18.10.2024
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Sie sehen ein altes Ehepaar auf einer Parkbank.
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Bundessozialgericht Urteil05.07.2005

Versi­che­rungs­schutz als "Wie-Beschäftigter" bei Nachbar­schaftshilfe?

Der Kläger war Eigentümer eines Reihenhauses, das Teil einer Reihen­hau­s­anlage war, die im Frühjahr und Herbst von den Nachbarn gemeinsam gereinigt wurde. Dabei halfen die Ehepartner bzw Familien­an­ge­hörigen mit. Nach jedem Arbeitstag fand ein gemeinsames Grillen statt. Das benötigte Handwerkszeug brachte jeder selbst mit. Jeder arbeitete dort, wo Arbeiten anfielen.

Am Unfalltag schnitt der Kläger zunächst die Hecke. Die Miteigentümer B. und N. reinigten die gemeinsame Dachrin­ne­n­anlage vorne und hinten. Nach einer gemeinsamen Pause am Vormittag waren die Arbeiten kurz vor Mittag im Wesentlichen beendet. Es sollten nur noch die Gitter auf die Regenrinne aufgesetzt und Werkzeuge und Geräte weggeräumt werden. Zu diesem Zeitpunkt entschloss sich N. zu versuchen, das Moos von seinem Dach zu entfernen. Einen Beschluss darüber hatten die Nachbarn zwar nicht gefasst, jedoch hätten sie das Moos von allen Dächern entfernt, wenn dieser Versuch erfolgreich gewesen wäre. Nachdem N. auf sein Dach gestiegen war, kam ihm der Kläger auf der Leiter nach, um ihm zwei Drahtbürsten zuzuwerfen. Dabei stürzte der Kläger von der Leiter und erlitt eine schwere Kopfverletzung.

Die beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall und die Gewährung von Entschä­di­gungs­leis­tungen aus der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung ab, weil der Kläger im Unfallzeitpunkt weder einer abhängigen Beschäftigung als Arbeitnehmer noch einer beschäf­tig­ten­ähn­lichen Tätigkeit nachgegangen sei. Denn er habe im Unfallzeitpunkt eine im eigenen Interesse liegende Tätigkeit verrichtet. Klage und Berufung waren erfolglos. Auch die Revision des Klägers wurde nun zurückgewiesen.

Versi­che­rungs­schutz als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer schied schon deswegen aus, weil der Kläger nicht als Arbeitnehmer, sondern aus eigenem Antrieb im Rahmen einer Nachbar­schaftshilfe tätig war, als er abstürzte.

Versi­che­rungs­schutz in der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung konnte danach allenfalls nach § 2 Abs. 2 SGB VII als so genannter Wie-Beschäftigter bestanden haben. Danach sind Personen versichert, die zwar nicht in einem förmlichen Arbeits­ver­hältnis stehen, aber wie ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer, zB im Rahmen einer Nachbar­schaftshilfe, tätig werden.

Ob eine Nachbar­schaftshilfe also z.B. in der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung versichert ist, richtet sich im Kern nach den Kriterien für eine Beschäftigung. Versi­che­rungs­schutz wird aber auch dann gewährt, wenn die Voraussetzungen eines Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses nicht vollständig erfüllt sind und bei einer ggf nur vorübergehenden Tätigkeit die Grundstruktur eines Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses gegeben ist, weil

· eine ernstliche Tätigkeit von wirtschaft­lichem Wert vorliegt,

· die einem fremden Unternehmen dienen soll und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmens entspricht,

· unter solchen Umständen, die einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisses ähnlich sind und nicht auf einer Sonderbeziehung z. B. als Familien­an­ge­höriger oder Vereinsmitglied beruhen.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger am Unfalltag nicht wie ein Beschäftigter tätig geworden. Nach den Feststellungen des LSG - an die das BSG als Revisi­ons­gericht gebunden ist - hatten sich die Eigentümer der Reihen­hau­s­anlage zur gemeinsamen Reinigung und Pflege der Anlage verabredet. Die Beteiligung an dieser Aktion und die Arbeitsbeiträge jedes Einzelnen dienten letztlich nicht den Interessen anderer Eigentümer, sondern den gemeinsam Interessen aller Eigentümer - und damit auch des Klägers - an der Erhaltung und Pflege des Eigentums an den Reihenhäusern. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die durch­zu­füh­renden Arbeiten vorab geplant waren oder ob sie, wie die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, erst später spontan in Angriff genommen wurden. Da der Kläger mit der zum Unfall führenden Tätigkeit eigene Zwecke verfolgt hat, war er nicht arbeit­neh­mer­ähnlich, sondern unter­neh­mer­ähnlich tätig. Das schließt einen Versi­che­rungs­schutz als Wie-Beschäftigter nach § 2 Abs. 2 SGB VII und damit Ansprüche aus der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung aus.

Quelle: Pressemeldung Nr. 11/05 des BSG vom 06.07.2005

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