21.11.2024
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Dokument-Nr. 26266

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Beschluss22.06.2018Bundesverfassungsgericht1 BvR 2083/15
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2018, 2861Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2018, Seite: 2861
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Vorinstanzen:
  • Oberlandesgericht Hamm, Beschluss21.07.2015, III-4 RVs 76/15
  • Landgericht Paderborn, Urteil12.03.2015, 03 Ns-40 Js 81/13-178/14
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss22.06.2018

Verfassungs­beschwerde gegen Verurteilung wegen Verharmlosung des national­sozialistischen Völkermords erfolgreichVerharmlosung des Natio­nal­so­zi­a­lismus als Ideologie begründet keine Strafbarkeit

Eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB wegen Billigung, Leugnung oder Verharmlosung bestimmter unter der Herrschaft des Natio­nal­so­zi­a­lismus begangener Verbrechen kommt in allen Varianten - und damit auch in der Form des Verharmlosens - nur bei Äußerungen in Betracht, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Dies ist bei der Verharmlosung eigens festzustellen und nicht wie bei anderen Varianten indiziert. Dies hat das Bundes­verfassungs­gericht bekanntgegeben und einer Verfassungs­beschwerde stattgegeben, die sich gegen eine solche Verurteilung richtete.

Im vorliegenden Fall veröffentlichte der Beschwer­de­führer auf seiner Internetseite und auf seinem YouTube-Account eine Audiodatei, in der ein Dritter die erste "Wehrmachts­ausstellung", die vor einigen Jahren in Deutschland an verschiedenen Orten gezeigt wurde, wegen der teilweise unrichtig dargestellten Fotos von Soldaten der Wehrmacht kritisiert. Den Ausstel­lungs­ver­ant­wort­lichen werden Fälschungen und Manipulationen sowie Volksverhetzung und den alliierten Siegermächten "Lügenpropaganda" vorgeworfen. Historische Wahrheiten würden verfolgt und bestraft, Menschen seien freiwillig mit der SS in Lager gegangen. Holocaust-Überlebenden wird vorgeworfen, mit Vorträgen über die Massen­ver­nichtung Geld zu verdienen und es wird die These vertreten, dass Wider­stands­kämpfer gegen den Nationalsozialismus und Zeugen in den Gerichts­pro­zessen zu dessen Aufarbeitung gelogen hätten.

Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Volksverhetzung

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwer­de­führer wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen in Höhe von je 30,- €. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwer­de­führers mit der Maßgabe, dass er wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30,- € verurteilt wurde. Die Revision zum Oberlan­des­gericht blieb erfolglos.

Keine tragfähigen Feststellungen über Volksverhetzung bei Urteilsfindung

Das Urteil des Landgerichts und der Beschluss des Oberlan­des­ge­richts verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG. Das Landgericht hat im Rahmen der Anwendung des § 130 Abs. 3 StGB keine tragfähigen Feststellungen getroffen, nach denen die Äußerungen des Beschwer­de­führers geeignet waren, den öffentlichen Frieden in dem verfas­sungs­rechtlich gebotenen Verständnis als Friedlichkeit der öffentlichen Ausein­an­der­setzung zu stören.

Äußerungen unterfallen dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungs­freiheit

1. Die Äußerungen, die der Verurteilung zu Grunde gelegt wurden, unterfallen als mit diffusen Tatsa­chen­be­haup­tungen vermischte Werturteile dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht die auf der Webseite des Beschwer­de­führers veröf­fent­lichten, von einem Dritten gemachten Äußerungen diesem zugerechnet hat.

§ 130 Abs. 3 StGB stellt Äußerungen zum Natio­nal­so­zi­a­lismus unter Strafe

2. In der Bestrafung wegen der Verbreitung des streit­ge­gen­ständ­lichen Textes liegt ein Eingriff in die Meinungs­freiheit. Dass § 130 Abs. 3 StGB als Eingriffs­grundlage kein allgemeines Gesetz ist, sondern spezifisch nur Äußerungen zum Natio­nal­so­zi­a­lismus unter Strafe stellt, steht der Verurteilung nicht entgegen. Als Vorschrift, die auf die Verhinderung einer propa­gan­dis­tischen Affirmation der natio­nal­so­zi­a­lis­tischen Gewalt- und Willkür­herr­schaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 gerichtet ist, ist sie nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts von der formellen Anforderung der Allgemeinheit, wie sie sonst nach Art. 5 Abs. 2 GG gilt, ausgenommen.

Störung des öffentlichen Friedens als Tatbe­stands­merkmal

3. Der Eingriff genügt der Meinungs­freiheit jedoch in materieller Hinsicht nicht. Die Strafgerichte haben den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. Der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB verlangt schon seinem Wortlaut nach eine Äußerung, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Zwar bedarf das Tatbe­stands­merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in Bezug auf das Bestimmt­heitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG einer näheren Konkretisierung durch die weiteren Tatbe­stands­merkmale; auch kann, wenn diese verwirklicht sind, eine Friedensstörung in der Regel vermutet werden. Dies setzt aber umgekehrt voraus, dass die weiteren Tatbe­stands­merkmale ihrerseits im Lichte der Friedensstörung ausgelegt werden. Insoweit kommt eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB in allen Varianten - und damit auch in der Form des Verharmlosens - nur dann in Betracht, wenn hiervon allein solche Äußerungen erfasst werden, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden im Sinne der Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu gefährden. Soweit sich dies aus den anderen Tatbe­stands­merkmalen selbst nicht eindeutig ergibt, ist die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen. Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, erscheint dies für den Fall der Verharmlosung geboten.

Verbreitung verfas­sungs­feind­licher Ansichten zu verhindern kein Grund für Meinungs­be­schränkung

Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ergeben sich an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nähere Anforderungen. Ausgangspunkt ist die Meinungs­freiheit als Geistesfreiheit. Eingriffe dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinung­s­äu­ße­rungen zu treffen. Das Anliegen, die Verbreitung verfas­sungs­feind­licher Ansichten zu verhindern, ist ebensowenig ein Grund, Meinungen zu beschränken, wie deren Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit. Legitim ist es demgegenüber, Rechts­gut­ver­let­zungen zu unterbinden. Danach ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig ist ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechts­be­wusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Eine Verharmlosung des Natio­nal­so­zi­a­lismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichts­in­ter­pre­tation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit nicht.

Verurteilung kann unter bestimmten Voraussetzungen an Meinung­s­äu­ßerung anknüpfen

Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechts­gut­ge­fährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinung­s­äu­ße­rungen etwa durch Appelle oder Emoti­o­na­li­sie­rungen, die bei den Angesprochenen Handlungs­be­reit­schaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern. Eine Verurteilung kann dann an Meinung­s­äu­ße­rungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeu­gungs­bildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emoti­o­na­li­sie­rungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechts­gut­ge­fährdende Folgen unmittelbar auslösen können.

Fehlende angemessene Würdigung der Opfer überschreitet noch nicht die Grenzen der Meinungsfreihei

Diesen Anforderungen genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht. Das Vorliegen der Eignung zu einer Störung des öffentlichen Friedens begründet das Landgericht in erster Linie damit, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechts­si­cherheit erschüttert werde und die Äußerungen als Ausdruck unerträglicher Missachtung wirkten. Damit wird aber in der Sache nicht mehr als eine Vergiftung des geistigen Klimas und eine Kränkung des Rechts­be­wusstseins der Bevölkerung geltend gemacht, die die Schwelle einer Gefährdung der Friedlichkeit noch nicht erreicht. Dass sich die Internetseite an ein Publikum am äußeren rechten Rand des politischen Spektrums richtet, begründet für sich genommen ebenso wenig eine Gefährdung des öffentlichen Friedens im Sinne der Friedlichkeit der öffentlichen Ausein­an­der­setzung. Die Störung des öffentlichen Friedens ergibt sich auch nicht mittelbar aus den fachge­richt­lichen Würdigungen der Äußerungen selbst. Das Landgericht stellt insoweit fest, dass mit den Äußerungen die Gewalttaten des NS-Regimes relativiert und bagatellisiert würden. Dabei wirft das Gericht dem Beschwer­de­führer nicht vor, dass hierdurch Aggressivität geschürt und die Gewalt­herr­schaft oder Verbrechen des Natio­nal­so­zi­a­lismus gegen die Menschlichkeit gebilligt oder geleugnet würden. Abgestellt wird vielmehr auf eine einseitig beschönigende Darstellung des Natio­nal­so­zi­a­lismus. Die Grenzen der Meinungs­freiheit sind aber nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichts­schreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissen­schaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesell­schaft­lichen Ordnung zu diffamieren suchen.

Für demokratische Öffentlichkeit unerträgliche Äußerungen mit öffentlicher Ausein­an­der­setzung entge­gen­zu­treten

Der Schutz solcher Äußerungen durch die Meinungs­freiheit besagt damit nicht, dass diese als inhaltlich akzeptabel mit Gleich­gül­tigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Ausein­an­der­setzung entge­gen­ge­treten wird. Die Meinungs­freiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen. Hierfür enthalten die angegriffenen Entscheidungen jedoch keine Feststellungen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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