23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss22.03.2000

Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Berechnung der von der Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder gewährten Zusatzrente

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat eine Verfas­sungs­be­schwerde gegen die Berechnung der Versor­gungsrente von Arbeitnehmern, die bei der Versor­gungs­anstalt des Bundes und der Länder (VBL) versichert sind, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Kammer weist jedoch in ihrem Beschluss darauf hin, dass folgende Satzungs­re­ge­lungen aus verfas­sungs­recht­licher Sicht nur noch bis Ende des Jahres 2000 hingenommen werden können:

1. Soweit es um Vordienstzeiten (Beschäftigungen außerhalb des öffentlichen Dienstes) geht, werden diese nur zur Hälfte bei der Berechnung der gesamt­ver­sor­gungs­fähigen Dienstzeit angerechnet; in dieser Zeit erworbene Rentenansprüche werden jedoch voll auf die Zusatzrente angerechnet.

2. Die von der VBL garantierte Mindest­ver­sor­gungsrente wird nicht dynamisiert.

Ab dem 1. Januar 2001 verstoßen diese Satzungs­re­ge­lungen gegen das Gebot der Gleich­be­handlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Der Satzungsgeber der VBL hat bis dahin die Berech­nungs­grundlagen zu überprüfen.

I.

1. Durch die VBL-Zusatzrente soll Arbeitnehmern des Bundes und der Länder sowie Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe ein Gesamt­ver­sor­gungs­niveau gewährt werden, das sich an der Beamten­ver­sorgung orientiert (Gesamt­ver­sorgung). Als gesamt­ver­sor­gungs­fähige Zeit werden bei renten­ver­si­che­rungs­pflichten Beschäftigten die im öffentlichen Dienst erreichten Monate voll und Vordienstzeiten zur Hälfte berücksichtigt, soweit letztere beitrags­pflichtig oder beitragsfrei in der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung waren.

Als Mindestleistung erhalten die Versicherten eine Mindest­ver­sor­gungsrente, die sich nach einem bestimmten Prozentsatz der vor 1978 erbrachten Beiträge und der zusatz­ver­sor­gungs­pflichtigen Entgelte seit 1978 bestimmt. Diese Rente ist im Gegensatz zu den regulären Versor­gungs­renten nicht dynamisiert, sondern statisch. Die Mindest­ver­sor­gungsrente wird auch dann gezahlt, wenn die Rente aus der gesetzlichen Renten­ver­si­cherung über dem ermittelten Gesamt­ver­sor­gungs­bedarf liegt.

2. In Zusammenhang mit den von der VBL gewährten Zusatzrenten hat das BVerfG bisher u.a. folgende Entscheidungen getroffen:

Mit Beschluss vom 15. Juli 1998 hat der Erste Senat § 18 des Betrie­bs­ren­ten­ge­setzes, der den Fortbestand und die Höhe von Anwartschaften aus der Zusatz­ver­sorgung im öffentlichen Dienst bei vorzeitigem Ausscheiden regelt, beanstandet und den Gesetzgeber verpflichtet, bis Ende des Jahres 2000 eine verfas­sungs­konforme Regelung zu treffen.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat mit Beschluss vom 25. August 1999 entschieden, dass es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, wenn bei der Berechnung der Zusatzrenten von Teilzeit­be­schäf­tigten zu deren Ungunsten Steuer- und Soziallasten in dem selben Umfang in Rechnung gestellt werden wie bei einer Vollzeitkraft.

3. Die Beschwer­de­führerin (Bf) war von 1972 bis 1982 im öffentlichen Dienst beschäftigt, zunächst ganztags und später halbtags. Seit dem 1. Januar 1983 bezieht sie eine nicht-dynamisierte Mindestrente in Höhe von rund 47 DM monatlich. Auf ihre Klage verurteilte das Amtsgericht die VBL, der Bf eine weitere monatliche Rente in Höhe von rund 21 DM zu zahlen. Die Berufung der Bf blieb erfolglos. Sie hält die Mindestrente für zu gering und erhob Vb gegen die zivil­ge­richt­lichen Urteile und mittelbar gegen die Satzung der VBL.

II.

Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Verfas­sungs­be­schwerde mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen, jedoch auf Folgendes hingewiesen:

1. Soweit die Bf sich gegen die Berück­sich­tigung von Zeiten vor Aufnahme der Tätigkeit im öffentlichen Dienst einerseits und die volle Berück­sich­tigung der Sozia­l­ver­si­che­rungsrente bei der Bestimmung der Höhe der Zusatz­ver­sorgung andererseits zur Wehr setzt, ist Art. 3 Abs. 1 GG (noch) nicht verletzt.

Allerdings wird durch diese Regelung eine große Gruppe von Versor­gungs­be­rech­tigten, die vor ihrer Beschäftigung im öffentlichen Dienst in der Privat­wirt­schaft gearbeitet haben, in sachlich nicht gerecht­fer­tigter Weise gegenüber denjenigen Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmern benachteiligt, die ihr ganzes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht haben. Bei der Zusatz­ver­sorgung handelt es sich um eine Betriebsrente, durch die im Grundsatz die Betriebstreue des Mitarbeiters belohnt werden soll. Von daher brauchten so genannte Vordienstzeiten an sich überhaupt nicht berücksichtigt zu werden. Insofern wäre auch gegen die hälftige Berück­sich­tigung einer Vordienstzeit bei der gesamt­ver­sor­gungs­fähigen Zeit nichts einzuwenden, solange dem Versicherten daraus kein Nachteil erwächst. Es geht aber nicht an, einen Versicherten mit Vordienstzeiten schlech­ter­zu­stellen als einen Arbeitnehmer, der vor dem Eintritt in den öffentlichen Dienst überhaupt keine versi­che­rungs­pflichtige Tätigkeit ausgeübt hat. Dieses Ergebnis tritt aber in vielen Fällen ein, weil der Satzungsgeber eine volle Anrechnung der gesetzlichen Rentenansprüche ungeachtet der bloß hälftigen Berück­sich­tigung der Vordienstzeiten bei der gesamt­ver­sor­gungs­fähigen Zeit vorsieht. Häufig wird sogar die bereits erarbeitete Sozia­l­ver­si­che­rungsrente bei Eintritt in den öffentlichen Dienst so hoch sein, dass die noch mögliche Gesamt­ver­sorgung, die der Beschäftigte in den künftigen Arbeitsjahren erarbeitet, hiervon aufgezehrt wird, wodurch von Anfang an feststeht, dass die Zusatz­ver­sorgung auf die Mindestrente schrumpft.

Die Kammer führt aus, dass das Prinzip der Gesamt­ver­sorgung, dem die Zusatz­ver­sorgung im öffentlichen Dienst unterliegt, die dargelegte Ungleich­be­handlung nicht zu rechtfertigen vermag. Die Ungleich­be­handlung ist auch gravierend. Sie hält sich aber derzeit noch im Rahmen einer zulässigen Generalisierung. In der Renten­ge­ne­ration der Bf ist nur eine relativ kleine Gruppe von Versicherten von der geschilderten Problematik betroffen.

Inzwischen liegen diese Voraussetzungen aber nicht mehr vor. Ein bruchloser Verlauf einer Erwer­bs­bio­grafie im öffentlichen Dienst ist für die jüngere Versi­cher­ten­ge­ne­ra­tionen nicht mehr in hinreichender Weise typisch.

Angesichts dieser Entwicklungen kann die Benachteiligung der Rentner durch die volle Anrechnung der in Vordienstzeiten erworbenen Rentenansprüche bei hälftiger Berück­sich­tigung dieses Teils ihrer Lebens­a­r­beitszeit bei der Berechnung der gesamt­ver­sor­gungs­fähigen Dienstzeit nicht länger als bis zum Ablauf des Jahres 2000 hingenommen werden. Die VBL ist durch die Entscheidung des Ersten Senats des BVerfG vom 15. Juli 1998 (s.o.) ohnehin gezwungen, ihre Satzung bis zu diesem Zeitpunkt grundlegend zu erneuern. Der VBL ist zuzumuten, im Rahmen der anstehenden Reform auch die Probleme verfas­sungs­konform zu lösen, die mit einer Änderung der Vorzei­ten­re­gelung unverkennbar verbunden sind.

2. Durch die statische Ausgestaltung der Mindest­ver­sor­gungsrente wird die Bf gegenüber den Betrie­bs­rentnern in der Privat­wirt­schaft benachteiligt; denn diesen ist eine turnusmäßige Anpassung nach billigem Ermessen garantiert. Die Benachteiligung ist auch gravierend. Faktisch kann diese Regelung dazu führen, dass - abhängig von der Entwicklung der Löhne und Preise - die Mindest­ver­sor­gungsrente jedenfalls auf längere Sicht jegliche Bedeutung für den einzelnen Versicherten verliert. Eine Verletzung des allgemeinen Gleich­heits­satzes kann jedoch auch insoweit noch nicht festgestellt werden. Die statische Ausgestaltung steht im Zusammenhang mit den Regelungen, die dem notwendigen und verfas­sungs­rechtlich unbedenklichen Abbau einer planwidrigen Überversorgung dienten, und hält sich insoweit noch im Rahmen einer zulässigen Typisierung.

Im Rahmen der notwendigen gesetzlichen Neuregelung des Betrie­bs­ren­ten­rechts für den öffentlichen Dienst ab 2001 steht auch der generelle Ausschluss der Anpas­sungs­prü­fungs­pflicht für die Zusatz­ver­sor­gungs­systeme des öffentlichen Dienstes in Frage. Der Satzungsgeber der VBL wird also spätestens im Jahre 2001 die Frage der Dynamisierung der Versi­cher­tenrente unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung mit dem allgemeinen Betrie­bs­ren­tenrecht zu überprüfen haben.

3. Mit Blick auf die anstehenden Neuregelungen wird angemerkt: Das Satzungswerk der VBL hat inzwischen eine Komplexität erreicht, die es dem einzelnen Versicherten kaum mehr ermöglicht, zu überschauen, welche Leistungen er zu erwarten hat und wie sich berufliche Veränderungen im Rahmen des Erwerbslebens auf die Höhe der Leistungen auswirken. Eine weitere Zunahme dieser Komplexität kann an verfas­sungs­rechtliche Grenzen stoßen, sei es weil die Arbeitnehmer dadurch in der freien Wahl ihres Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG) in unzumutbarer Weise behindert werden, sei es weil sich die sachliche Rechtfertigung für Ausdif­fe­ren­zierung im Normengeflecht nicht mehr nachvollziehen lässt und somit die Beachtung des allgemeinen Gleich­heits­satzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht mehr gewährleistet werden kann. Dass eine den Belangen des öffentlichen Dienstes angemessen Rechnung tragende, gleichwohl übersichtliche und durchschaubare Regelung möglich ist, zeigt das Zweite Ruhegeldgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg vom 7. März 1995.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 52/00 des BVerfG vom 19.04.2000

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