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Bundessozialgericht Urteil25.01.2012
Sozialgeheimnis: Jobcenter darf Daten von Leistungsbeziehern nicht ohne Einverständnis an Dritte weitergebenDatenschutz beim Bezug von Arbeitslosengeld II
Das Jobcenter ist dazu verpflichtet, in jedem Fall die schutzwürdigen Interessen von Leistungsempfängern zu beachten und vor einer Kontaktaufnahme mit Dritten zunächst das Einverständnis der Leistungsempfänger einzuholen. Nach den auch für das SGB II geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Dies entschied das Bundessozialgericht.
Die Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls machen eine Verletzung datenschutzrechtlicher Regelungen durch das beklagte Jobcenter geltend.
Mitverhältnis für bisher bewohntes Haus gekündigt
Die Kläger, ein 1957 und 1966 geborenes Ehepaar, das Arbeitslosengeld II bezieht, bewohnten zusammen mit mehreren Kindern und weiteren Familienangehörigen bis Ende Februar 2008 ein 125 qm großes Haus im Landkreis Emmendingen. Das Mietverhältnis wurde von der Vermieterin, vertreten durch den Haus- und Grundbesitzerverein, gekündigt. Die Kläger hatten hierfür eine von ihnen selbst aufgebrachte Kaution in Höhe von 2.611,78 Euro hinterlegt.
Jobcenter lehnt darlehensweise Übernahme der Mietkaution ab
Im Dezember 2007 unterzeichneten sie einen Mietvertrag für ein Haus in B. im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Das Mietverhältnis begann am 15. Februar 2008; der Vermieter forderte eine Mietkaution in Höhe von 1.700 Euro. Den Antrag der Kläger, die Mietkaution darlehensweise zu übernehmen, lehnte das beklagte Jobcenter ab und verwies auf die Mietkaution für das bislang bewohnte Haus, die zur Begleichung der neuen Kaution eingesetzt werden könne. Die Kläger machten geltend, die hinterlegte Mietkaution für das bislang bewohnte Haus stehe voraussichtlich erst mit Ablauf der sechsmonatigen Prüfungsfrist der Vermieterin und daher weit nach Fälligkeit der Mietkaution für das neue Haus zur Verfügung. Mit Schreiben vom 12. Februar 2008 wandte sich das Jobcenter daraufhin wegen der Auszahlung der Kaution an den Haus- und Grundbesitzerverein E. unter dem Betreff "Leistungen nach dem SGB II im Mietverhältnis ..." mit Angabe der bisherigen Adresse und des Namens der Kläger und bat unter anderem um Mitteilung des Auszahlungstermins und der Höhe der Kaution. In der Folgezeit telefonierten Bedienstete des Jobcenters mehrmals mit dem Haus- und Grundbesitzerverein E. und erkundigten sich nach dem Sachstand. Ende Februar 2008 beantragten die Kläger beim Jobcenter außerdem je einen Schrank für ihre Kinder, weil diese über keine Schränke verfügten, da in dem bisherigen Haus Einbauschränke gewesen seien. Am 19. März 2008 telefonierte ein Bediensteter des Jobcenters wegen dieser Angelegenheit mit dem Ehemann der früheren Vermieterin.
Familie beanstandet Verletzung des Sozialdatenschutzes durch Jobcenter
Im Rahmen ihrer auf die Bewilligung der Mietkaution gerichteten Klage haben die Kläger u.a. die Verletzung ihres Sozialdatenschutzes durch das Schreiben des Jobcenters vom 12. Februar 2008 geltend gemacht. Erst durch dieses Schreiben habe die Vermieterin von ihrem Leistungsbezug erfahren und sie - die Kläger - seien nunmehr dem Hohn und Spott der Familie der ehemaligen Vermieterin ausgesetzt.
Kläger rügen Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung
Das Sozialgericht Freiburg hat den Antrag der Kläger, festzustellen, dass das Jobcenter durch sein Verhalten unbefugt Sozialgeheimnisse offenbart habe, abgewiesen. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Bundessozialgericht zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 35 Abs. 1 SGB I und ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Das Jobcenter habe nicht im Wege der Amtsermittlung ohne ihre vorherige Zustimmung Daten bei Dritten mit der Folge erheben dürfen, dass Sozialdaten, wie ihr Bezug von Leistungen nach dem SGB II offenbart würden. Eine Rechtsgrundlage für die vorgenommene Offenbarung ihrer Sozialdaten sei nicht ersichtlich.
Jobcenter hätte vor Kontaktaufnahme mit Dritten Einverständnis der Kläger einholen müssen
Das Bundessozialgericht stellt in seinem Urteil fest, dass das beklagte Jobcenter durch sein Schreiben an den Haus- und Grundbesitzerverein E. sowie durch seine Telefongespräche mit diesem und mit dem Ehemann der früheren Vermieterin der Kläger unbefugt Sozialgeheimnisse der Kläger offenbart hat, indem er den Leistungsbezug der Kläger mitgeteilt hat. Nach den auch für das SGB II geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Das Jobcenter kann das Offenbaren der Sozialdaten hier nicht damit rechtfertigen, dass dies erforderlich gewesen sei, um die eigenen Aufgaben zu erfüllen. Es musste in jedem Fall die schutzwürdigen Interessen der Kläger beachten und hätte deshalb vor einer Kontaktaufnahme mit Dritten zunächst das Einverständnis der Kläger einholen müssen.
Hinweise zur Rechtslage:
§ 35 SGB I:
(1) Jeder hat Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten (§ 67 Abs. 1 SGB X) von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis). Die Wahrung des Sozialgeheimnisses umfasst die Verpflichtung, auch innerhalb des Leistungsträgers sicherzustellen, dass die Sozialdaten nur Befugten zugänglich sind oder nur an diese weitergegeben werden. [...]
(2) Eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten ist nur unter den Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des SGB X zulässig.
(3) Soweit eine Übermittlung nicht zulässig ist, besteht keine Auskunftspflicht, keine Zeugnispflicht und keine Pflicht zur Vorlegung oder Auslieferung von Schriftstücken, nicht automatisierten Dateien und automatisiert erhobenen, verarbeiteten oder genutzten Sozialdaten.
§ 67 SGB X:
(1) Sozialdaten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. [...]
§ 67 a SGB X:
(1) Das Erheben von Sozialdaten durch in § 35 des Ersten Buches genannte Stellen ist zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist. [...]
(2) Sozialdaten sind beim Betroffenen zu erheben. Ohne seine Mitwirkung dürfen sie nur erhoben werden
1. bei den in § 35 des Ersten Buches oder in ... genannten Stellen, wenn
a) diese zur Übermittlung der Daten an die erhebende Stelle befugt sind,
b) die Erhebung beim Betroffenen einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde und
c) keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden,
2. bei anderen Personen oder Stellen, wenn
a) eine Rechtsvorschrift die Erhebung bei ihnen zulässt oder die Übermittlung an die erhebende Stelle ausdrücklich vorschreibt oder
b) aa) die Aufgaben nach diesem Gesetzbuch ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Personen oder Stellen erforderlich machen oder
bb) die Erhebung beim Betroffenen einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden. [...]
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 27.01.2012
Quelle: Bundessozialgericht/ra-online
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