18.10.2024
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Sie sehen, wie während einer Hochzeit die Ringe angesteckt werden.

Dokument-Nr. 5929

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Urteil16.04.2008BundesgerichtshofXII ZR 7/05
Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Schwedt, Urteil20.06.2003, 4 F 267/01
  • Oberlandesgericht Brandenburg, Urteil30.11.2004, 10 UF 166/03
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil16.04.2008

BGH zur Verwirkung von Unter­halts­ansprüchen nach Aufnahme einer gleich­ge­schlecht­lichen BeziehungBGH definiert Begriff der "groben Unbilligkeit" i.S.d. § 1579 Nr. 7 BGB und stellt klar, dass es nicht darauf ankommt, ob eine heterosexuelle oder eine gleich­ge­schlechtliche Lebens­ge­mein­schaft begründet wird

Ein Ehegatte kann dann wegen "grober Unbilligkeit" keinen Trennungs­un­terhalt verlangen, wenn er aus einer intakten Ehe ausbricht, die zu diesem Zeitpunkt nicht bereits aus anderen Gründen gescheitert war. Das hat der Bundes­ge­richtshof entschieden. Ausdrücklich wies er darauf hin, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Ehepartner eine heterosexuelle oder gleich­ge­schlechtliche Lebens­ge­mein­schaft begründet.

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, ob eine Ehefrau den Anspruch auf Trennungsunterhalt verwirken kann, wenn sie eine gleichgeschlechtliche Lebens­ge­mein­schaft aufnimmt.

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Ehemann, auf Zahlung von Trennungs­un­terhalt in Anspruch. Sie hatte diesen nach etwa 26jähriger Ehe, aus der fünf Kinder hervorgegangen sind, aufgrund ihrer sexuellen Umorientierung und gleich­ge­schlecht­lichen Neigungen verlassen und war zu einer Freundin gezogen, zu der sie einige Zeit darauf auch eine intime Beziehung aufnahm. Im Zeitpunkt der Trennung lebten die jüngsten Kinder noch im Haushalt der Parteien; sie blieben nach dem Auszug der Klägerin bei dem Beklagten.

Amtsgericht lehnte Trennungs­un­terhalt wegen grober Unbilligkeit ab

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf ihre Berufung ist der Klägerin der begehrte Trennungs­un­terhalt teilweise zugesprochen worden. Das Berufungs­gericht hat die Auffassung vertreten, die Inanspruchnahme des Beklagten sei nicht grob unbillig im Sinne des § 1579 BGB. Dabei könne dahinstehen, ob die Ehe beim Auszug der Klägerin bereits zerrüttet gewesen sei. Jedenfalls sei die Abkehr der Klägerin von der Ehe nicht ohne objektiven Grund, sondern aus verständlichen Motiven erfolgt, so dass es an der Voraussetzung des "Ausbruchs aus der Ehe" als Anwendungsfall des § 1579 Nr. 7 BGB fehle.

Die vom Oberlan­des­gericht zugelassene Revision, mit der der Beklagte weiterhin Klageabweisung begehrte, hatte Erfolg.

BGH definiert Begriff der "groben Unbilligkeit"

Der Tatbestand des § 1579 Nr. 7 BGB, der ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei dem Berechtigten liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten voraussetzt, kann erfüllt sein, wenn der Berechtigte gegen den Willen des anderen Ehegatten eine eheähnliche Gemeinschaft begründet oder ein nachhaltiges, auf längere Dauer angelegtes intimes Verhältnis zu einem anderen Partner aufnimmt. Darin ist eine so schwerwiegende Abkehr von den ehelichen Bindungen zu sehen, dass nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit, der dem ehelichen Unterhaltsrecht zugrunde liegt, die Inanspruchnahme des anderen Ehegatten auf Unterhalt grob unbillig erscheint. Der entscheidende Gesichtspunkt für die Annahme eines Härtegrundes ist dabei nicht in der Trennung als solcher zu sehen; es steht dem Unter­halts­be­rech­tigten frei, die eheliche Lebens­ge­mein­schaft aufzuheben. Wesentlich ist vielmehr, dass er sich zu seinem Verhalten in Widerspruch setzt, wenn er sich einerseits aus den ehelichen Bindungen löst, andererseits aber die eheliche Solidarität durch ein Unter­halts­be­gehren einfordert. Insofern wird das Prinzip der Gegenseitigkeit verletzt, wenn der Berechtigte sich gegen den Willen seines Ehegatten einem anderen Partner zuwendet und jenem die dem Ehegatten geschuldete Hilfe und Fürsorge zuteil werden lässt. Eine in dieser Weise erfolgte Abkehr von der Ehe, die vor allem in der Begründung einer eheähnlichen Gemeinschaft oder der Aufnahme eines nachhaltigen, auf längere Dauer angelegten intimen Verhältnisses liegen kann, führt dazu, dass die Inanspruchnahme des anderen Ehegatten auf Unterhalt grob unbillig erscheint.

Dabei ist es regelmäßig nicht von Bedeutung, ob der Berechtigte sich im unmittelbaren Anschluss an die Trennung einem anderen Partner in der vorgenannten Art zuwendet, oder ob dies erst zu einem späteren Zeitpunkt des Getrenntlebens geschieht. Wesentlich ist vielmehr, ob das Verhalten des Berechtigten für das Scheitern der Ehe ursächlich war. Das wäre etwa dann nicht der Fall, wenn die Aufnahme der Beziehung erst zu einem Zeitpunkt erfolgte, als der Verpflichtete sich seinerseits bereits von seinem Ehegatten abgewandt hatte.

Sexuelle Ausrichtung ist für die Beurteilung der "groben Unbilligkeit" unbeachtlich

Diese Beurteilung gilt für den Tatbestand des § 1579 Nr. 7 BGB unabhängig davon, ob der Berechtigte eine heterosexuelle oder eine gleich­ge­schlechtliche Lebens­ge­mein­schaft begründet oder zu einem Mann oder einer Frau ein nachhaltiges, auf Dauer angelegtes intimes Verhältnis aufnimmt. Das bedeutet nicht, dass die sexuelle Umorientierung des Berechtigten unter­halts­rechtlich sanktioniert wird. Die Entwicklung gleich­ge­schlecht­licher Neigungen und die deshalb vorgenommene Trennung bleiben dem Berechtigten unbenommen. Die Annahme eines Härtegrundes ist erst dann gerechtfertigt, wenn er sich unter Abkehr von der Ehe einem anderen Partner zuwendet. Insofern gewährleistet § 1579 BGB die Verfas­sungs­mä­ßigkeit des verschul­den­su­n­ab­hängigen Unter­halts­rechts. Die Grenze der Zumutbarkeit eines schul­du­n­ab­hängigen Unter­halts­an­spruchs würde dort überschritten, wo ein getrennt lebender oder geschiedener Ehegatte Unter­halts­ansprüche seines Partners zu erfüllen hätte, obwohl dieser sich ganz bewusst von jeglichen ehelichen Bindungen gelöst hat. In einem solchen Fall wäre die mit der Inanspruchnahme verbundene Beschränkung der Dispo­si­ti­o­ns­freiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich nicht mehr verfas­sungsgemäß. Für den Verpflichteten macht es insofern keinen maßgeblichen Unterschied, ob sein Ehegatte eine Beziehung zu einem Mann oder zu einer Frau aufgenommen hat. Andererseits stellt sich das Fehlverhalten des Berechtigten nicht deshalb in einem milderen Licht dar, weil er einen gleich­ge­schlecht­lichen neuen Partner gewählt hat.

BGH hebt das Urteil des Oberlan­des­ge­richts auf und weist die Sache zwecks weiterer Feststellungen zurück

Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin ein schwerwiegendes, eindeutig bei ihr liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten zur Last fällt. Hierfür wird es auf die vom Berufungs­gericht offengelassene Frage ankommen, ob sich die Trennung der Klägerin als Ausbruch aus einer intakten Ehe darstellt oder ob die Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits aus anderen Gründen gescheitert war. Sollte Letzteres der Fall gewesen sein, läge ein schwerwiegendes, eindeutig der Klägerin anzulastendes Fehlverhalten nicht vor. Die Sache war deshalb an das Berufungs­gericht zurück­zu­ver­weisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholen kann. Sollte das Berufungs­gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Tatbestand des § 1579 Nr. 7 BGB erfüllt ist, wird es in einem weiteren Schritt zu beurteilen haben, inwieweit der Unterhaltsanspruch der Klägerin unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Ehedauer und der fünf gemeinsamen Kinder, zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 78/08 des BGH vom 17.04.2008

der Leitsatz

BGB §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 7 n.F.

Für die Frage, ob die Aufnahme einer neuen Beziehung durch den Unter­halts­be­rech­tigten einen Härtegrund im Sinne von § 1579 Nr. 7 i.V.m. § 1361 Abs. 3 BGB darstellt, kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine gleich­ge­schlechtliche oder eine heterosexuelle Beziehung handelt.

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