Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat als Selbstverwaltungsgremium den gesetzlichen Auftrag, Behandlungsmethoden daraufhin zu überprüfen, ob sie für eine wirtschaftliche Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Verneint er dies, so erlässt er eine entsprechende Richtlinie, nach deren Inkrafttreten die Methode nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden darf. Der GBA hat seine Entscheidung allerdings zunächst dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als Aufsichtsbehörde vorzulegen. In dem vom Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschiedenen Revisionsverfahren ging es um die Frage, ob das BMG die Richtlinie des GBA zum Ausschluss der Protonentherapie bei Brustkrebs zu Recht beanstandet hat. Das BSG hat die Beanstandung als rechtswidrig beurteilt und deshalb aufgehoben. Das hat zur Folge, dass diese Richtlinie jetzt in Kraft treten kann; entsprechende Therapien sind dann nicht mehr von den Krankenkassen zu bezahlen, sondern nur noch im Rahmen klinischer Studien möglich. Protonentherapien bei anderen Krebsarten, für die der GBA die Methode als versorgungsnotwendig anerkannt oder eine Entscheidung zurückgestellt hat (z.B. bei speziellen Augentumoren oder bei Prostatakarzinomen), bleiben davon unberührt und sind weiterhin Kassenleistung.
Das BSG konnte Rechtsfehler des GBA bei dessen Entscheidung zum Ausschluss der Protonentherapie bei Brustkrebs nicht feststellen. Die Einschätzung, dass die Wirksamkeit dieser Therapieform im Falle von Mammakarzinomen noch nicht ausreichend gesichert sei, hält sich im Rahmen der dem GBA zukommenden Gestaltungsfreiheit beim Erlass von Richtlinien. Dieser durfte seine Entscheidung über die Eignung und die Wirtschaftlichkeit von Behandlungsmethoden in der stationären Versorgung (Krankenhaus) versorgungsbereichsübergreifend nach denselben Kriterien treffen, wie sie auch für die ambulante vertragsärztliche Versorgung maßgeblich sind. Den Vorwurf, der GBA habe vor seiner Entscheidung den relevanten Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und insbesondere die geringere Strahlenbelastung der Protonentherapie nicht berücksichtigt, hat das Gericht nicht für durchgreifend erachtet. Auch eine Aussetzung der Beschlussfassung über die Protonentherapie bei Brustkrebs angesichts noch unsicherer Datenlage kam nach den hier maßgeblichen Verfahrensvorschriften nicht in Frage.
Zu der ebenfalls bedeutsamen Frage, ob das BMG bei Überprüfung der Richtlinienbeschlüsse des GBA auf eine Rechtsaufsicht beschränkt ist oder weitergehende Befugnisse hat (Fachaufsicht), entschied das BSG, dass dem BMG nur eine Rechtskontrolle dieser Beschlüsse zusteht. Dies lässt sich zwar dem Wortlaut des § 94 SGB V nicht eindeutig entnehmen, ergibt sich aber deutlich aus dem traditionellen System des Aufsichtsrechts in der Sozialversicherung und vor allem aus der Rolle und Funktion des GBA bei der Bestimmung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung in rechtsverbindlichen Richtlinien. Der Vorsitzende des 6. Senats, Prof. Dr. Ulrich Wenner, führte dazu aus: "Könnte das BMG mit Hilfe seiner Aufsichtsbefugnisse den Inhalt der Richtlinien des GBA selbst in allen Einzelheiten festlegen und damit die Gestaltungsfreiheit des GBA aushöhlen, würde dies zwangsläufig die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Erlasses untergesetzlicher Vorschriften durch ein Ministerium abweichend von den Vorgaben in Artikel 80 Grundgesetz erneut aufwerfen."
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.05.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 16/09 des BSG vom 06.05.2009