15.11.2024
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Bundessozialgericht Urteil10.04.2008

Krankenkasse muss nur für medizinisch notwendige Klini­k­auf­enthalte zahlen

Krankenkassen müssen nur dann die Kosten für eine vollstationäre Kranken­h­aus­be­handlung übernehmen, wenn eine solche Rechtsinne durchgeführt worden ist. Das heißt, dass die Behandlung aus medizinischer Sicht notwendig gewesen sein muss. Organi­sa­to­rische und administrative Fragen wie die Bestellung eines Betreuers oder die Bereitstellung eine Platzes in einer Wohneinrichtung spielen grundsätzlich keine Rolle. Dies hat das Bundes­so­zi­al­gericht entschieden.

Eine bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patientin war in der Zeit vom 7. Januar bis zum 22. April 2002 in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus zur Behandlung einer langjährigen Alkoho­le­r­krankung und darauf beruhenden Folgeschäden vollstationär untergebracht. Die Beklagte bezahlte die Behandlung aber nur bis zum 31. Januar 2002, weil die weitere Behandlung auch außerhalb eines Krankenhauses hätte durchgeführt werden können. Die von der Klägerin durchgeführten Maßnahmen (zB Hirnleis­tungs­training, Training der Alltags­fä­higkeit, medikamentöse Behandlung) zur "Planung und Überprüfung auf Wirklich­keits­ge­rechtheit der weiterführenden Betreuung in einer Tagesstätte, des Besuchs von Selbst­hil­fe­gruppen und der Strukturierung der Resttageszeit durch die Familie in der Wohnung der Patientin sowie die Erstellung eines ausreichenden ambulanten Hilfsnetzes" seien durchaus als sinnvolle rehabilitative Maßnahmen anzusehen, begründeten aber nicht die Notwendigkeit einer Kranken­h­aus­be­handlung nach Abschluss der Entgiftung.

War die stationäre Behandlung notwendig?

Im Klageverfahren hat die Klägerin ausgeführt, die stationäre Behandlung sei über den 31. Januar 2002 hinaus notwendig und auch erfolgreich gewesen, weil die Versicherte am 22. April 2002 in ihre eigene Wohnung habe entlassen werden können.

Sozialgericht Gießen stellt Notwendigkeit der stationären Betreuung bis zum 7. April 2002 fest

Das Sozialgericht hat Gutachten zu der Frage eingeholt, ob die stationäre Behandlung der Versicherten vom 1. Februar bis 21. April 2002 "notwendig" bzw "erforderlich" gewesen sei, und die Beklagte sodann verurteilt, die Behand­lungs­kosten bis zum 7. April 2002 zu übernehmen, weil die Entscheidung der Kranken­hau­särzte, die Versicherte weiterhin vollstationär zu behandeln, für die Zeit bis zum 7. April 2002 nicht zu beanstanden sei. Durch die diversen Behand­lungs­maß­nahmen habe sie soweit stabilisiert werden können, dass sie unter entsprechender ambulanter Behandlung und Betreuung wieder in die eigene Wohnung habe entlassen werden können. Allerdings wäre die Entlassung schon am 8. April 2002 möglich gewesen. Denn mit der am 19. März 2002 erfolgten Bestellung einer amtlichen Betreu­ungs­person habe sich ein alternativer Handlungs­spielraum für Absprachen und ambulante Betreu­ungs­maß­nahmen eröffnet, sodass eine psychosoziale Nachsorge innerhalb von 14 Tagen nach Einrichtung der Betreuung hätte abgeschlossen und die Versicherte in ambulante Weiter­be­handlung hätte entlassen werden können.

Landes­so­zi­al­gericht sieht notwendige Kranken­h­aus­be­handlung bis zum 19. März 2002 gegeben

Das Landes­so­zi­al­gericht hat das Urteil des Sozialgerichts geändert und die Beklagte verurteilt, die Kosten der Kranken­h­aus­be­handlung nur bis zum 19. März 2002 zu zahlen. Zur Begründung hat das Landes­so­zi­al­gericht ausgeführt, nach dem Ende der Entgif­tungsphase sei tatsächlich noch Kranken­h­aus­be­handlung durchgeführt worden und diese auch medizinisch notwendig gewesen. Die Versicherte sei im Rahmen einer Gruppe von fünf Patienten mit ähnlichem Krankheitsbild behandelt worden, wobei die Behand­lungs­maß­nahmen von Ergotherapeuten, Sozial­the­ra­peuten und Pflegepersonal unter ärztlicher Anleitung und Koordination durchgeführt worden seien. Die Kranken­h­aus­be­hand­lungs­be­dürf­tigkeit habe aber nur bis zu der Betreu­er­be­stellung am 19. März 2002 bestanden. Vorher habe es der Gesund­heits­zustand der Versicherten nicht erlaubt, dass sie ohne Gefahr eines Rückfalls aus eigener Überlegung und eigenem Antrieb heraus ein verhältnismäßig selbstständiges Leben in ihrer häuslichen Umgebung hätte führen können. Ab dem 20. März 2002 hätte die medizinische Weiter­be­handlung der Versicherten indes ambulant erfolgen können.

Bundes­so­zi­al­gericht weist Rechtsstreit an das Landes­so­zi­al­gericht zurück

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat auf die Revision der Klägerin das Berufungsurteil hinsichtlich der allein noch streitigen Zeit ab 20. März 2002 aufgehoben und den Rechtsstreit insoweit an das Landes­so­zi­al­gericht zurückverwiesen, weil die bisher getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, abschließend darüber zu entscheiden, ob der Vergü­tungs­an­spruch begründet ist.

1) Das Landes­so­zi­al­gericht hat lediglich festgestellt, dass bis Ende März 2002 eine Kranken­h­aus­be­handlung im Rechtssinne durchgeführt worden ist, zur Folgezeit aber nichts gesagt; diese Feststellungen sind nachzuholen. Es würde zB nicht ausreichen, wenn die Versicherte in dieser Zeit nur noch dauerhaft medikamentös versorgt worden wäre, sonstige ärztliche oder therapeutische Maßnahmen aber nicht mehr durchgeführt worden wären. Erforderlich ist insoweit eine Behandlung mit den typischen besonderen Mitteln eines Krankenhauses.

Landes­so­zi­al­gericht muss feststellen, ob nach dem 19. März 2002 noch eine Kranken­h­aus­be­handlung im Rechtssinne erforderlich war

2) Wenn Kranken­h­aus­be­handlung im Rechtssinne stattgefunden hat, ist festzustellen, ob diese auch über den 19. März 2002 hinaus notwendig war. Dabei ist die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Betreu­er­be­stellung ungeeignet. Es kommt nur darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Versicherte aus medizinischer Sicht außerhalb des Krankenhauses hätte weiterbehandelt werden können. Organi­sa­to­rische und administrative Fragen wie die Bestellung eines Betreuers oder die Bereitstellung eines Platzes in einer Wohneinrichtung spielen grundsätzlich keine Rolle. Ebenso hat außer Betracht zu bleiben, ob die Krankenkasse auf eine Versor­gungs­mög­lichkeit außerhalb des Krankenhauses hingewiesen hat. Fehlt es an der medizinischen Notwendigkeit einer vollstationären Kranken­h­aus­be­handlung, müssen die Kosten entweder vom Versicherten selbst oder bei Bedürftigkeit des Versicherten vom Sozia­l­hil­fe­träger übernommen werden.

3) Auch ein Psychiatrie-Patient hat Anspruch darauf, im Krankenhaus so medizinisch behandelt zu werden, dass ggf nach einer Rehabi­li­ta­ti­o­ns­maßnahme eine Rückkehr in die eigene Wohnung möglich wird. Nur wenn eine solche Möglichkeit ausscheidet, entfällt die Kranken­h­aus­be­hand­lungs­be­dürf­tigkeit schon dann, wenn er in einer Wohneinrichtung untergebracht und weiterbehandelt werden kann.

4) Bei einem Streit über die Notwendigkeit einer vollstationären Kranken­h­aus­be­handlung und/oder deren Dauer im Rahmen eines Abrech­nungs­ver­fahrens zwischen Krankenhaus und Krankenkasse hat das Gericht die an den medizinischen Sachver­ständigen gerichteten Beweisfragen so zu formulieren, dass die Begutachtung nicht aus nachträglicher Sicht erfolgt, sondern aus voraus­schauender Sicht zum Zeitpunkt der Aufnahme des Versicherten in das Krankenhaus bzw zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Fortdauer einer stationären Behandlung. Dabei muss der Sachverständige von dem im Behand­lungs­zeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verant­wort­lichen Kranken­haus­arztes ausgehen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 16/08 des BSG vom 10.04.2008

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