18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss29.09.2010

BVerfG: Verfas­sungs­be­schwerde gegen nächtliches Alkohol­ver­kaufs­verbot erfolglosTankstel­len­pächterin durch zeitliche Begrenzung von Alkoholverkauf nicht unver­hält­nismäßig in Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzt

Die in Baden-Württemberg geltende Regelung, die Ladengeschäften aller Art den Verkauf von alkoholischen Getränken in der Zeit von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr untersagt, ist nicht verfas­sungs­widrig. Eine Differenzierung von privilegierten und nicht privilegierten Verkaufsstellen ist gerechtfertigt, um die Bildung von Szenetreffs mit missbräuch­lichem Alkoholkonsum zu unterbinden. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht und nahm eine gegen diese Regelung gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde einer Tankstel­len­pächterin nicht zu Entscheidung an.

Der am 1. März 2010 in Kraft getretene § 3 a des Gesetzes über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg (LadÖG) untersagt den Verkauf von alkoholischen Getränken in Ladengeschäften aller Art, darunter auch Tankstel­lenshops, in der Zeit von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr. Ausgenommen von dem Verkaufsverbot sind Hofläden und Verkaufsstellen von landwirt­schaft­lichen Genos­sen­schaften und Betrieben sowie auf Verkehrs­flughäfen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwer­de­führerin, die in Baden-Württemberg eine Tankstelle einschließlich „Tankshop“ gepachtet hat, die Verletzung ihres Grundrechts auf Berufsfreiheit sowie des allgemeinen Gleich­heits­satzes.

Zeitliche Begrenzung des Alkoholverkaufs verletzt keine Verfas­sungs­rechte

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annah­me­vor­aus­set­zungen nicht vorliegen. Insbesondere verletzt das zeitlich begrenzte Verbot des Alkoholverkaufs die Beschwer­de­führerin nicht in ihren Verfas­sungs­rechten.

Regelung zur Gefahrenabwehr trägt Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit Rechnung

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die beschränkende Verkaufs­re­gelung greift zwar in die Berufsfreiheit der Beschwer­de­führerin ein. Sie erfüllt aber die Anforderungen der Verfassung an grund­rechts­be­schränkende Normen. Als Regelung der Gefahrenabwehr fällt sie in die Zuständigkeit des Landes­ge­setz­gebers und trägt dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit Rechnung. Der Landes­ge­setzgeber verfolgt mit der Neuregelung die gewichtigen Gemeinwohlziele, einem vor allem während der Nachtzeit zu verzeichnenden Alkohol­miss­brauch und dadurch bedingten Straftaten und Ordnungs­stö­rungen sowie Gesund­heits­ge­fahren zu begegnen.

Vermehrte Alkoholkonsum kann durch Begrenzung der zeitlichen Verfügbarkeit erfolgreich eingedämmt werden

Die Annahme des Gesetzgebers, dass die tageszeitliche Einschränkung der Erwer­bs­mög­lich­keiten zu einer Verringerung der mit einem missbräuch­lichen Konsumverhalten einhergehenden Gefahren führt, ist nicht zu beanstanden. Es ist naheliegend, dass durch eine Begrenzung der zeitlichen Verfügbarkeit von Alkohol der vermehrte Konsum und die damit einhergehende Entstehung von Szenetreffs, insbesondere an den nicht privilegierten Verkaufsstellen wie Tankstellen und Kiosken, eingedämmt werden kann.

Beschränkungen des Verkaufverbots auf bestimmte alkoholische Getränke wären nicht in gleichem Maße wirksam

Weder eine Beschränkung des Verkaufverbots auf bestimmte alkoholische Getränke noch eine Einschränkung des Verbots­zeitraums wären mildere Mittel, die die Erfor­der­lichkeit der angegriffenen Regelung entfallen lassen könnten, da sie nicht in gleichem Maße wirksam wären. Dies gilt auch für einzel­fa­ll­be­zogene polizei­rechtliche Maßnahmen, da diese voraussetzen, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bereits eingetreten ist. Ferner würden lokal begrenzte Alkohol­kon­sum­verbote in Form von Polizei­ver­ord­nungen lediglich zu einer örtlichen Problem­ver­la­gerung führen.

Regelung zur zeitlichen Begrenzung des Alkoholverkaufs nicht mit Regelung zum Nicht­rau­cher­schutz vergleichbar

Angesichts des bezweckten Schutzes hochrangiger Gemein­schaftsgüter steht die angegriffene Regelung in einem angemessenen Verhältnis zu den grundrechtlich geschützten Belangen der Beschwer­de­führerin. Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beschwer­de­führerin - auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum Nicht­rau­cher­schutz und der geforderten folgerichtigen Umsetzung des gewählten Schutzkonzepts. Denn die dortige Ausgangs­si­tuation ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Der Landes­ge­setzgeber hat Ausnahmen vom nächtlichen Verkaufsverbot für bestimmte privilegierte Verkaufsstellen vorgesehen, weil er diesen gerade kein identisches Gefähr­dungs­po­tential beimaß. Sämtlichen privilegierten Verkaufsstellen ist gemein, dass regelmäßig nicht nur der Erwerb, sondern gerade der Konsum der alkoholischen Getränke in einem Umfeld stattfindet, das durch einen höheren Grad an sozialer Kontrolle und teilweise auch der Kontrolle durch anwesende Ordnungskräfte gekennzeichnet ist. Demgegenüber findet beim Erwerb von Alkoholika in Tankstellen und Supermärkten der Konsum häufig an Örtlichkeiten im öffentlichen Raum an so genannten Szenetreffs statt, an denen sich die Konsumenten gerade keiner derartigen Kontrolle ausgesetzt fühlen.

Differenzierung von privilegierten und nicht privilegierten Verkaufsstellen stellte keine Verletzung des Gleich­heits­satzes dar

Vor diesem Hintergrund verletzt das angegriffene Alkohol­ver­kaufs­verbot auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz. Ein sachlicher Grund für die vorgenommene Differenzierung von privilegierten und nicht privilegierten Verkaufsstellen liegt gerade in dem nachvollziehbar begründeten unter­schied­lichen Potential der Verkaufsstellen, zur Bildung von Szenetreffs und missbräuch­lichem Alkoholkonsum sowie den mit diesem verbundenen gefährlichen Beglei­t­er­schei­nungen beizutragen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss10391

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI