15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss13.02.2012

Anwalt muss vor Gericht eine Krawatte tragen nicht nur eine Robe und ein weißes HemdBundes­verfassungs­gericht nimmt Verfassungs­beschwerde eines Rechtsanwalts nicht an

Ein Rechtsanwalt, der ohne Krawatte vor Gericht erscheint, kann von der Verhandlung ausgeschlossen werden. Dies geht aus einem Beschluss des Bundes­verfassungs­gerichts hervor. Geklagt hatte ein Anwalt aus Bayern, der in Robe und weißem Hemd ohne Krawatte zu einer Verhandlung erschienen war und vom Richter ausgeschlossen wurde.

Gegenstand der Verfas­sungs­be­schwerde war eine in einer straf­recht­lichen Haupt­ver­handlung gegenüber einem Verteidiger ergriffene sitzungs­po­li­zeiliche Maßnahme.

Der Verteidiger (hier: Beschwer­de­führer) ist Rechtsanwalt und trat in einer Haupt­ver­handlung vor der Strafkammer als Verteidiger auf. Er trug Robe und weißes Hemd, jedoch keine Krawatte. Nach Aufforderung des Vorsitzenden Richters, eine Krawatte anzulegen, und darauf erfolgter zweifacher Weigerung des Beschwer­de­führers wies ihn der Vorsitzende als Verteidiger zurück. Die gegen die Zurückweisung zum Oberlan­des­gericht erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Zur Begründung führte das Oberlan­des­gericht im Beschluss aus, der Beschwer­de­führer sei zu Recht nach § 176 des Gerichts­ver­fas­sungs­ge­setzes (GVG) zurückgewiesen worden, weil er seine Pflicht verletzt habe, vor Gericht Amtstracht zu tragen. Gewohn­heits­rechtlich gehöre in Bayern zur Amtstracht eine "weiße Halsbinde". Daran habe die Regelung der Berufstracht in § 20 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) nichts ändern können. Der Beschwer­de­führer habe eine von dieser berufs­recht­lichen Bestimmung unabhängige verfah­rens­rechtliche Pflicht zum Tragen des Langbinders verletzt, die nach breitem Konsens und Übung der Organe der Rechtspflege noch gelte. Der Verstoß des Beschwer­de­führers sei schwerwiegend und rechtfertige die Zurückweisung als Verteidiger.

Der Rechtsanwalt rügte eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.

Die Verfas­sungs­be­schwerde ist unzulässig, soweit der Beschwer­de­führer sich gegen die prozessual überholte Entscheidung des Landgerichts wendet. Mangels hinreichender Begründung ist die Verfas­sungs­be­schwerde ferner unzulässig, soweit mit ihr ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG gerügt wird.

Hinsichtlich der Rüge einer Verletzung der Berufs­aus­übungs­freiheit des Beschwer­de­führers (Art. 12 Abs. 1 GG) ist die Verfas­sungs­be­schwerde dagegen zulässig und auch nicht offensichtlich unbegründet. Sie genügt allerdings nicht den Annah­me­vor­aus­set­zungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG.

Der Verfas­sungs­be­schwerde kommt keine grundsätzliche verfas­sungs­rechtliche Bedeutung zu. Die mit ihr aufgeworfenen Fragen zu § 176 GVG, zum Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit bei Art. 12 Abs. 1 GG, zu Art. 72 Abs. 1 GG, zu § 59 b Abs. 2 der Bundes­rechts­an­walts­ordnung sowie zu Satzungen öffent­lich­recht­licher Körperschaften sind durch die verfas­sungs­ge­richtliche Rechtsprechung geklärt. Es ist nicht ersichtlich, dass der vorliegende Fall weitere Klärung erfordert, zumal aufgrund der Regelung in § 20 BORA regelmäßig Einvernehmen über die "Berufstracht" eines Rechtsanwalts hergestellt und im Übrigen ein Auftreten in unangemessener Kleidung durch sitzungs­po­li­zeiliche Maßnahmen verhindert werden kann.

Die Annahme der Verfas­sungs­be­schwerde ist ferner nicht zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwer­de­führers aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der vom Rechtanwalt behaupteten Grund­rechts­ver­letzung komme kein besonderes Gewicht zu, führte das Bundes­ver­fas­sungs­gericht aus.

Dem Oberlan­des­gericht war erkennbar daran gelegen, eine am Maßstab der Grundrechte und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts sachlich begründete Entscheidung mit geringer Eingriff­sin­tensität zu treffen. Die vom Oberlan­des­gericht bestätigte Zurückweisung als Verteidiger stellte das im Hinblick auf das Gewicht des Eingriffs am wenigsten schwerwiegende Mittel dar. Der Beschwer­de­führer kann ähnliche Maßnahmen künftig abwenden, indem er eine Krawatte anlegt. Dies stellt für ihn - auch mit Blick auf die Interessen seines Mandanten an einem zügigen Prozessverlauf - keine unzumutbare Belastung dar. Die angegriffene sitzungs­po­li­zeiliche Maßnahme mag im Hinblick auf die möglicherweise erschöpfende Regelung des § 59 b Abs. 2 Nr. 6 BRAO rechtlich bedenklich und als Reaktion auf das Verhalten des Beschwer­de­führers überzogen erscheinen, betrifft ihn aber weder nach ihrem Gegenstand noch wegen der aus ihr folgenden Belastung in existentieller Weise. Die Berufs­aus­übungs­freiheit des Beschwer­de­führers wurde außerhalb des Haupt­ver­hand­lungs­termins, in dem die Zurückweisung erfolgte, nicht beschränkt. Ausweislich des der Verfas­sungs­be­schwerde beigefügten Sitzungs­pro­tokolls ist seine Ladung zu einem neuen Haupt­ver­hand­lungs­termin angeordnet worden. Ein über das Erscheinen zu dem neu anberaumten Termin hinausgehender Nachteil ist nicht ersichtlich.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht (vt/pt)

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