sozialversicherungsrente bei der Bestimmung der Höhe der Zusatzversorgung andererseits zur Wehr setzt, ist Art. 3 Abs. 1 GG (noch) nicht verletzt.
Allerdings wird durch diese Regelung eine große Gruppe von Versorgungsberechtigten, die vor ihrer Beschäftigung im öffentlichen Dienst in der Privatwirtschaft gearbeitet haben, in sachlich nicht gerechtfertigter Weise gegenüber denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern benachteiligt, die ihr ganzes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben. Bei der Zusatzversorgung handelt es sich um eine Betriebsrente, durch die im Grundsatz die Betriebstreue des Mitarbeiters belohnt werden soll. Von daher brauchten so genannte Vordienstzeiten an sich überhaupt nicht berücksichtigt zu werden. Insofern wäre auch gegen die hälftige Berücksichtigung einer Vordienstzeit bei der gesamtversorgungsfähigen Zeit nichts einzuwenden, solange dem Versicherten daraus kein Nachteil erwächst. Es geht aber nicht an, einen Versicherten mit Vordienstzeiten schlechterzustellen als einen Arbeitnehmer, der vor dem Eintritt in den öffentlichen Dienst überhaupt keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat. Dieses Ergebnis tritt aber in vielen Fällen ein, weil der Satzungsgeber eine volle Anrechnung der gesetzlichen Rentenansprüche ungeachtet der bloß hälftigen Berücksichtigung der Vordienstzeiten bei der gesamtversorgungsfähigen Zeit vorsieht. Häufig wird sogar die bereits erarbeitete Sozialversicherungsrente bei Eintritt in den öffentlichen Dienst so hoch sein, dass die noch mögliche Gesamtversorgung, die der Beschäftigte in den künftigen Arbeitsjahren erarbeitet, hiervon aufgezehrt wird, wodurch von Anfang an feststeht, dass die Zusatzversorgung auf die Mindestrente schrumpft.
Die Kammer führt aus, dass das Prinzip der Gesamtversorgung, dem die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst unterliegt, die dargelegte Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen vermag. Die Ungleichbehandlung ist auch gravierend. Sie hält sich aber derzeit noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung. In der Rentengeneration der Bf ist nur eine relativ kleine Gruppe von Versicherten von der geschilderten Problematik betroffen.
Inzwischen liegen diese Voraussetzungen aber nicht mehr vor. Ein bruchloser Verlauf einer Erwerbsbiografie im öffentlichen Dienst ist für die jüngere Versichertengenerationen nicht mehr in hinreichender Weise typisch.
Angesichts dieser Entwicklungen kann die Benachteiligung der Rentner durch die volle Anrechnung der in Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche bei hälftiger Berücksichtigung dieses Teils ihrer Lebensarbeitszeit bei der Berechnung der gesamtversorgungsfähigen Dienstzeit nicht länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Die VBL ist durch die Entscheidung des Ersten Senats des BVerfG vom 15. Juli 1998 (s.o.) ohnehin gezwungen, ihre Satzung bis zu diesem Zeitpunkt grundlegend zu erneuern. Der VBL ist zuzumuten, im Rahmen der anstehenden Reform auch die Probleme verfassungskonform zu lösen, die mit einer Änderung der Vorzeitenregelung unverkennbar verbunden sind.
2. Durch die statische Ausgestaltung der Mindestversorgungsrente wird die Bf gegenüber den Betriebsrentnern in der Privatwirtschaft benachteiligt; denn diesen ist eine turnusmäßige Anpassung nach billigem Ermessen garantiert. Die Benachteiligung ist auch gravierend. Faktisch kann diese Regelung dazu führen, dass - abhängig von der Entwicklung der Löhne und Preise - die Mindestversorgungsrente jedenfalls auf längere Sicht jegliche Bedeutung für den einzelnen Versicherten verliert. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes kann jedoch auch insoweit noch nicht festgestellt werden. Die statische Ausgestaltung steht im Zusammenhang mit den Regelungen, die dem notwendigen und verfassungsrechtlich unbedenklichen Abbau einer planwidrigen Überversorgung dienten, und hält sich insoweit noch im Rahmen einer zulässigen Typisierung.
Im Rahmen der notwendigen gesetzlichen Neuregelung des Betriebsrentenrechts für den öffentlichen Dienst ab 2001 steht auch der generelle Ausschluss der Anpassungsprüfungspflicht für die Zusatzversorgungssysteme des öffentlichen Dienstes in Frage. Der Satzungsgeber der VBL wird also spätestens im Jahre 2001 die Frage der Dynamisierung der Versichertenrente unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung mit dem allgemeinen Betriebsrentenrecht zu überprüfen haben.
3. Mit Blick auf die anstehenden Neuregelungen wird angemerkt: Das Satzungswerk der VBL hat inzwischen eine Komplexität erreicht, die es dem einzelnen Versicherten kaum mehr ermöglicht, zu überschauen, welche Leistungen er zu erwarten hat und wie sich berufliche Veränderungen im Rahmen des Erwerbslebens auf die Höhe der Leistungen auswirken. Eine weitere Zunahme dieser Komplexität kann an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen, sei es weil die Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl ihres Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG) in unzumutbarer Weise behindert werden, sei es weil sich die sachliche Rechtfertigung für Ausdifferenzierung im Normengeflecht nicht mehr nachvollziehen lässt und somit die Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr gewährleistet werden kann. Dass eine den Belangen des öffentlichen Dienstes angemessen Rechnung tragende, gleichwohl übersichtliche und durchschaubare Regelung möglich ist, zeigt das Zweite Ruhegeldgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7. März 1995.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 19.03.2005
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 52/00 des BVerfG vom 19.04.2000
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