22.11.2024
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Dokument-Nr. 14606

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Beschluss17.09.2012Bundesverfassungsgericht1 BvR 2979/10
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2013, 59Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2013, Seite: 59
  • JuS 2013, 372Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2013, Seite: 372
  • K&R 2013, 35Zeitschrift: Kommunikation & Recht (K&R), Jahrgang: 2013, Seite: 35
  • MMR 2013, 127Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2013, Seite: 127
  • NJW 2012, 3712Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2012, Seite: 3712
  • ZUM 2013, 36Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (ZUM), Jahrgang: 2013, Seite: 36
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss17.09.2012

Beitrag im Internetforum: Bezeichnung anderer als "rechtsradikal" von Meinungs­freiheit gedecktAussagen sind Meinung­s­äu­ße­rungen in Form eines Werturteils

Eine Person in einem Internetforum in Ausein­an­der­setzung mit deren Beiträgen als "rechtsradikal" zu betiteln, ist ein Werturteil und grundsätzlich von der Meinungs­freiheit gedeckt. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht.

Der im zivil­recht­lichen Ausgangs­ver­fahren auf Unterlassung klagende Rechtsanwalt beschäftigte sich auf seiner Kanzleihomepage und in Zeitschrif­ten­ver­öf­fent­li­chungen mit politischen Themen. Er schrieb unter anderem über die "khasarischen, also nicht-semitischen Juden", die das Wirtschafts­ge­schehen in der Welt bestimmten, und über den "transitorischen Charakter" des Grundgesetzes, das lediglich ein "ordnungs­recht­liches Instrumentarium der Siegermächte" sei.

Der Beschwer­de­führer, ebenfalls Rechtsanwalt, setzte sich in einem Internet-Diskus­si­onsforum mit diesen Veröf­fent­li­chungen auseinander: Der Verfasser liefere "einen seiner typischen rechtsextremen originellen Beiträge zur Besat­zer­re­publik BRD, die endlich durch einen biore­gi­o­na­listisch organisierten Volksstaat zu ersetzen sei". Wer meine, "die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden beherrscht, welche im Verborgenen die Strippen ziehen", müsse "es sich gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden".

LG und OLG verurteilen Beschwer­de­führer zur Unterlassung der Äußerungen

Das Landgericht und das Oberlan­des­gericht verurteilten den Beschwer­de­führer zur Unterlassung der Äußerungen, wobei das Landgericht sie teilweise als unwahre Tatsa­chen­be­haup­tungen und das Oberlan­des­gericht sie als Schmähkritik aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen ließen. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat beide Urteile aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Beschwer­de­führer in Grundrecht auf Meinungs­freiheit verletzt

Nach Auffassung des Gerichts verletzen die Urteileden Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Meinungs­freiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG).

Es handele sich um Meinung­s­äu­ße­rungen in Form eines Werturteils, denn es sei nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag "rechtsextrem" ist, wann sich ein Denken vom "klassisch rechtsradikalen verschwö­rungs­the­o­re­tischen Weltbild" unterscheide und wann man es sich gefallen lassen müsse, rechtsradikal genannt zu werden.

Nicht jede Beleidigung ist Schmähkritik

Bedeutung und Tragweite der Meinungs­freiheit würden verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsa­chen­be­hauptung, Formal­be­lei­digung oder Schmähkritik eingestuft werde mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Grund­rechts­schutz teilnehme wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen seien. Verfas­sungs­rechtlich sei die Schmähung eng definiert, da bei ihrem Vorliegen schon jede Abwägung mit der Meinungs­freiheit entfalle. Eine Schmähkritik sei nicht einfach jede Beleidigung, sondern spezifisch dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Ausein­an­der­setzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe. Dies könne hier aber nicht angenommen werden, da alle Äußerungen einen Sachbezug hätten.

Meinungs­freiheit des Beschwer­de­führers im Kern betroffen

Verfas­sungs­rechtlich geboten sei also eine Abwägung zwischen der Meinungs­freiheit des Beschwer­de­führers und dem Allgemeinen Persön­lich­keitsrecht des Unter­las­sungs­klägers. Das Ergebnis dieser Abwägung hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. In der Abwägung müsse das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, berücksichtigen, dass der Unter­las­sungs­kläger weder in seiner Intim- noch in seiner Privatsphäre betroffen sei, sondern allenfalls in seiner Sozialsphäre. Dagegen sei die Meinungs­freiheit des Beschwer­de­führers in ihrem Kern betroffen. Die Verurteilung zur Unterlassung eines Werturteils müsse im Interesse des Schutzes der Meinungs­freiheit auf das zum Rechts­gü­ter­schutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden. Der Unter­las­sungs­kläger habe seine Beiträge öffentlich zur Diskussion gestellt; dann müsse zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine inhaltliche Diskussion möglich sein.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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