21.11.2024
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Dokument-Nr. 7464

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Bundesverfassungsgericht Beschluss28.10.2008

Ungläubiger Theolo­gie­pro­fessor darf aus der Theolo­ge­n­aus­bildung ausgeschlossen werdenGlaubens­ge­bun­denheit vor Wissen­schafts­freiheit

Ein Theolo­gie­pro­fessor, der die christliche Lehre anzweifelt, darf von der Ausbildung des theologischen Nachwuchses ausgeschlossen werden. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Falle des Theolo­gie­pro­fessor Gerd Lüdemann aus Göttingen. Die Wissen­schafts­freiheit von Hochschul­lehrern finde ihre Grenzen am Selbst­be­stim­mungsrecht der Religi­o­ns­ge­mein­schaften, führten das Bundes­ver­fas­sungs­gericht aus.

Der Beschwer­de­führer ist seit 1983 Professor an der Theologischen Fakultät einer nieder­säch­sischen Universität und war ursprünglich für das Fach "Neues Testament" in Lehre, Forschung und Weiterbildung verpflichtet. Nachdem er sich vom christlichen Glauben öffentlich losgesagt hatte, wurde er verpflichtet, das Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" zu vertreten. Dieses Fach wurde dem Institut für Spezi­a­l­for­schungen zugeordnet, und die Lehrver­an­stal­tungen des Beschwer­de­führers wurden im Vorle­sungs­ver­zeichnis mit dem Zusatz "außerhalb der Studiengänge zur Ausbildung des theologischen Nachwuchses" angekündigt. Die vom Beschwer­de­führer dagegen vor den Verwal­tungs­ge­richten erhobene Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.

Richter weisen die Verfas­sungs­be­schwerde zurück

Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts wies die Verfassungsbeschwerde zurück und kam zu dem Ergebnis, dass der Ausschluss eines nicht mehr bekennenden Theolo­gie­pro­fessors aus der bekennt­nis­ge­bundenen Theolo­ge­n­aus­bildung durch die Zuweisung eines anderen Fachs mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar ist. Das kirchliche Selbst­be­stim­mungsrecht und das Recht der Fakultät, ihre Identität als theologische Fakultät zu wahren und ihre Aufgaben in der Theolo­ge­n­aus­bildung zu erfüllen, durften im vorliegenden Fall höher bewertet werden als die Wissen­schafts­freiheit des Beschwer­de­führers.

Wissenschaftsfreiheit

Für Hochschullehrer ist Kern der durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Wissen­schafts­freiheit das Recht, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten. Diese Freiheit wird auch durch den ihnen übertragenen Lehrauftrag maßgeblich geprägt. Eine Änderung des zu vertretenden Faches berührt daher notwendig den Inhalt der Lehrfreiheit. Indem dem Beschwer­de­führer anstelle des Faches "Neues Testament" das Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" zugewiesen wurde und er dadurch aus der bekennt­nis­ge­bundenen Theolo­ge­n­aus­bildung ausschied, ist in die Wissen­schafts­freiheit eingegriffen worden. Die Freiheit der Wissenschaft ist zudem dadurch betroffen, dass dem Beschwer­de­führer durch die Umsetzung von einem Kernfach in ein nicht ausbil­dungs­re­le­vantes Randgebiet eine in ihrer Bedeutung im Lehr- und Forschungs­zu­sam­menhang der Universität deutlich verminderte Stellung übertragen wird und dies eine staatliche Reaktion auf spezifisch wissen­schaftliche Äußerungen und Positionen darstellt. Gerade dadurch realisiert sich die Gefahr, vor der Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG Schutz gewähren will.

Eingriff in die Wissen­schafts­freiheit ist durch das kirchliche Selbst­be­stim­mungsrecht gerechtfertigt

Der Eingriff in die Wissen­schafts­freiheit ist jedoch mit Rücksicht sowohl auf das kirchliche Selbst­be­stim­mungsrecht (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) als auch auf die ihrerseits durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Fakultät gerechtfertigt. Die Wissen­schafts­freiheit von Hochschul­lehrern der Theologie findet ihre Grenzen am Selbst­be­stim­mungsrecht der Religi­o­ns­ge­mein­schaften. Das Grundgesetz erlaubt die Lehre der Theologie als Wissenschaft an staatlichen Hochschulen. Sind staatliche theologische Fakultäten eingerichtet, muss das Selbst­be­stim­mungsrecht derjenigen Religi­o­ns­ge­mein­schaft beachtet werden, deren Theologie Gegenstand der konfes­si­ons­ge­bundenen Lehre ist. Das Amt des Hochschul­lehrers an einer theologischen Fakultät darf daher bekennt­nis­ge­bunden ausgestaltet werden. Es kann und darf nicht Sache des religiös-weltanschaulich neutralen Staates sein, über die Bekennt­nis­ge­mäßheit theologischer Lehre zu urteilen. Dies ist vielmehr ein Recht der Glaubens­ge­mein­schaft selbst.

Das Recht der Fakultät, ihre Identität als theologische Fakultät zu wahren, begrenzt die Wissen­schafts­freiheit

Die Wissen­schafts­freiheit des Beschwer­de­führers findet ihre Grenze auch an dem seinerseits durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Recht der Fakultät, ihre Identität als theologische Fakultät zu wahren und ihre Aufgaben in der Theolo­ge­n­aus­bildung zu erfüllen. Für eine theologische Fakultät wird ihr Lehr- und Forschungs­auftrag wesentlich durch die Bekennt­nis­mä­ßigkeit der Lehre mitbestimmt. Diese Funktion wird gefährdet, wenn die Ausbilder öffentlich nicht mehr an den Glaubens­über­zeu­gungen der Kirche festhalten. Eine theologische Fakultät wäre in ihrer Existenz bedroht, wenn die Kirche die dort vertretene Lehre, zumal in einem Kernfach wie "Neues Testament", nicht mehr als bekenntnismäßig ansehen und in der Konsequenz ihre Absolventen nicht als Geistliche aufnehmen und an ihr ausgebildete Religionslehrer nicht zum bekennt­nis­ge­bundenen Religi­o­ns­un­terricht zulassen würde. Für evangelische Fakultäten kommt hinzu, dass die Kirche es ihnen - anders als die katholische Kirche mit ihrem verbindlichen Lehramt - in erster Linie selbst überlässt, die Bekennt­nis­mä­ßigkeit der Lehre zu wahren.

Umsetzung des Professors war verhältnismäßig

Die angegriffene Maßnahme der Universität und die verwal­tungs­ge­richt­lichen Entscheidungen haben im Ergebnis die Wissen­schafts­freiheit des Beschwer­de­führers zutreffend gegen die entge­gen­ste­henden verfas­sungs­recht­lichen Belange abgewogen und dabei das Prinzip der Verhält­nis­mä­ßigkeit gewahrt.

Die Umsetzung ist dem Professor auch zumutbar

Die Umsetzung des Beschwer­de­führers vom konfes­si­ons­ge­bundenen Fach "Neues Testament" auf das nicht mehr konfes­si­ons­ge­bundene Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" und seine Entfernung aus der Ausbildung des theologischen Nachwuchses berücksichtigen das kirchliche Selbst­be­stim­mungsrecht und fördern den Zweck der Bewahrung der Funkti­o­ns­fä­higkeit der theologischen Fakultät. Die Übertragung des neuen Faches ist dem Beschwer­de­führer zumutbar, weil er seine Stellung als Hochschullehrer behält und ihm ein seinem ursprünglichen Fach weitgehend ähnliches Fach übertragen wurde. Er kann weiterhin ungehindert Lehrver­an­stal­tungen anbieten, in einem von ihm selbst bestimmten Bereich forschen und publizieren sowie den Studenten die Ergebnisse seiner Forschung vermitteln. Auch die Folgen der Umsetzung für die Stellung des Beschwer­de­führers in Lehre und Prüfung machen die Maßnahme nicht unzumutbar. Allerdings beeinträchtigt die Nicht­be­rück­sich­tigung des neuen Faches des Beschwer­de­führers in den Prüfungs- und Studien­ord­nungen der theologischen Fakultät seine Lehrfreiheit nicht unerheblich. Den Hochschul­lehrern stehen Rechte auf Teilhabe an der amtsprägenden Tätigkeit der Studen­te­n­aus­bildung und der Nachwuchs­för­derung zu. Die Fachgerichte sind jedoch ohne Verfas­sungs­verstoß davon ausgegangen, dass eine angemessene Einordnung des neuen Faches des Beschwer­de­führers in Studien- und Prüfungs­ord­nungen noch möglich ist, und dass die Durchsetzung eines entsprechenden Begehrens nicht Sache des vorliegenden Verfahrens, sondern zukünftiger Verhandlungen ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 14/09 des BVerfG vom 18.02.2009

der Leitsatz

1. Für Hochschullehrer ist Kern der Wissen­schafts­freiheit das Recht, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten. Soweit staatliche Maßnahmen, die auf ihre Stellung als beamtete Hochschullehrer einwirken, spezifisch wissen­schafts­re­levante Aspekte ihrer Tätigkeit betreffen, ist Art. 5 Abs. 3 GG und nicht Art. 33 Abs. 5 GG Prüfungsmaßstab.

2. Das Grundgesetz erlaubt die Errichtung theologischer Fakultäten an staatlichen Hochschulen im Rahmen von Recht und Pflicht des Staates, Bildung und Wissenschaft an den staatlichen Universitäten zu organisieren. Dabei muss der Staat das Selbst­be­stim­mungsrecht der Religi­o­ns­ge­mein­schaft berücksichtigen, deren Theologie Gegenstand des Unterrichts ist.

3. Die Wissen­schafts­freiheit von Hochschul­lehrern der Theologie findet ihre Grenzen am Selbst­be­stim­mungsrecht der Religi­o­ns­ge­mein­schaft und an dem durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützten Recht der Fakultät, ihre Identität als theologische Fakultät zu wahren und ihre Aufgaben in der Theolo­ge­n­aus­bildung zu erfüllen.

4. Zum Recht der Hochschullehrer auf Teilhabe an der akademischen Ausbildung.

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