21.11.2024
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Dokument-Nr. 27847

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Bundessozialgericht Urteil12.09.2019

Soziale Entschädigung bei Wohnsitz in unmittelbarer Nähe von Atom­waffen­test­gelände möglichSpätaussiedlern kann wegen strah­len­be­dingter Gesund­heits­schäden Versor­gungs­an­spruch zustehen

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass die von einem Atom­waffen­test­gelände in Kasachstan ausgehende Strahlung für die in der Nähe in politischem Gewahrsam lebenden deutschen Volks­zu­ge­hörigen Versorgungs­ansprüche wegen strah­len­be­dingter Gesund­heits­schäden auslösen kann.

Die 1955 geborene Klägerin des zugrunde liegenden Falls ist 1979 als Spätaus­siedlerin aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Zeit in der Sowjetunion ist als Zeit des politischen Gewahrsams anerkannt. Die Eltern der Klägerin siedelten 1944 als deutsche Volkszugehörige in das damalige Deutsche Reich über und erhielten die deutsche Staats­bür­ger­schaft. Ende 1945 wurden sie von dort nach Sibirien verschleppt und bis 1956 unter Komman­dan­tu­raufsicht gestellt. Nach deren Ende zog die Familie zu Verwandten in das Gebiet von Semipalatinsk/Kasachstan. Dort befand sich das Atomwaf­fen­test­gelände der Sowjetunion, wo von 1949 bis 1991 nukleare Bombentests durchgeführt wurden.

Klägerin beantragt Beschä­dig­ten­ver­sorgung

Die Klägerin beantragte nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Beschä­dig­ten­ver­sorgung wegen zahlreicher körperlicher und seelischer Leiden, die sie auf die Umstände ihres Gewahrsams und dabei vor allem auf die Atombom­ben­versuche in Semipalatinsk zurückführte. Der Beklagte hat eine Schild­drü­se­ner­krankung infolge vermehrter Strah­len­be­lastung als Schädi­gungsfolge anerkannt. Die weitergehende Klage war in den Vorinstanzen erfolglos.

Geltend gemachte Strahlenschäden nicht mit erforderlicher Wahrschein­lichkeit nachgewiesen

Das Bundes­so­zi­al­gericht wies die Revision der Klägerin zurück. Die Klägerin gehört zwar als deutsche Volkszugehörige zum geschützten Personenkreis nach dem Häftlings­hil­fe­gesetz. Die Strah­len­kon­ta­mi­nation durch die im sowjetischen Atomwaf­fen­test­gelände Semipalatinsk durchgeführten Atomwaf­fen­versuche stellt grundsätzlich auch ein mit dem politischen Gewahrsam wesentlich zusam­men­hän­gendes schädigendes Ereignis dar. Die geltend gemachten (weiteren) Strahlenschäden sind nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz jedoch nicht mit der erforderlichen Wahrschein­lichkeit nachgewiesen.

Hinweis auf Rechts­vor­schriften

Häftlings­hil­fe­gesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I 838)

§ 1 Personenkreis

(1) Leistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften erhalten deutsche Staats­an­ge­hörige und deutsche Volkszugehörige, wenn sie

1. nach der Besetzung ihres Aufent­haltsortes oder nach dem 8. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundes­ver­trie­be­nen­ge­setzes genannten Gebieten aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden [...]

und den gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes genommen haben.

[...]

(5) 1 Gewahrsam im Sinne des Absatzes 1 ist ein Festge­hal­ten­werden auf engbegrenztem Raum unter dauernder Bewachung. 2 Wurde oder wird eine in Absatz 1 Nr. 1 genannte Person gegen ihren Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht, so gilt die Zeit, während der sie an ihrer Rückkehr gehindert war oder ist, als Gewahrsam, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 1989.

[...]

§ 4 Beschä­dig­ten­ver­sorgung

(1) Ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesund­heit­lichen und wirtschaft­lichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundes­ver­sor­gungs­gesetz), soweit ihm nicht wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar auf Grund des Bundes­ver­sor­gungs­ge­setzes zusteht.

[...]

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online (pm/kg)

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