18.10.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einer Krankenschwester im Vordergrund.

Dokument-Nr. 22988

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Bundessozialgericht Urteil03.08.2016

Verlegung des Praxissitzes aus einem schlechter versorgten in einen besser versorgten Stadtteil im Regelfall ausgeschlossenPraxisverlegung darf nur erfolgen, sofern Gründe der vertrag­s­ärzt­lichen Versorgung dem nicht entgegenstehen

Ärzte oder Psycho­the­ra­peuten dürfen ihren Praxissitz nur verlegen, wenn Gründe der vertrag­s­ärzt­lichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Die Verlegung des Praxissitzes von einem nicht gut versorgten Stadtteil oder Bezirk (hier: Berlin-Neukölln, psycho­therapeutischer Versorgungsgrad 87,7 %) in einen Bezirk mit einer bereits sehr hohen Überversorgung (hier: Tempelhof-Schöneberg, 344 %) darf deshalb im Regelfall nicht genehmigt werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­sozial­gerichts hervor.

Die beigeladene Psycho­the­ra­peutin des zugrunde liegenden Verfahrens hatte zum 1. April 2013 eine Praxis in Berlin-Neukölln im Wege der Nachfol­ge­zu­lassung übernommen und beantragte ein halbes Jahr später die Verlegung an ihre Wohnadresse im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Beide Bezirke befinden sich im selben großräumigen Planungsbereich (Gesamt-Berlin). Der Zulas­sungs­aus­schuss lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die schon jetzt ungleichmäßige Versorgung durch die Sitzverlegung verschärft werde. Der Widerspruch der Psycho­the­ra­peutin hatte Erfolg; der Berufungs­aus­schuss gab dem Antrag auf Sitzverlegung statt und bezog sich dabei auf das Ergebnis einer Inter­net­re­cherche zur Versorgung mit Psycho­the­ra­peuten an den beiden Praxiss­tan­dorten. Außerdem lägen die Praxisstandorte nur etwa fünf Kilometer voneinander entfernt, sodass Patienten aus Neukölln die Praxis in Tempelhof-Schöneberg mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen könnten.

SG bejaht Zulässigkeit der Sitzverlegung

Das Sozialgericht wies die dagegen von der Kassen­ärzt­lichen Vereinigung erhobene Klage ab. Die Sitzverlegung sei zu Recht genehmigt worden. Auch wenn die Internet-Recherche des Berufungs­aus­schusses zum Versorgungsgrad nicht frei von Fehlern gewesen sei, sei die Entscheidung wegen der geringen Entfernung zwischen den beiden Praxiss­tan­dorten und der guten Verkehrs­ver­bin­dungen im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Versorgung darf sich nicht durch Praxis­sitz­ver­le­gungen verschlechtern

Auf die Sprungrevision der klagenden Kassen­ärzt­lichen Vereinigung änderte das Bundes­so­zi­al­gericht das Urteil des Sozialgerichts ab und verurteilte den beklagten Berufungs­aus­schuss zur Neubescheidung. Ein Arzt oder ein Psychotherapeut hat einen Anspruch darauf, dass seine Sitzverlegung innerhalb des Planungs­be­reichs genehmigt wird, wenn Gründe der vertrag­s­ärzt­lichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Die Beurteilung, ob solche Gründe vorliegen, unterliegt einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle; den Zulas­sungs­gremien kommt ein Beurtei­lungs­spielraum zu. Diesen Beurtei­lungs­spielraum hat der Berufungs­aus­schuss hier überschritten. Er hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers verhindert werden soll, dass sich die Versorgung in Teilen von eigentlich gut versorgten großen Planungs­be­reichen (hier: Berlin) durch Praxis­sitz­ver­le­gungen verschlechtert. Angesichts der extrem unter­schied­lichen Versorgung zwischen Berlin-Neukölln (Versorgungsgrad 87,7 %) und Tempelhof-Schöneberg (Versorgungsgrad 344 %) werden einer Verlegung des Praxissitzes vom schlechter zum besser versorgten Bezirk auch bei einer Gruppe wie den Psycho­the­ra­peuten in aller Regel Versor­gungs­ge­sichts­punkte entgegenstehen.

Allerdings kann nicht ganz ausgeschlossen werden, dass sich die Versorgungslage mit Blick auf die konkreten Praxisstandorte anders darstellt, als das nach den allgemeinen Versor­gungs­graden in den Bezirken anzunehmen ist. Hierzu wird der Berufungs­aus­schuss nähere Feststellungen zu treffen haben.

Hinweise zur Rechtslage

Erläuterungen

§ 24 Zulas­sungs­ver­ordnung für Vertragsärzte

(1) Die Zulassung erfolgt für den Ort der Niederlassung als Arzt (Vertrags­a­rztsitz).

(2) Der Vertragsarzt muss am Vertrags­a­rztsitz seine Sprechstunde halten.

(3) [...]

(4) [...]

(5) [...]

(6) [...]

(7) 1 Der Zulas­sungs­aus­schuss darf den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertrags­a­rzt­sitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertrag­s­ärzt­lichen Versorgung dem nicht entgegenstehen [...]

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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