23.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil25.01.2012

Sozialgeheimnis: Jobcenter darf Daten von Leistungs­be­ziehern nicht ohne Einverständnis an Dritte weitergebenDatenschutz beim Bezug von Arbeits­lo­sengeld II

Das Jobcenter ist dazu verpflichtet, in jedem Fall die schutzwürdigen Interessen von Leistungs­emp­fängern zu beachten und vor einer Kontaktaufnahme mit Dritten zunächst das Einverständnis der Leistungs­emp­fänger einzuholen. Nach den auch für das SGB II geltenden daten­schutz­recht­lichen Vorschriften hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungs­trägern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Dies entschied das Bundes­so­zi­al­gericht.

Die Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls machen eine Verletzung daten­schutz­recht­licher Regelungen durch das beklagte Jobcenter geltend.

Mitverhältnis für bisher bewohntes Haus gekündigt

Die Kläger, ein 1957 und 1966 geborenes Ehepaar, das Arbeits­lo­sengeld II bezieht, bewohnten zusammen mit mehreren Kindern und weiteren Familien­an­ge­hörigen bis Ende Februar 2008 ein 125 qm großes Haus im Landkreis Emmendingen. Das Mietverhältnis wurde von der Vermieterin, vertreten durch den Haus- und Grund­be­sit­zer­verein, gekündigt. Die Kläger hatten hierfür eine von ihnen selbst aufgebrachte Kaution in Höhe von 2.611,78 Euro hinterlegt.

Jobcenter lehnt darlehensweise Übernahme der Mietkaution ab

Im Dezember 2007 unterzeichneten sie einen Mietvertrag für ein Haus in B. im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Das Mietverhältnis begann am 15. Februar 2008; der Vermieter forderte eine Mietkaution in Höhe von 1.700 Euro. Den Antrag der Kläger, die Mietkaution darlehensweise zu übernehmen, lehnte das beklagte Jobcenter ab und verwies auf die Mietkaution für das bislang bewohnte Haus, die zur Begleichung der neuen Kaution eingesetzt werden könne. Die Kläger machten geltend, die hinterlegte Mietkaution für das bislang bewohnte Haus stehe voraussichtlich erst mit Ablauf der sechsmonatigen Prüfungsfrist der Vermieterin und daher weit nach Fälligkeit der Mietkaution für das neue Haus zur Verfügung. Mit Schreiben vom 12. Februar 2008 wandte sich das Jobcenter daraufhin wegen der Auszahlung der Kaution an den Haus- und Grund­be­sit­zer­verein E. unter dem Betreff "Leistungen nach dem SGB II im Mietverhältnis ..." mit Angabe der bisherigen Adresse und des Namens der Kläger und bat unter anderem um Mitteilung des Auszah­lungs­termins und der Höhe der Kaution. In der Folgezeit telefonierten Bedienstete des Jobcenters mehrmals mit dem Haus- und Grund­be­sit­zer­verein E. und erkundigten sich nach dem Sachstand. Ende Februar 2008 beantragten die Kläger beim Jobcenter außerdem je einen Schrank für ihre Kinder, weil diese über keine Schränke verfügten, da in dem bisherigen Haus Einbauschränke gewesen seien. Am 19. März 2008 telefonierte ein Bediensteter des Jobcenters wegen dieser Angelegenheit mit dem Ehemann der früheren Vermieterin.

Familie beanstandet Verletzung des Sozia­l­da­ten­schutzes durch Jobcenter

Im Rahmen ihrer auf die Bewilligung der Mietkaution gerichteten Klage haben die Kläger u.a. die Verletzung ihres Sozia­l­da­ten­schutzes durch das Schreiben des Jobcenters vom 12. Februar 2008 geltend gemacht. Erst durch dieses Schreiben habe die Vermieterin von ihrem Leistungsbezug erfahren und sie - die Kläger - seien nunmehr dem Hohn und Spott der Familie der ehemaligen Vermieterin ausgesetzt.

Kläger rügen Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbst­be­stimmung

Das Sozialgericht Freiburg hat den Antrag der Kläger, festzustellen, dass das Jobcenter durch sein Verhalten unbefugt Sozial­ge­heimnisse offenbart habe, abgewiesen. Das Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Bundes­so­zi­al­gericht zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 35 Abs. 1 SGB I und ihres Grundrechts auf informationelle Selbst­be­stimmung. Das Jobcenter habe nicht im Wege der Amtsermittlung ohne ihre vorherige Zustimmung Daten bei Dritten mit der Folge erheben dürfen, dass Sozialdaten, wie ihr Bezug von Leistungen nach dem SGB II offenbart würden. Eine Rechtsgrundlage für die vorgenommene Offenbarung ihrer Sozialdaten sei nicht ersichtlich.

Jobcenter hätte vor Kontaktaufnahme mit Dritten Einverständnis der Kläger einholen müssen

Das Bundes­so­zi­al­gericht stellt in seinem Urteil fest, dass das beklagte Jobcenter durch sein Schreiben an den Haus- und Grund­be­sit­zer­verein E. sowie durch seine Telefon­ge­spräche mit diesem und mit dem Ehemann der früheren Vermieterin der Kläger unbefugt Sozial­ge­heimnisse der Kläger offenbart hat, indem er den Leistungsbezug der Kläger mitgeteilt hat. Nach den auch für das SGB II geltenden daten­schutz­recht­lichen Vorschriften hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungs­trägern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Das Jobcenter kann das Offenbaren der Sozialdaten hier nicht damit rechtfertigen, dass dies erforderlich gewesen sei, um die eigenen Aufgaben zu erfüllen. Es musste in jedem Fall die schutzwürdigen Interessen der Kläger beachten und hätte deshalb vor einer Kontaktaufnahme mit Dritten zunächst das Einverständnis der Kläger einholen müssen.

Hinweise zur Rechtslage:

§ 35 SGB I:

(1) Jeder hat Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten (§ 67 Abs. 1 SGB X) von den Leistungs­trägern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden (Sozialgeheimnis). Die Wahrung des Sozial­ge­heim­nisses umfasst die Verpflichtung, auch innerhalb des Leistungs­trägers sicherzustellen, dass die Sozialdaten nur Befugten zugänglich sind oder nur an diese weitergegeben werden. [...]

(2) Eine Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten ist nur unter den Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des SGB X zulässig.

(3) Soweit eine Übermittlung nicht zulässig ist, besteht keine Auskunfts­pflicht, keine Zeugnispflicht und keine Pflicht zur Vorlegung oder Auslieferung von Schriftstücken, nicht automatisierten Dateien und automatisiert erhobenen, verarbeiteten oder genutzten Sozialdaten.

§ 67 SGB X:

(1) Sozialdaten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. [...]

§ 67 a SGB X:

(1) Das Erheben von Sozialdaten durch in § 35 des Ersten Buches genannte Stellen ist zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist. [...]

(2) Sozialdaten sind beim Betroffenen zu erheben. Ohne seine Mitwirkung dürfen sie nur erhoben werden

1. bei den in § 35 des Ersten Buches oder in ... genannten Stellen, wenn

a) diese zur Übermittlung der Daten an die erhebende Stelle befugt sind,

b) die Erhebung beim Betroffenen einen unver­hält­nis­mäßigen Aufwand erfordern würde und

c) keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden,

2. bei anderen Personen oder Stellen, wenn

a) eine Rechts­vor­schrift die Erhebung bei ihnen zulässt oder die Übermittlung an die erhebende Stelle ausdrücklich vorschreibt oder

b) aa) die Aufgaben nach diesem Gesetzbuch ihrer Art nach eine Erhebung bei anderen Personen oder Stellen erforderlich machen oder

bb) die Erhebung beim Betroffenen einen unver­hält­nis­mäßigen Aufwand erfordern würde und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden. [...]

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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