18.10.2024
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Bundessozialgericht Urteil29.02.2012

Milliarden-Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit für Einglie­de­rungs­maß­nahmen in Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht verfas­sungs­widrigKlage auf Zahlung niedrigerer Pflichtbeiträge für Sozia­l­ver­si­che­rungen vor dem Bundes­so­zi­al­gericht erfolglos

Der "Aussteu­e­rungs­betrag", den die Bundesagentur für Arbeit seit 2005 an den Bund abführen musste, sowie der ähnlich konzipierte "Einglie­de­rungs­beitrag", der den Aussteu­e­rungs­beitrag seit 2008 ersetzt hat (beide gemäß § 46 Abs. 4 Zweites Buch Sozial­ge­setzbuch), sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­so­zi­al­ge­richts hervor. Zu einer Vorlage an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht zu diesen Instrumenten, die Zahlungen in insgesamt zweistelliger Milliardenhöhe zum Gegenstand haben, kam es daher nicht.

Im zugrunde liegenden Fall begehrten ein Arbeitnehmer sowie ein Arbeitgeber die Erstattung von Beiträgen zur Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung, weil sie – gestützt durch die Ansicht zahlreicher Rechts­wis­sen­schaftler – meinten, ihre Beiträge seien deutlich zu hoch. Sie hielten es für verfassungswidrig, dass die auf der Grundlage von Versi­che­rungs­pflicht eng zweckgebunden erhobenen Beiträge hier unzulässig zur Stärkung des Bundeshaushalts eingesetzt würden; die Finanzierung von Fürsor­ge­maß­nahmen nach dem SGB II obliege dem Staat, nicht der Versi­cher­ten­ge­mein­schaft. Die Kläger blieben ohne Erfolg.

Gerichtliche Überprüfung der Verfas­sungs­wid­rigkeit der Höhe der Pflichtbeiträge ausnahmsweise bejaht

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die klagenden Beitragszahler ausnahmsweise für befugt gehalten, die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Pflichtbeiträge auch wegen einer bestimmten Mittel­ver­wendung gerichtlich prüfen zu lassen. Das Bundes­so­zi­al­gericht ist den Klägern aber – trotz ihres zutreffenden Ausgangspunkts der engen Zweckbindung von Sozia­l­ver­si­che­rungs­bei­trägen – im Ergebnis nicht gefolgt.

Milliarden-Zahlungen an den Bund haben hinreichenden Bezug zu beitrags­fi­nan­zierten Aufgaben der Arbeits­för­derung gemäß SGB III

Selbst wenn man annähme, dass "Aussteu­e­rungs­betrag" und "Einglie­de­rungs­beitrag" sich jeweils auf die konkrete Beitragshöhe auswirkten, wurden Beiträge zur Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung jedenfalls nicht "zu Unrecht" entrichtet. Der Gesetzgeber hat die allein zu überprüfenden äußersten Grenzen des zulässigen Einsatzes von Beitragsmitteln eingehalten. Die Milliarden-Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit an den Bund haben einen noch hinreichenden Bezug zu den beitrags­fi­nan­zierten Aufgaben der Arbeits­för­derung nach dem Dritten Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB III). Dazu gehört seit jeher nicht nur die Gewährung von Entgeltersatz bei Arbeits­lo­sigkeit, sondern auch die Eingliederung in Arbeit. Die Aufgaben- und Finan­zie­rungs­ver­ant­wortung der Bundesagentur für Arbeit für Letzteres entfiel ab 2005 nicht vollständig, auch wenn nach Einführung des SGB II die Aufgabe, Erwerbsfähige in Arbeit einzugliedern, nun nicht mehr umfassend ihr, sondern – für Empfänger steuer­fi­nan­zierter Grund­si­che­rungs­leis­tungen – auch dem Bund oblag. § 46 Abs. 4 SGB II und die damit verfolgten Zwecke haben einen hinreichenden Bezug zur "Arbeits­ver­mittlung sowie Sozia­l­ver­si­cherung einschließlich der Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung" im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 Grundgesetz. Die beschränkt fortbestehende Verant­wort­lichkeit der Bundesagentur für Arbeit korrespondierte mit der begrenzten Höhe der Zahlungen. Die angestrebte Integration von SGB II-Leistungs­emp­fängern in den Arbeitsmarkt eignete sich zudem, die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen und kam so zeitversetzt dem SGB III-Leistungssystem zugute. Die Konstellation weist insoweit Parallelen zu der vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht bestätigten Finanzierung sozia­l­recht­licher Folgen der deutschen Einigung aus Beitragsmitteln der Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung auf.

Die ab 2008 mit dem "Einglie­de­rungs­beitrag" mitfinanzierten, vom Bund wahrgenommenen Aufgaben sind aus ähnlichen Gründen ebenfalls noch hinreichend mit dem im SGB III geregelten Ziel aktiver Arbeits­för­derung verknüpft. Das zeigt nun deutlich die pauschale Ausrichtung der Höhe des Einglie­de­rungs­beitrags an den Aufwendungen für die Eingliederung von SGB II-Leistungs­be­ziehern. Von den Einglie­de­rungs­leis­tungen des Bundes kann darüber hinaus auch der Personenkreis der so genannten "Aufstocker" profitieren, die sogar Beiträge zur Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung entrichten.

Hinweis auf Rechts­vor­schriften:

Erläuterungen

Grundsicherung

Grundsicherung für Arbeitsuchende - '>

§ 46 Finanzierung aus Bundesmitteln (in der Fassung ab 1.1.2005, Gesetz vom 30.7.2004, BGBl I 2014)

(1) Der Bund trägt die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwal­tungs­kosten, soweit die Leistungen von der Bundesagentur erbracht werden. … (Satz 5). Die Mittel für die Erbringung von Einglie­de­rungs­leis­tungen und Verwal­tungs­kosten werden in einem Gesamtbudget veranschlagt.

[…]

(4) Die Bundesagentur erstattet dem Bund jeweils zum 15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November einen Aussteu­e­rungs­betrag, der dem Zwölffachen der durch­schnitt­lichen monatlichen Aufwendungen für Arbeits­lo­sengeld II, Sozialgeld und Beiträge zur Sozia­l­ver­si­cherung im vorangegangenen Kalen­der­vier­teljahr für eine Bedarfs­ge­mein­schaft, vervielfältigt mit der Zahl der Personen, die im vorangegangenen Kalen­der­vier­teljahr innerhalb von drei Monaten nach dem Bezug von Arbeits­lo­sengeld einen Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld II erworben haben, entspricht.

§ 46 Finanzierung aus Bundesmitteln (in der Fassung ab 1.1.2008, Gesetz vom 22.12.2007, BGBl I 3245)

(1) - wie vor -

(4) Die Bundesagentur leistet an den Bund einen Einglie­de­rungs­beitrag in Höhe der Hälfte der jährlichen, vom Bund zu tragenden Aufwendungen für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Verwal­tungs­kosten nach Absatz 1 Satz 5 und § 6 b Absatz 2. […]

Hinweis auf vorangegangene Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum Komplex

Nichtannahme von Verfas­sungs­be­schwerden, die unmittelbar gegen § 46 Abs. 4 SGB II erhoben worden waren durch Beschluss vom 2. August 2010:

"Die Beschwer­de­führer könnten die von ihnen gerügten Grund­rechts­ver­let­zungen durch § 46 Abs. 4 SGB II in zumutbarer Weise in sozial­ge­richt­lichen Klageverfahren geltend machen."

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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