18.10.2024
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Dokument-Nr. 3878

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Beschluss07.10.2003Bundesverfassungsgericht1 BvR 246/93 und 1 BvR 2298/94
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.10.2003

Steuerliche Vorteile aus Ehegat­ten­splitting und Unter­halts­leis­tungen an den ehemaligen Ehegatten

Die Verfas­sungs­be­schwerden (Vb) zweier geschiedener und wieder verheirateter Beschwer­de­führer (Bf), die sich gegen die Berück­sich­tigung steuerlicher Vorteile aus ihrer neuen Ehe bei der Bemessung des an ihre ehemaligen Ehegatten zu leistenden Unterhalts wehrten, hatten Erfolg.

Der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat ein Urteil des Oberlan­des­ge­richts Braunschweig und des Oberlan­des­ge­richts Stuttgart sowie des Amtsgerichts Waiblingen aufgehoben, weil die Entscheidungen die Bf in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Sachen wurden an die jeweiligen Gerichte zurückverwiesen. Die weiter von der zweiten Ehefrau eines der Bf erhobene Vb wurde verworfen.

1. Die den Vb zu Grunde liegenden Sachverhalte haben folgenden rechtlichen Hintergrund:

Kann ein Ehegatte nach der Scheidung nicht selbst für sich sorgen, hat er einen Unter­halts­an­spruch gegen seinen von ihm geschiedenen Ehegatten. Dessen Maß bestimmt sich nach den Verhältnissen, die für den ehelichen Lebensstandard bis zur Scheidung bestimmend gewesen sind. Spätere Änderungen der wirtschaft­lichen Verhältnisse werden von den Fachgerichten nur begrenzt berücksichtigt: Sie müssen bei der Scheidung sehr wahrscheinlich erwartbar gewesen sein und die zu Grunde liegende Entwicklung die ehelichen Lebens­ver­hältnisse bereits mitgeprägt haben. Bei der Ermittlung der ehelichen Einkom­mens­ver­hältnisse wird von der Rechtsprechung grundsätzlich auf das tatsächliche, auf der Grundlage der konkreten Steuerbelastung verfügbare Nettoeinkommen abgestellt, das während der Ehe durch Erwer­b­s­tä­tigkeit erwirtschaftet worden ist. Dies erfolgt auch dann, wenn die maßgeblichen wirtschaft­lichen Verhältnisse der Ehe sich seit Trennung oder Scheidung der Ehegatten durch einen gesetzlich vorge­schriebenen Wechsel der Steuerklassen oder eine Änderung des gesetzlichen Steuertarifs geändert haben. Hierdurch verbleibt bei Wieder­ver­hei­ratung des unter­halts­pflichtigen Ehegatten ein damit eintretender Split­ting­vorteil nicht bei ihm und seiner neuen Familie. Vielmehr nimmt auch der Unter­halts­be­rechtigte geschiedene Ehegatte daran teil.

Seit 1958 können Ehegatten, sofern sie nicht dauerhaft getrennt leben, zwischen der getrennten Veranlagung sowie der Zusam­men­ver­an­lagung unter Anwendung des Splittingtarifs wählen. Bei der Zusam­men­ver­an­lagung wird zur Berechnung der Gesamt­steu­erlast für das Ehepaar zunächst das zu versteuernde Jahreseinkommen beider Ehegatten halbiert und hiernach die Einkommensteuer aus der Einkom­men­steu­er­grund­tabelle ermittelt, die dann wieder verdoppelt wird. Die Einkommensteuer wird zunächst durch Quellenabzug vom Arbeitslohn als Lohnsteuer erhoben. Für die Durchführung des monatlichen Lohnsteu­er­abzugs können beidseits erwerbstätige nicht getrennt lebende Ehegatten zwischen den Steuerklassen IV/IV oder III/V wählen, um entsprechend den jeweiligen Einkom­mens­ver­hält­nissen steuerliche Vorteile aus dem Split­ting­ver­fahren zu realisieren. Auch bei Wieder­ver­hei­ratung kann ein geschiedener Ehegatte mit dem neuen Ehepartner die Zusam­men­ver­an­lagung wählen und somit den steuerlichen Split­ting­vorteil erhalten. Mit dem 1979 eingeführten so genannten Realsplitting soll der steuerlichen Leistungs­fä­higkeit getrennt lebender oder geschiedener Ehegatten Rechnung getragen werden. Danach kann ein getrennt lebender oder geschiedener Ehegatte Unter­halts­leis­tungen an den anderen Ehegatten mit dessen Zustimmung bis zu einer gesetzlich bestimmten Höhe als Sonderausgaben steuerlich geltend machen. Der unter­halts­be­rechtigte Ehegatte hat dann die Unter­halts­leis­tungen zu versteuern und ist in Höhe der gegebenenfalls erhöhten Steuerlast freizustellen.

In beiden Ausgangs­ver­fahren sind die Bf geschieden und wieder verheiratet. Im Verfahren 1 BvR 246/93 begehrte der Bf den Wegfall seiner Unter­halts­ver­pflichtung gegenüber seiner früheren Ehefrau, nachdem diese Altersruhegeld bezogen hatte. Der Bf im Verfahren 1 BvR 2298/94 wurde zu nachehelichen Unter­halts­zah­lungen an seine Ehefrau verpflichtet, der die Sorge für das aus der Ehe hervorgegangene Kind übertragen worden war. Aus seiner neuen Ehe ging ein gemeinsames Kind hervor, nach dessen Geburt die neue Ehefrau, die Bf zu 2., ihre Erwer­b­s­tä­tigkeit aufgab. In den Unter­halts­pro­zessen beider Ausgangs­ver­fahren gingen die Fachgerichte bei der Berechnung des Unterhalts davon aus, dass der Split­ting­vorteil, den der jeweilige Bf bei Steuerklasse III entweder tatsächlich erreichte oder bei entsprechender Wahl der Steuerklassen hätte erreichen können, auch der früheren Ehefrau und gegebenenfalls dem aus dieser Ehe hervor­ge­gangenen Kind zugute komme. Die Bf rügen mit ihren gegen diese Entscheidungen gerichteten Vb insbesondere die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 1 GG. Die Bf zu 2. sieht sich zudem in ihrem Recht aus Art. 6 Abs. 4 GG verletzt.

2. In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Die Vb der Bf zu 2. ist unzulässig. Sie ist in ihrer Rechtsposition durch die angegriffenen Entscheidungen nicht unmittelbar betroffen. Die Gericht­s­ent­schei­dungen beeinflussen zwar mittelbar die Leistungs­fä­higkeit ihres Ehemanns und wirken sich auf ihren Unter­halts­an­spruch ihm gegenüber aus. Dies reicht jedoch für die Annahme einer die Zulässigkeit der Vb begründenden Beschwer nicht aus. Die Ausgangsfälle haben dem Senat keinen Anlass geboten, zu den Verfas­sungs­fragen des Ehegat­ten­splittings Stellung zu nehmen, da diese nicht entschei­dungs­er­heblich gewesen sind. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die beschwer­de­füh­renden Ehemänner in ihren Rechten aus Art. 6 Abs. 1 GG schon allein deshalb, weil sie einen steuerlichen Vorteil aus dem Ehegat­ten­splitting der geschiedenen Ehe haben zukommen lassen.

a) Zum Prüfungsmaßstab des Art. 6 Abs. 1 GG führt der Senat aus: Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet den Staat, die Ehe zu schützen und zu fördern. Eine geschiedene Ehe ist mit einer erneut geschlossenen Ehe gleichrangig und gleichwertig. Der Gesetzgeber hat Gestal­tungs­freiheit, auf welche Weise er den Schutz der Ehe unter Berück­sich­tigung der unter­schied­lichen Ehekon­stel­la­tionen verwirklichen will. Diese Gestal­tungs­freiheit hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nur auf ihre Grenzen zu überprüfen. Art. 6 Abs. 1 GG schützt die geschiedene Ehe durch die Unter­halts­re­ge­lungen. Der Gesetzgeber durfte dem Unter­halts­an­spruch des geschiedenen Unter­halts­be­rech­tigten den Vorrang vor dem Unter­halts­an­spruch des neuen Ehegatten einräumen. Ebenso kann aber der Gesetzgeber einer bestehenden Ehe Vorteile einräumen, die er einer geschiedenen Ehe vorenthält.

Steuerliche Vorteile, die in Konkretisierung des Schutzauftrags des Art. 6 Abs. 1 GG gesetzlich allein der bestehenden Ehe eingeräumt sind, dürfen ihr durch die Gerichte nicht wieder entzogen und an die geschiedene Ehe weitergegeben werden. Gewährt der Gesetzgeber geschiedenen und bestehenden Ehen unter­schiedliche Vorteile, mit denen er ihrer jeweiligen Bedarfslage gerecht werden will, haben die Gerichte dies bei ihren Entscheidungen zu beachten. Mit dem Geschie­de­nen­un­terhalt hat der Gesetzgeber zwar der personalen Verantwortung der Ehe auch nach der Scheidung Ausdruck verliehen und die Unterhaltslast des gegenüber seinem geschiedenen Ehegatten Unter­halts­pflichtigen auch dieser neuen Ehe aufgebürdet. Das Maß dieses Unterhalts wurde jedoch auf diejenige Einkom­mens­si­tuation beschränkt, die die Ehe der früheren Ehegatten bis zu deren Scheidung bestimmt hat. Dies schließt es nach dem Willen des Gesetzgebers aus, solche Vorteile bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen, die erst mit einem neuen Eheschluss entstanden sind.

Der Gesetzgeber hat den Vorteil, der aus dem Steuersplitting folgen kann, der bestehenden Ehe von gemeinsam steuerlich veranlagten und zusam­men­le­benden Ehegatten zugewiesen. Eine andere Zuordnung der Steuervorteile aus dem Ehegat­ten­splitting hätte ausdrücklich gesetzlich geregelt werden müssen. Geschiedenen Ehegatten hingegen hat der Gesetzgeber die Möglichkeit des Realsplittings eingeräumt. Diese besteht für die Dauer der Unter­halts­ver­pflichtung und ist unabhängig von einer Wiederheirat des Unter­halts­pflichtigen. Damit soll eine gleichzeitig mit dem Wegfall des Split­ting­vorteils durch einen Unter­halts­an­spruch des getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten eingetretene Belastung des Unter­halts­pflichtigen steuerlich berücksichtigt werden.

b) Dies haben die Gerichte bei der Auslegung der Unter­halts­vor­schriften in ihren angegriffenen Entscheidungen grundlegend verkannt. Man kann nicht davon ausgehen, dass Vorteile, die der neuen Ehe eines geschiedenen Unter­halts­pflichtigen erwachsen, schon in dessen früherer Ehe angelegt gewesen seien und die Lebens­ver­hältnisse der nunmehr Geschiedenen bestimmt hätten. Der geschiedene unter­halts­be­rechtigte Ehegatte wird auch nicht benachteiligt, wenn der Steuervorteil bei der neuen Ehe bleibt. Fällt bei ihm der Split­ting­vorteil, der der geschiedenen Ehe während ihres Bestehens zugeflossen ist, weg, dann ist dies Folge daraus, dass nur zusammenlebende Ehegatten die gemeinsame steuerliche Veranlagung wählen können, und nicht Folge aus der Wieder­ver­hei­ratung des Unter­halts­pflichtigen. Auch Prakti­ka­bi­li­täts­gründe rechtfertigen es nicht, den geschiedenen Ehegatten an dem der neuen Ehe vom Gesetzgeber zugedachten Steuervorteil partizipieren zu lassen.

Die Gerichte haben danach sicherzustellen, dass der den neuen Ehen der Bf eingeräumte Split­ting­vorteil auch bei diesen verbleibt. Wie sie dies vornehmen, haben sie zu entscheiden. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass bei einer etwaigen Rückforderung überzahlten Unterhalts seitens der Bf die Fachgerichte gegebenenfalls zu prüfen haben, ob sich die Unter­halts­be­rech­tigten auf den Wegfall der Bereicherung berufen können. Unterhaltstitel, die nicht Gegenstand der Verfas­sungs­be­schwerde- Verfahren sind, können lediglich für die Zukunft abgeändert werden.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

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