21.11.2024
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Dokument-Nr. 31843

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Bundesverfassungsgericht Beschluss04.04.2022

Ablehnung von Beratungshilfe für sozia­l­recht­liches Wider­spruchs­verfahren verfas­sungs­widrigAblehnung der Beratungshilfe wegen Mutwilligkeit nicht ohne weiteres möglich

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass die Ablehnung von Beratungshilfe für ein sozia­l­recht­liches Wider­spruchs­verfahren verfas­sungs­widrig war. Der Antrag des Beschwer­de­führers auf die Bewilligung von Beratungshilfe wurde vom zuständigen Amtsgericht in mehreren Entscheidungen wegen Mutwilligkeit abgelehnt.

Der Beschwer­de­führer bezog Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts nach dem Zweiten Buch Sozial­ge­setzbuch (SGB II). Mit Bescheiden aus dem April 2021 wurde die Leistungs­be­wil­ligung des Beschwer­de­führers für den Zeitraum Juli bis Dezember 2020 endgültig festgesetzt und daneben eine Erstat­tungs­for­derung geltend gemacht. Grund für die Erstat­tungs­for­derung war unter anderem eine vom Jobcenter festgestellte Überzahlung aufgrund eines Betrie­bs­kos­ten­gut­habens aus dem Jahr 2019, welches vom Jobcenter in dem Zeitraum Juni bis November 2020 anteilig leistungs­mindernd berücksichtigt wurde. Der Beschwer­de­führer zweifelte an der Richtigkeit der Bescheide und wollte für die Gestaltung des Widerspruchs anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Er nannte der Rechtspflegerin einige Punkte, aufgrund derer die Bescheide nicht richtig sein könnten; unter anderem die leistungs­min­dernde Verrechnung des Betrie­bs­kos­ten­gut­habens über einen Zeitraum von sechs Monaten. Der Antrag wurde wegen Mutwilligkeit zurückgewiesen, die Erinnerung blieb ohne Erfolg. Der Beschwer­de­führer wünsche Beratungshilfe, um Leistungs­be­scheide des Jobcenters pauschal auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen. Er sei der Ansicht, dass es in den Bescheiden zu Fehlern gekommen sei, könne aber nicht konkret darlegen, um welche Fehler es sich handele. Auch habe er nicht vorgetragen, dass er sich selbst schriftlich oder durch Vorsprache beim Jobcenter um eine Aufklärung des Sachverhalts bemüht habe. Die von dem Beschwer­de­führer erhobene Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt er eine Verletzung der Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG).

Anspruch auf Rechts­wahr­neh­mungs­gleichheit verletzt

Das BVerfG hat die Verfas­sungs­be­schwerde für offensichtlich begründet erachtet. Die angegriffenen Beschlüsse des AG verletzen den Beschwer­de­führer in seinem Anspruch auf Rechts­wahr­neh­mungs­gleichheit. Indem das Amtsgericht das Beratungs­hil­fe­be­gehren des Beschwer­de­führers nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Beratungs­hil­fe­gesetz als mutwillig erachtet hat, hat es Bedeutung und Reichweite der Rechts­wahr­neh­mungs­gleichheit verkannt. Der Beschwer­de­führer hatte keine besonderen Rechts­kenntnisse, und der zugrunde liegende Sachverhalt warf schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen auf. Das gilt jedenfalls für die vom Beschwer­de­führer angezweifelte Anrechnung des Betrie­bs­kos­ten­gut­habens auf den Leistungs­an­spruch und dessen Aufteilung auf einen Zeitraum von sechs Monaten. Zur Klärung dieser Frage durfte der Beschwer­de­führer auch nicht an das Jobcenter verwiesen werden, weil dieses den angegriffenen Bescheid selbst erlassen hatte.

Annahme der Mutwilligkeit nicht nachvollziehbar

Die Einschätzung des Amtsgerichts, die vom Beschwer­de­führer verfolgte Rechts­ver­folgung sei mutwillig, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwer­de­führer hatte nicht pauschal die Überprüfung eines Leistungs­be­scheids begehrt, sondern bereits konkret aufgezeigt, auf welche Punkte sich seine Zweifel an der Richtigkeit der Bescheide bezogen. Insbesondere hat er die Richtigkeit der ? mit der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung tatsächlich nicht vereinbaren ? Anrechnung eines Betrie­bs­kos­ten­gut­habens über sechs Monate hinweg angezweifelt. Nähere Erläuterungen zu der nicht einfach gelagerten Frage, ob diese Aufteilung zulässig ist oder nicht, konnten von ihm bei der Beantragung von Beratungshilfe schlechterdings nicht erwartet werden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (pm/ab)

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