21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss02.08.2010

BVerfG: Verfas­sungs­be­schwerden gegen Einglie­de­rungs­beitrag der Bundesagentur für Arbeit unzulässigArbeitnehmern und Arbeitgebern fehlt es an erforderlicher unmittelbarer Betroffenheit

Verfas­sungs­be­schwerden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gegen den Einglie­de­rungs­beitrag der Bundesagentur für Arbeit nach § 46 Abs. 4 SGB II sind unzulässig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozial­ge­setzbuch Zweites Buch (SGB II) ist neben den kommunalen Trägern die Bundesagentur für Arbeit (§ 6 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Sie ist u.a. für die meisten Einglie­de­rungs­leis­tungen (§§ 16 ff. SGB II) zuständig. Soweit die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von der Bundesagentur für Arbeit erbracht werden, trägt die Aufwendungen einschließlich der Mittel für Einglie­de­rungs­leis­tungen und der Verwal­tungs­kosten gemäß § 46 Abs. 1 SGB II grundsätzlich der Bund. Jedoch bestimmt § 46 Abs. 4 SGB II eine Kosten­be­tei­ligung der Bundesagentur für Arbeit dergestalt, dass diese an den Bund einen Einglie­de­rungs­beitrag in Höhe der Hälfte der Aufwendungen entrichtet, die der Bund jährlich für die Einglie­de­rungs­leis­tungen und Verwal­tungs­kosten zu tragen hat. Diese Regelung führte im Jahr 2008 bei der Bundesagentur für Arbeit zu Ausgaben in Höhe von rund 4,6 Milliarden Euro; für 2009 war eine Belastung von etwa 4,9 Milliarden Euro prognostiziert.

Finanzierung der Bundesagentur für Arbeit

Die Bundesagentur für Arbeit ihrerseits wird nach den Vorschriften des Sozial­ge­setzbuch Drittes Buch (SGB III) sowohl durch Beiträge der versi­che­rungs­pflichtigen Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und Dritter (Beitrag zur Arbeits­för­derung) als auch durch Umlagen, Zuschüsse des Bundes und sonstige Einnahmen finanziert.

Beschwer­de­führer sehen sich durch Abführung des Einglie­de­rungs­beitrags an den Bund unmittelbar in ihren Grundrechten verletzt

Die Beschwer­de­führer sind zum einen Gesellschaften, die als Arbeitgeber Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu tragen haben, und zum anderen bei den betreffenden Beschwer­de­füh­re­rinnen angestellte Arbeitnehmer, die in der Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung versi­che­rungs­pflichtig sind. Sie sind der Auffassung, durch die in § 46 Abs. 4 SGB II geregelte Abführung des Einglie­de­rungs­beitrags an den Bund unmittelbar in ihren Grundrechten verletzt zu sein, da sie als Beitragszahler die finanziellen Auswirkungen der Norm zu tragen hätten.

Verfas­sungs­be­schwerde ist unzulässig

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerden nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig sind.

Beschwer­de­führer können die für eine Verfas­sungs­be­schwerde notwendige unmittelbare Selbst­be­trof­fenheit nicht darlegen

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Eine Verfassungsbeschwerde ist, insbesondere wenn sie sich, wie hier, unmittelbar gegen ein Gesetz richtet, nur zulässig, wenn der Beschwer­de­führer durch den angegriffenen Hoheitsakt selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist. Eine solche unmittelbare Selbst­be­trof­fenheit haben die Beschwer­de­führer nicht dargelegt.

Einzelner Bürger kann aus Grundrechten keinen Anspruch auf generelle Unterlassung bestimmter Verwendung des Aufkommens aus öffentlichen Abgaben herleiten

Adressat der in § 46 Abs. 4 SGB II angeordneten Zahlungspflicht, die ausschließlich mit den Verfas­sungs­be­schwerden angegriffen wird, ist allein die Bundesagentur für Arbeit. Eine hinreichend enge Beziehung zwischen § 46 Abs. 4 SGB II und einer ihnen zustehenden Grund­rechts­po­sition haben die Beschwer­de­führer nicht dargelegt. Soweit sie sich auf einen aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Anspruch auf sachgerechte beziehungsweise den Zwecken der Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung entsprechende Verwendung der aus ihren Beiträgen aufgebrachten Finanzmittel berufen, haben sie sich nicht mit der ständigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts auseinander gesetzt. Danach kann ein einzelner Bürger, der eine bestimmte Verwendung des Aufkommens aus öffentlichen Abgaben für grund­rechts­widrig hält, aus seinen Grundrechten keinen Anspruch auf generelle Unterlassung einer solchen Verwendung herleiten.

Von Versicherten geleisteten Beiträge unterliegen nicht der verfas­sungs­recht­lichen Eigen­tums­ga­rantie

Auch der Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG greift nicht. Zwar fallen in der Sozia­l­ver­si­cherung vermö­gens­rechtliche Positionen, die auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruhen und zudem der Existenz­si­cherung dienen, wie z. B. die Anwartschaft auf das Arbeits­lo­sengeld, in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG. Die von den Versicherten geleisteten Beiträge selbst gehen jedoch mit ihrer Zahlung in das Vermögen der Bundesagentur für Arbeit über und unterliegen damit nicht der verfas­sungs­recht­lichen Eigen­tums­ga­rantie. Zudem ist nach dem Vortrag der Beschwer­de­führer nicht ersichtlich, dass der Einglie­de­rungs­beitrag gerade aus solchen Mitteln der Bundesagentur für Arbeit bestritten werden soll, die aus Beiträgen, unter anderem der Beschwer­de­führer, stammen, und damit zu einem Entzug ihrer Beitragsmittel führen. In den Haushalt der Bundesagentur für Arbeit, aus dem diese den Einglie­de­rungs­beitrag zu finanzieren hat, fließen nicht nur die von Versicherten und Arbeitgebern erbrachten Beiträge, sondern auch sonstige Einnahmen, zum Beispiel die Zuschüsse des Bundes.

Vorschriften über Beitragspflicht und -höhe wurden mit Verfas­sungs­be­schwerde nicht angegriffen

Die Beschwer­de­führer sind auch als Beitragszahler nicht direkt selbst betroffen. Der für die verfas­sungs­rechtliche Bewertung insoweit maßgebliche Eingriff in die allgemeine Handlungs­freiheit der Beitragszahler wird erst durch die Erhebung ihrer Beiträge zur Arbeits­för­derung und die ihr zugrunde liegenden Vorschriften über die Beitragspflicht und -höhe bewirkt, nicht jedoch unmittelbar durch die in § 46 Abs. 4 SGB II geregelte Zahlungspflicht der Bundesagentur für Arbeit. Vorschriften über die Beitragspflicht und -höhe haben die Beschwer­de­führer jedoch nicht mit der Verfas­sungs­be­schwerde angegriffen.

Beschwer­de­führern muss Grund­rechts­ver­let­zungen in sozial­ge­richt­lichem Klageverfahren geltend machen

Darüber hinaus steht der Zulässigkeit der Verfas­sungs­be­schwerden der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Den Beschwer­de­führern ist es zumutbar, die von ihnen gerügten Grund­rechts­ver­let­zungen durch § 46 Abs. 4 SGB II in sozial­ge­richt­lichen Klageverfahren geltend zu machen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts kann ein Beitrags­pflichtiger mit einer sozial­ge­richt­lichen Klage geltend machen, dass die gegen ihn festgesetzten Beiträge zu hoch beziehungsweise rechtswidrig sind, weil die der Beitrags­be­rechnung zu Grunde gelegten Normen verfas­sungs­widrig sind. Die Dauer eines sozial­ge­richt­lichen Verfahrens begründet keine unzumutbare Belastung für die Beschwer­de­führer, sondern stellt lediglich einen allgemeinen, mit der Verfolgung eines Anspruchs vor den Fachgerichten stets verbundenen Nachteil dar, der keine vorzeitige Entscheidung durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht rechtfertigt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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