18.10.2024
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Bundessozialgericht Urteil24.04.2015

Automatisierter Datenabgleich der Jobcenter zur Ermittlung von Kapitalerträgen nicht verfas­sungs­widrigEingriff in Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung gerechtfertigt

Bezieher von SGB II-Leistungen müssen den Datenabgleich der Jobcenter in der von § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II vorgesehenen Form hinnehmen. Die Vorschrift ist eine gesetzliche Grundlage im Sinne der daten­schutz­rechtlichen Regelungen im SGB I und SGB X, die den Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbst­be­stimmung rechtfertigt, weil sie dem Gebot der Normenklarheit und dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit genügt. Dies entschied das Bundes­so­zi­al­gericht.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehende Kläger wandte sich mit seiner vorbeugenden Unter­las­sungsklage gegen den automatisierten Datenabgleich, den die Jobcenter zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober mit dem Bundes­zen­tralamt für Steuern durchführen, indem deren Daten mit den dort vorhandenen Informationen zu Kapitalerträgen, für die Freistel­lungs­aufträge erteilt worden sind, abgeglichen werden. Daraus resultierende "Überschnei­dungs­mit­tei­lungen" ermöglichen weitere Nachfragen der Jobcenter zu etwaigen Zinseinkünften oder bisher nicht bekannten Vermögenswerten.

Regelungen zum Datenabgleich genügen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an die Normenklarheit

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat die Revision des Klägers gegen die negativen Entscheidungen der Vorinstanzen zurückgewiesen. Das Gericht ist davon ausgegangen, dass die Regelungen den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an die Normenklarheit genügen, weil der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung in der Ermächtigung ausreichend bestimmt festgelegt sind.

Datenabgleich dient Vermeidung des Leistungs­miss­brauchs und damit einem Gemein­wohl­belang

Datenabgleiche mit dem Bundes­zen­tralamt für Steuern auf der Grundlage des § 52 Abs. 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit der Grundsicherungs-Daten­ab­gleichs­ver­ordnung verstoßen auch nicht gegen den verfas­sungs­recht­lichen Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit. Sie dienen der Vermeidung des Leistungs­miss­brauchs und damit einem Gemein­wohl­belang, dem eine erhebliche Bedeutung zukommt. Der Abgleich ist auch geeignet, erforderlich und angemessen, um die beschriebenen Zwecke zu erreichen. Den Gemein­wohl­be­langen von erheblicher Bedeutung steht ein nur begrenzter Einblick in die persönliche Sphäre des SGB II-Berechtigten gegenüber, weil lediglich einzelne Daten zur Einkommens- und Vermö­gens­si­tuation des Leistungs­be­rech­tigten abgeglichen und - mit Ausnahme des jahresbezogenen Abgleichs zum 1. Oktober - nur im vorangegangenen Kalen­der­vier­teljahr an das Bundes­zen­tralamt übermittelte Daten einbezogen werden dürfen. Der Gesetzgeber muss nicht allein auf die Angaben von Sozia­l­leis­tungs­be­ziehern abstellen, sondern kann ein verhältnismäßig ausgestaltetes Überprü­fungs­ver­fahren vorsehen.

Rechtsvorschriften

Erläuterungen

Datenabgleich

Datenabgleich SGB II'>

(1) Die Bundesagentur und die zugelassenen kommunalen Träger überprüfen Personen, die Leistungen nach diesem Buch beziehen, zum 1. Januar, 1. April, 1. Juli und 1. Oktober im Wege des automatisierten Datenabgleichs daraufhin,

1. ob und in welcher Höhe und für welche Zeiträume von ihnen Leistungen der Träger der gesetzlichen Unfall- oder Renten­ver­si­cherung bezogen werden oder wurden,

2. ob und in welchem Umfang Zeiten des Leistungs­bezuges nach diesem Buch mit Zeiten einer Versi­che­rungs­pflicht oder Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung zusammentreffen,

3. ob und welche Daten nach § 45 d Absatz 1 und § 45 e des Einkom­men­steu­er­ge­setzes an das Bundes­zen­tralamt für Steuern übermittelt worden sind,

[...]

(2) Zur Durchführung des automatisierten Datenabgleichs dürfen die Träger der Leistungen nach diesem Buch die folgenden Daten einer Person, die Leistungen nach diesem Buch bezieht, an die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln:

1. Name und Vorname,

2. Geburtsdatum und -ort,

3. Anschrift,

4. Versi­che­rungs­nummer.

(2a) Die Datenstelle der Renten­ver­si­che­rungs­träger darf als Vermitt­lungs­stelle die nach den Absätzen 1 und 2 übermittelten Daten speichern und nutzen, soweit dies für die Datenabgleiche nach den Absätzen 1 und 2 erforderlich ist [...] Die nach Satz 1 bei der Datenstelle der Renten­ver­si­che­rungs­träger gespeicherten Daten sind unverzüglich nach Abschluss des Datenabgleichs zu löschen.

(3) Die den in Absatz 1 genannten Stellen überlassenen Daten und Datenträger sind nach Durchführung des Abgleichs unverzüglich zurückzugeben, zu löschen oder zu vernichten. Die Träger der Leistungen nach diesem Buch dürfen die ihnen übermittelten Daten nur zur Überprüfung nach Absatz 1 nutzen. Die übermittelten Daten der Personen, bei denen die Überprüfung zu keinen abweichenden Feststellungen führt, sind unverzüglich zu löschen.

(4) Das Bundes­mi­nis­terium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechts­ver­ordnung das Nähere über das Verfahren des automatisierten Datenabgleichs und die Kosten des Verfahrens zu regeln; dabei ist vorzusehen, dass die Zuleitung an die Auskunfts­stellen durch eine zentrale Vermitt­lungs­stelle (Kopfstelle) zu erfolgen hat, deren Zustän­dig­keits­bereich zumindest das Gebiet eines Bundeslandes umfasst.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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