18.10.2024
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Bundessozialgericht Urteil19.09.2008

Bundes­so­zi­al­gericht: Pflicht zur Vorlage von Kontoauszügen für Empfang von Alg IIAusgabenseite darf allerdings geschwärzt werden

Die beklagte ARGE hatte die Gewährung von Arbeits­lo­sengeld II (Alg II) als Leistung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (nach dem SGB II) versagt, weil der Kläger sich geweigert hatte, eine Kontenübersicht und die Kontoauszüge der letzten drei Monate vorzulegen. Der Kläger hält das Verlangen der Beklagten für unangemessen und unver­hält­nismäßig, weil er zuvor bereits über 13 Monate Leistungen nach dem SGB II erhalten und in seinem Fortzah­lungs­antrag angegeben habe, in den Vermögens- und Einkom­mens­ver­hält­nissen habe sich keine Änderung ergeben. Bestünden keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass zwischen­zeitlich Einnahmen erzielt oder Vermögen angesammelt worden sei, so sei die Forderung nach Vorlage von Kontoauszügen unver­hält­nismäßig. Zudem werde er hierdurch in seinen Rechten auf Sozia­l­da­ten­schutz verletzt.

Das Bundes­so­zi­al­gericht hat entschieden, dass die Beklagte berechtigt war, dem Kläger ab 1. Februar 2006 Alg II wegen fehlender Mitwirkung zu versagen. Eine grundsätzliche Pflicht zur Vorlage der Kontoauszüge, einer Kontenübersicht und der Lohnsteuerkarte folgt aus § 60 I Nr. 3 SGB I. Hiernach hat, wer Sozia­l­leis­tungen beantragt oder erhält, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungs­trägers Beweisurkunden vorzulegen. Die allgemeinen Mitwirkungspflichten gelten grundsätzlich auch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die von der Beklagten geforderten Vorla­ge­pflichten waren auch nicht durch § 65 SGB I eingeschränkt, der Grenzen der Mitwir­kungs­pflicht aufzeigt. Insbesondere kann die Beklagte nicht darauf verwiesen werden, nur im Rahmen eines (Erst-) Antrags die Vorlage von Kontoauszügen etc zu fordern. Eine solche Aufforderung kann auch - wie hier - bei Stellung eines Folgeantrags erfolgen. Ebenso wenig ist die Vorlagepflicht auf konkrete Verdachtsfälle beschränkt. Hinsichtlich der zeitlichen Erstreckung war die Vorlage von Kontoauszügen jedenfalls der letzten drei Monate nicht unver­hält­nismäßig.

Die Vorlagepflicht wird auch durch die Regelungen des Sozia­l­da­ten­schutzes nicht grundsätzlich eingeschränkt. Sowohl nach den speziellen Daten­schutz­vor­schriften des SGB II (§§ 50 ff) als auch nach den allgemeinen Regelungen des Sozia­l­da­ten­schutzes in den §§ 67 ff SGB X ist die Erhebung von geschützten Sozialdaten zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach dem Sozial­ge­setzbuch erforderlich ist. Die Vorlage der Kontoauszüge und einer Kontenübersicht ist in diesem Sinne erforderlich, um die Anspruchs­vor­aus­set­zungen der Grund­si­che­rungs­leis­tungen zu ermitteln und zu überprüfen. Im Einzelfall kann allerdings zweifelhaft sein, ob die Erhebung besonderer Arten perso­nen­be­zogener Daten für die Erfüllung der Aufgaben des Grund­si­che­rungs­trägers erforderlich ist. Hierzu zählen Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerk­schafts­zu­ge­hö­rigkeit oder Sexualleben.

Dies betrifft aber nur die Ausgabenseite (Sollstellung) der Konten­be­we­gungen. Während die Einnahmen jeweils unbegrenzt aus den Kontoauszügen hervorgehen müssen, räumen die Regelungen des Sozia­l­da­ten­schutzes (§ 67 Abs. 12 iVm § 67 a Abs. 1 SGB X) dem Grund­si­che­rungs­emp­fänger die Möglichkeit ein, auf der Ausgabenseite die Empfänger von Zahlungen zu schwärzen oder unkenntlich zu machen, wenn diese Zahlungen besondere perso­nen­be­zogene Daten betreffen (etwa Beiträge für Gewerkschaften, politische Parteien, Religi­o­ns­ge­mein­schaften etc). Die überwiesenen Beträge müssen aber auch in diesen Fällen für den Grund­si­che­rungs­träger erkennbar bleiben. Die Regelungen über den Sozia­l­da­ten­schutz in den §§ 67 ff SGB X greifen auch nicht in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbst­be­stimmung ein.

Der Grund­si­che­rungs­träger ist zwar grundsätzlich gehalten, in seinen Mitwir­kungs­auf­for­de­rungen auf die aufgezeigten Möglichkeiten der Schwärzung von Angaben zu Zahlungs­emp­fängern hinzuweisen. Im vorliegenden Fall kann aber dahinstehen, ob ein unterlassener Hinweis die Aufforderung bereits rechtswidrig macht, denn der Kläger hat sich von vorneherein und prinzipiell geweigert, überhaupt Kontoauszüge vorzulegen bzw mitzuwirken.

§ 60 SGB I:

(1) Wer Sozia­l­leis­tungen beantragt oder erhält, hat 1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungs­trägers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen, 2. … 3. Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungs­trägers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.

Satz 1 gilt entsprechend für denjenigen, der Leistungen zu erstatten hat.

§ 66 SGB I:

1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwir­kungs­pflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungs­be­rechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

(2) …

(3) Sozia­l­leis­tungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungs­be­rechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwir­kungs­pflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

§ 67 a SGB X:

(1) Das Erheben von Sozialdaten durch in § 35 des Ersten Buches genannte Stellen ist zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer Aufgabe der erhebenden Stelle nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist. Dies gilt auch für besondere Arten perso­nen­be­zogener Daten (§ 67 Abs. 12). Angaben über die rassische Herkunft dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen, die sich ausdrücklich auf diese Daten beziehen muss, nicht erhoben werden. Ist die Einwilligung des Betroffenen durch Gesetz vorgesehen, hat sie sich ausdrücklich auf besondere Arten perso­nen­be­zogener Daten (§ 67 Abs. 12) zu beziehen.

§ 67 Abs. 12 SGB X:

Besondere Arten perso­nen­be­zogener Daten sind Angaben über die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, Gewerk­schafts­zu­ge­hö­rigkeit, Gesundheit oder Sexualleben.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 45/08 des BSG vom 19.09.2008

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