Dokument-Nr. 5885
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Bundessozialgericht Urteil10.04.2008
Krankenkasse muss nur für medizinisch notwendige Klinikaufenthalte zahlen
Krankenkassen müssen nur dann die Kosten für eine vollstationäre Krankenhausbehandlung übernehmen, wenn eine solche Rechtsinne durchgeführt worden ist. Das heißt, dass die Behandlung aus medizinischer Sicht notwendig gewesen sein muss. Organisatorische und administrative Fragen wie die Bestellung eines Betreuers oder die Bereitstellung eine Platzes in einer Wohneinrichtung spielen grundsätzlich keine Rolle. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden.
Eine bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patientin war in der Zeit vom 7. Januar bis zum 22. April 2002 in einem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus zur Behandlung einer langjährigen Alkoholerkrankung und darauf beruhenden Folgeschäden vollstationär untergebracht. Die Beklagte bezahlte die Behandlung aber nur bis zum 31. Januar 2002, weil die weitere Behandlung auch außerhalb eines Krankenhauses hätte durchgeführt werden können. Die von der Klägerin durchgeführten Maßnahmen (zB Hirnleistungstraining, Training der Alltagsfähigkeit, medikamentöse Behandlung) zur "Planung und Überprüfung auf Wirklichkeitsgerechtheit der weiterführenden Betreuung in einer Tagesstätte, des Besuchs von Selbsthilfegruppen und der Strukturierung der Resttageszeit durch die Familie in der Wohnung der Patientin sowie die Erstellung eines ausreichenden ambulanten Hilfsnetzes" seien durchaus als sinnvolle rehabilitative Maßnahmen anzusehen, begründeten aber nicht die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung nach Abschluss der Entgiftung.
War die stationäre Behandlung notwendig?
Im Klageverfahren hat die Klägerin ausgeführt, die stationäre Behandlung sei über den 31. Januar 2002 hinaus notwendig und auch erfolgreich gewesen, weil die Versicherte am 22. April 2002 in ihre eigene Wohnung habe entlassen werden können.
Sozialgericht Gießen stellt Notwendigkeit der stationären Betreuung bis zum 7. April 2002 fest
Das Sozialgericht hat Gutachten zu der Frage eingeholt, ob die stationäre Behandlung der Versicherten vom 1. Februar bis 21. April 2002 "notwendig" bzw "erforderlich" gewesen sei, und die Beklagte sodann verurteilt, die Behandlungskosten bis zum 7. April 2002 zu übernehmen, weil die Entscheidung der Krankenhausärzte, die Versicherte weiterhin vollstationär zu behandeln, für die Zeit bis zum 7. April 2002 nicht zu beanstanden sei. Durch die diversen Behandlungsmaßnahmen habe sie soweit stabilisiert werden können, dass sie unter entsprechender ambulanter Behandlung und Betreuung wieder in die eigene Wohnung habe entlassen werden können. Allerdings wäre die Entlassung schon am 8. April 2002 möglich gewesen. Denn mit der am 19. März 2002 erfolgten Bestellung einer amtlichen Betreuungsperson habe sich ein alternativer Handlungsspielraum für Absprachen und ambulante Betreuungsmaßnahmen eröffnet, sodass eine psychosoziale Nachsorge innerhalb von 14 Tagen nach Einrichtung der Betreuung hätte abgeschlossen und die Versicherte in ambulante Weiterbehandlung hätte entlassen werden können.
Landessozialgericht sieht notwendige Krankenhausbehandlung bis zum 19. März 2002 gegeben
Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts geändert und die Beklagte verurteilt, die Kosten der Krankenhausbehandlung nur bis zum 19. März 2002 zu zahlen. Zur Begründung hat das Landessozialgericht ausgeführt, nach dem Ende der Entgiftungsphase sei tatsächlich noch Krankenhausbehandlung durchgeführt worden und diese auch medizinisch notwendig gewesen. Die Versicherte sei im Rahmen einer Gruppe von fünf Patienten mit ähnlichem Krankheitsbild behandelt worden, wobei die Behandlungsmaßnahmen von Ergotherapeuten, Sozialtherapeuten und Pflegepersonal unter ärztlicher Anleitung und Koordination durchgeführt worden seien. Die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit habe aber nur bis zu der Betreuerbestellung am 19. März 2002 bestanden. Vorher habe es der Gesundheitszustand der Versicherten nicht erlaubt, dass sie ohne Gefahr eines Rückfalls aus eigener Überlegung und eigenem Antrieb heraus ein verhältnismäßig selbstständiges Leben in ihrer häuslichen Umgebung hätte führen können. Ab dem 20. März 2002 hätte die medizinische Weiterbehandlung der Versicherten indes ambulant erfolgen können.
Bundessozialgericht weist Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurück
Das Bundessozialgericht hat auf die Revision der Klägerin das Berufungsurteil hinsichtlich der allein noch streitigen Zeit ab 20. März 2002 aufgehoben und den Rechtsstreit insoweit an das Landessozialgericht zurückverwiesen, weil die bisher getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, abschließend darüber zu entscheiden, ob der Vergütungsanspruch begründet ist.
1) Das Landessozialgericht hat lediglich festgestellt, dass bis Ende März 2002 eine Krankenhausbehandlung im Rechtssinne durchgeführt worden ist, zur Folgezeit aber nichts gesagt; diese Feststellungen sind nachzuholen. Es würde zB nicht ausreichen, wenn die Versicherte in dieser Zeit nur noch dauerhaft medikamentös versorgt worden wäre, sonstige ärztliche oder therapeutische Maßnahmen aber nicht mehr durchgeführt worden wären. Erforderlich ist insoweit eine Behandlung mit den typischen besonderen Mitteln eines Krankenhauses.
Landessozialgericht muss feststellen, ob nach dem 19. März 2002 noch eine Krankenhausbehandlung im Rechtssinne erforderlich war
2) Wenn Krankenhausbehandlung im Rechtssinne stattgefunden hat, ist festzustellen, ob diese auch über den 19. März 2002 hinaus notwendig war. Dabei ist die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Betreuerbestellung ungeeignet. Es kommt nur darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Versicherte aus medizinischer Sicht außerhalb des Krankenhauses hätte weiterbehandelt werden können. Organisatorische und administrative Fragen wie die Bestellung eines Betreuers oder die Bereitstellung eines Platzes in einer Wohneinrichtung spielen grundsätzlich keine Rolle. Ebenso hat außer Betracht zu bleiben, ob die Krankenkasse auf eine Versorgungsmöglichkeit außerhalb des Krankenhauses hingewiesen hat. Fehlt es an der medizinischen Notwendigkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung, müssen die Kosten entweder vom Versicherten selbst oder bei Bedürftigkeit des Versicherten vom Sozialhilfeträger übernommen werden.
3) Auch ein Psychiatrie-Patient hat Anspruch darauf, im Krankenhaus so medizinisch behandelt zu werden, dass ggf nach einer Rehabilitationsmaßnahme eine Rückkehr in die eigene Wohnung möglich wird. Nur wenn eine solche Möglichkeit ausscheidet, entfällt die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit schon dann, wenn er in einer Wohneinrichtung untergebracht und weiterbehandelt werden kann.
4) Bei einem Streit über die Notwendigkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung und/oder deren Dauer im Rahmen eines Abrechnungsverfahrens zwischen Krankenhaus und Krankenkasse hat das Gericht die an den medizinischen Sachverständigen gerichteten Beweisfragen so zu formulieren, dass die Begutachtung nicht aus nachträglicher Sicht erfolgt, sondern aus vorausschauender Sicht zum Zeitpunkt der Aufnahme des Versicherten in das Krankenhaus bzw zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Fortdauer einer stationären Behandlung. Dabei muss der Sachverständige von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes ausgehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 10.04.2008
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 16/08 des BSG vom 10.04.2008
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