18.10.2024
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Dokument-Nr. 3901

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Beschluss12.12.2006Bundesverfassungsgericht1 BvR 2576/04
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • AnwBl 2007, 297Zeitschrift: Anwaltsblatt (AnwBl), Jahrgang: 2007, Seite: 297
  • BVerfGE 117, 163Sammlung: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE), Band: 117, Seite: 163
  • DStR 2007, 874Zeitschrift: Deutsches Steuerrecht (DStR), Jahrgang: 2007, Seite: 874
  • NJW 2007, 979Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2007, Seite: 979
  • NVwZ 2007, 568Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2007, Seite: 568
  • NZA 2007, 407Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), Jahrgang: 2007, Seite: 407
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ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss12.12.2006

Bundes­ver­fas­sungs­gericht lockert Verbot für anwaltliche ErfolgshonorareGesetzliches Verbot muss Ausnah­me­tat­bestand zulassen

Das in Deutschland zur Zeit geltende strikte Verbot so genannter Erfolgshonorare für Rechtsanwälte ist teilweise verfas­sungs­widrig. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass das Verbot Ausnah­me­tat­be­stände vorsehen muss. Der Gesetzgeber muss bis zum 30. Juni 2008 eine Neuregelung schaffen, die wenigstens in Sonderfällen solche Vereinbarungen zwischen Anwalt und Mandant erlaubt. Bis dahin bleibt das gesetzliche Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare jedoch anwendbar.

Die Bundes­rechts­an­walts­ordnung untersagt Rechtsanwälten Vereinbarungen, durch die eine Vergütung oder ihre Höhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird oder nach denen der Rechtsanwalt einen Teil des erstrittenen Betrages als Honorar erhält. Vergleichbare Regelungen bestehen für Patentanwälte, für Steuerberater und Steuer­be­voll­mächtigte sowie für Wirtschafts­prüfer. Im vorliegenden Fall macht eine Rechtsanwältin die Verfas­sungs­wid­rigkeit des Verbots anwaltlicher Erfolgshonorare geltend.

Sie war 1990 von zwei in den USA lebenden Mandanten beauftragt worden, deren Ansprüche wegen eines in Dresden gelegenen Grundstücks durchzusetzen, das dem Großvater der Mandanten gehört hatte und von den natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Machthabern enteignet worden war. Der Rechtsanwältin wurde angeboten, dass sie als Honorar ein Drittel des erstrittenen Betrages erhalten sollte. In der Folgezeit erwirkte die Beschwer­de­führerin zugunsten ihrer Mandanten eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 312.000 DM. Hiervon erhielt sie absprachegemäß 104.000 DM. Das Anwaltsgericht bewertete die Strei­tan­teils­ver­gütung als Verstoß gegen die Grundpflichten eines Rechtsanwalts und erteilte der Beschwer­de­führerin deswegen einen Verweis und verurteilte sie zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 25.000 €, die der Anwalts­ge­richtshof auf 5.000 € herabsetzte.

Die Verfas­sungs­be­schwerde der Rechtsanwältin, mit der diese die Verfas­sungs­wid­rigkeit des gesetzlichen Verbots anwaltlicher Erfolgshonorare geltend machte, war teilweise erfolgreich. Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts stellte fest, dass das gesetzliche Verbot mit dem Grundrecht auf freie Berufsausübung insoweit nicht vereinbar ist, als das Gesetz keine Ausnahmen vorsieht und damit das Verbot selbst dann zu beachten ist, wenn der Rechtsanwalt mit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2008 eine Neuregelung zu treffen. Bis dahin bleibt das gesetzliche Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare jedoch anwendbar; deshalb hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die im vorliegenden Fall ausgesprochene berufs­ge­richtliche Verurteilung der Beschwer­de­führerin verfas­sungs­rechtlich nicht beanstandet.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Mit dem Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare verfolgt der Gesetzgeber Gemeinwohlziele, die auf vernünftigen Erwägungen beruhen und daher die Beschränkung der Berufsausübung der Rechtsanwälte legitimieren können. Das Verbot dient zum einen dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit, die unverzichtbare Voraussetzung für eine funktionierende Rechtspflege ist. Es ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber die anwaltliche Unabhängigkeit bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars gefährdet sieht. So kann die zur Wahrung der Unabhängigkeit gebotene kritische Distanz des Rechtsanwalts zum Anliegen des Auftraggebers Schaden nehmen, wenn sich ein Rechtsanwalt auf eine Teilhabe am Erfolgsrisiko einer Rechts­an­ge­le­genheit eingelassen hat. Vor allem aber liegt die Befürchtung nicht völlig fern, dass mit der Vereinbarung einer erfolgs­ba­sierten Vergütung für unredliche Berufsträger ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden kann, den Erfolg „um jeden Preis“ auch durch Einsatz unlauterer Mittel anzustreben. Ein weiterer legitimer Zweck des Verbots von Erfolgs­ho­noraren ist in dem Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze zu sehen. Einem unredlichen Rechtsanwalt ist es möglich, den Mandanten durch unzutreffende Darstellung der Erfolgs­aus­sichten oder übertriebene Schilderung des zu erwartenden Arbeits­auf­wandes zur Vereinbarung einer unangemessen hohen Vergütung zu bewegen. Schließlich ist es verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Zulässigkeit eines Erfolgshonorars als Gefährdung der prozessualen Waffen­gleichheit einschätzt, weil der Beklagte – im Gegensatz zum Kläger – nicht über die Möglichkeit verfügt, sein Kostenrisiko auf vergleichbare Art zu verlagern. Zur Verfolgung dieser Gemeinwohlziele kann das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare auch als geeignet und erforderlich angesehen werden.

Das Verbot von Erfolgs­ho­noraren ist jedoch insoweit unangemessen, als es keine Ausnahmen zulässt und damit selbst dann zu beachten ist, wenn der Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgs­ba­sierten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen. Bei der Entscheidung der Rechtsuchenden über die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe ist die Kostenfrage von maßgebender Bedeutung. Auch Rechtsuchende, die auf Grund ihrer Einkommens- und Vermö­gens­ver­hältnisse keine Prozess­kos­tenhilfe oder Beratungshilfe beanspruchen können, können vor der Entscheidung stehen, ob es ihnen die eigene wirtschaftliche Lage vernünf­ti­gerweise erlaubt, die finanziellen Risiken einzugehen, die angesichts des unsicheren Ausgangs der Angelegenheit mit der Inanspruchnahme qualifizierter rechtlicher Betreuung und Unterstützung verbunden sind. Nicht wenige Betroffene werden das Kostenrisiko auf Grund verständiger Erwägungen scheuen und daher von der Verfolgung ihrer Rechte absehen. Für diese Rechtsuchenden ist das Bedürfnis anzuerkennen, das geschilderte Risiko durch Vereinbarung einer erfolgs­ba­sierten Vergütung zumindest teilweise auf den vertretenden Rechtsanwalt zu verlagern. In solchen Fällen fördert die Unzulässigkeit anwaltlicher Erfolgshonorare nicht die Rechts­schutz­ge­währung, sondern erschwert den Weg zu ihr.

Der Gesetzgeber kann dieses Regelungs­defizit dadurch beseitigen, dass er zwar an dem Verbot grundsätzlich festhält, jedoch für die oben genannte Fallgruppe einen Ausnah­me­tat­bestand eröffnet. Zum Schutz der Vermö­gen­s­in­teressen der Rechtsuchenden und zum Schutz des Vertrauens in die Anwaltschaft kann außerdem die Wirksamkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Erfüllung vergü­tungs­be­zogener Infor­ma­ti­o­ns­pflichten des Rechtsanwalts gegenüber dem Mandanten abhängig gemacht werden. Schließlich ist der Gesetzgeber nicht gehindert, dem verfas­sungs­widrigen Regelungs­defizit dadurch die Grundlage zu entziehen, dass das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare völlig aufgegeben oder an ihm nur noch unter engen Voraussetzungen, wie etwa im Fall unzulänglicher Aufklärung des Mandanten, festgehalten wird.

Quelle: ra-online, BVerfG (pm)

der Leitsatz

Das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare einschließlich des Verbotes der „quota litis“ (§ 49 b Abs. 2 BRAO a.F., § 49 b Abs. 2 Satz 1 BRAO) ist mit Art. 12 Abs. 1 GG insoweit nicht vereinbar, als es keine Ausnahme für den Fall zulässt, dass der Rechtsanwalt mit der Vereinbarung einer erfolgs­ba­sierten Vergütung besonderen Umständen in der Person des Auftraggebers Rechnung trägt, die diesen sonst davon abhielten, seine Rechte zu verfolgen.

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