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- Sozialgericht Speyer, Urteil, S 12 U 146/10
- Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil, L 2 U 337/10
Bundessozialgericht Urteil19.12.2013
Unfall eines Arbeitnehmers im Ausland steht nicht immer unter dem Schutz der gesetzlichen UnfallversicherungArbeitgeber muss gegebenenfalls Antrag auf Aufnahme in freiwillige Auslandsunfallversicherung bei der Berufsgenossenschaft stellen
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass ein Montageleiter, der von seinem Arbeitgeber auf einer Baustelle im Ausland eingesetzt wird, dort nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Für einen solchen möglichen Versicherungsschutz wäre zumindest Voraussetzung, dass das Arbeitsverhältnis nicht nur bereits vor dem Auslandsaufenthalt im Inland bestand, sondern der Einsatz im Ausland im Voraus zeitlich begrenzt wurde und auch nach dem Ende der Entsendung im Inland weiter fortgeführt wird. Dies war im zugrunde liegenden Verfahren nicht der Fall.
Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls begehrt die Anerkennung seines in Kasachstan erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall. Der Kläger schloss im November 2007 mit der E. D. GmbH einen Arbeitsvertrag als Montageleiter auf einer Baustelle in Kasachstan, der mit dem Abschluss dieser Baustelle enden sollte. Nach einer Anfrage der Personalreferentin der Arbeitgeberin des Klägers übersandte die beklagte Verwaltungs-Berufsgenossenschaft der Arbeitgeberin einen Aufsatz "Versicherungsschutz bei Tätigkeiten im Ausland". Form und Inhalt der Anfrage der Arbeitgeberin sowie die Aussagen der Mitarbeiter der Beklagten sind nicht geklärt. Der Kläger selbst hatte keinen Kontakt zur Beklagten. Die Arbeitgeberin stellte keinen Antrag auf Aufnahme in die freiwillige Auslandsunfallversicherung.
Kläger erleidet Sprunggelenksfraktur
Am 2. Dezember 2009 knickte der Kläger in Kasachstan bei einem in der Absicht, die Baustelle aufzusuchen, zurückgelegten Weg mit dem Fuß auf einem mit Schnee bedeckten Weg um und zog sich eine Sprunggelenksfraktur zu. Er wurde zunächst in Kasachstan und ab 14. Dezember 2009 in Deutschland zu Lasten der Beklagten behandelt.
Berufsgenossenschaft verneint Anspruch auf Entschädigungsleistungen
Die Berufsgenossenschaft lehnte "die Gewährung von Entschädigungsleistungen" aufgrund des Unfalls vom 2. Dezember 2009 ab. Der Kläger gehöre nicht zum Kreis der versicherten Personen. Die Voraussetzungen einer Ausstrahlung nach § 4 SGB IV seien nicht erfüllt. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Arbeitgeberin wurde durch Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft hinsichtlich des Versicherungsschutzes im Ausland falsch beraten
Der Kläger rügt mit der Revision, dass das Landessozialgericht einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch annehmen hätte müssen. Seine Arbeitgeberin sei bei seiner Einstellung mit der schwierigen Materie des Unfallversicherungsschutzes im Ausland nicht vertraut gewesen und habe sich deshalb an die Beklagte gewandt. Diese habe seine Arbeitgeberin telefonisch dahingehend beraten, dass er während der Tätigkeit in Kasachstan versichert sei. Im Vertrauen darauf habe seine Arbeitgeberin davon abgesehen, eine Auslandsunfallversicherung abzuschließen. Zwar sei nicht er selbst (unrichtig) beraten worden, es komme aber der Arbeitgeberin zu, zu seinen Gunsten den Auslandsversicherungsschutz zu beantragen und sich insoweit für ihn beraten zu lassen.
BSG verneint Vorliegen eines Arbeitsunfalls
Das Bundessozialgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zu Recht hat das Landessozialgericht entschieden, dass der Kläger bei seinem Sturz am 2. Dezember 2009 in Kasachstan keinen Arbeitsunfall erlitten hat. Der Kläger gehörte nicht zum Kreis der versicherten Personen. Es liegt kein Fall der Einbeziehung in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung im Wege der Ausstrahlung vor. Gemäß § 3 Nr. 1 SGB IV gelten - unter anderem - die Vorschriften über die Versicherungspflicht, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs beschäftigt sind. Diesen Grundsatz erweiternd bestimmt § 4 Abs. 1 SGB IV, dass, soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht eine Beschäftigung voraussetzen, diese auch für Personen gelten, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. Die Vorschrift setzt - neben einem vor dem Auslandsaufenthalt im Inland bestehenden Arbeitsverhältnis und einem im Voraus zeitlich begrenzten Einsatz im Ausland - voraus, dass das Arbeitsverhältnis nach dem Ende der Entsendung im Inland weitergeführt wird. Einer Ausstrahlung des Versicherungsschutzes steht hier entgegen, dass der Kläger und seine Arbeitgeberin weder bei Eingehung des Beschäftigungsverhältnisses noch zum Zeitpunkt der Entsendung Dispositionen trafen, nach denen nach dem Ende der Auslandstätigkeit in Deutschland Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis erbracht werden sollten. Vielmehr sollte das Arbeitsverhältnis mit dem Abschluss der Baustelle in Kasachstan enden.
Arbeitgeberin hätte Antrag auf Aufnahme in freiwillige Auslandsunfallversicherung für Arbeitnehmer stellen können
Gemäß § 140 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB VII können die Unfallversicherungsträger eine Versicherung gegen Unfälle einrichten, die Personen im Zusammenhang mit einer Beschäftigung bei einem inländischen Unternehmen im Ausland erleiden, wenn diese Personen nicht bereits Versicherte im Sinne dieses Buches sind. Die Teilnahme an der Versicherung erfolgt auf Antrag der Unternehmer. Die Arbeitgeberin des Klägers hat diesen Antrag nicht gestellt.
Herstellungsanspruch aufgrund einer fehlerhaften Auskunft kommt mangels Kontaktaufnahme des Klägers mit der Beklagten nicht in Betracht
Der Kläger ist auch nicht nachträglich im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in die Auslandsunfallversicherung einzubeziehen. Ein Herstellungsanspruch aufgrund einer fehlerhaften Auskunft (über den Versicherungsschutz im Ausland) oder einer unzureichenden Beratung (über die Möglichkeit der Auslandsunfallversicherung) kommt nicht in Betracht, weil der Kläger mit der Beklagten vor seinem Auslandsaufenthalt keinen Kontakt hatte. Die Beklagte war gegenüber dem Kläger ohne dessen vorheriges Ersuchen nicht zur Auskunft oder Beratung aufgerufen. Wenn ein Beratungsfehler im Verhältnis zwischen Beklagter und der Arbeitgeberin des Klägers vorlag - was das Landessozialgericht offen gelassen hat -, könnte dies allenfalls dazu führen, dass der Arbeitgeberin ein eigener Herstellungsanspruch zustand. Hierbei wäre aber insbesondere fraglich, inwiefern bei der Arbeitgeberin überhaupt ein sozialrechtlicher Nachteil aufgrund der nicht abgeschlossenen Auslandsunfallversicherung entstanden ist bzw. entstehen konnte. Hinsichtlich eines zumindest denkbaren Herstellungsanspruchs der Arbeitgeberin besteht für den Kläger aber keine gesetzliche Möglichkeit, diesen im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen. Auch ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Arbeitgeberin einen solchen Anspruch an den Kläger abgetreten hätte.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.01.2014
Quelle: Bundessozialgericht/ra-online
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