23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen einen Vertrag, der gerade unterzeichnet wird und davor die ilhouetten von zwei Personen.

Dokument-Nr. 31727

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Urteil04.05.2022BundesgerichtshofXII ZR 64/21
Vorinstanzen:
  • Landgericht Essen, Urteil16.03.2021, 15 S 164/20
  • Amtsgericht Gelsenkirchen, Urteil09.11.2020, 409 C 215/20
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil04.05.2022

BGH: Kunde kann während Corona-Lockdown gezahlten Fitness­stu­dio­beitrag zurückverlangenBGH zur Zahlungspflicht bei coronabedingter Schließung eines Fitnessstudios - § 313 BGB wegen Art. 240 § 5 EGBGB nicht anwendbar

Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundes­ge­richtshofs hatte die Frage zu entscheiden, ob die Betreiberin eines Fitness-Studios zur Rückzahlung von Mitglieds­bei­trägen verpflichtet ist, welche sie in der Zeit, in der sie ihr Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen musste, von einem Kunden per Lastschrift eingezogen hat.

Die Parteien schlossen am 13. Mai 2019 einen Vertrag über die Mitgliedschaft im Fitnessstudio der Beklagten mit einer Laufzeit von 24 Monaten, beginnend ab dem 8. Dezember 2019. Der monatliche Mitgliedsbeitrag, der im Lastschrift­ver­fahren eingezogen wurde, betrug 29,90 € nebst einer halbjährigen Service­pau­schale. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie musste die Beklagte das Fitnessstudio in der Zeit vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020 schließen. Die Monatsbeiträge für diesen Zeitraum zog sie weiterhin vom Konto des Klägers ein. Eine vom Kläger mit Schreiben vom 7. Mai 2020 erklärte Kündigung seiner Mitgliedschaft zum 8. Dezember 2021 wurde von der Beklagten akzeptiert. Mit Schreiben vom 15. Juni 2020 verlangte der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung der per Lastschrift eingezogenen Mitglieds­beiträge für den Zeitraum vom 16. März 2020 bis 4. Juni 2020. Nachdem eine Rückzahlung nicht erfolgte, forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm für den Schlie­ßungs­zeitraum einen Wertgutschein über den eingezogenen Betrag auszustellen. Die Beklagte händigte dem Kläger keinen Wertgutschein aus, sondern bot ihm eine "Gutschrift über Trainingszeit" für den Zeitraum der Schließung an. Dieses Angebot nahm der Kläger nicht an.

Revision blieb erfolglos

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Rückzahlung der Monatsbeiträge für den Schlie­ßungs­zeitraum in Höhe von 86,75 € nebst Zinsen und außer­ge­richt­licher Rechts­an­walts­kosten verurteilt. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht zurückgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision, mit der die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen wollte, hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des Bundes­ge­richtshof

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass der Kläger gemäß §§ 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 346 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung der für den Zeitraum der Schließung entrichteten Monatsbeiträge hat. Diesem Rückzah­lungs­an­spruch des Klägers kann die Beklagte nicht entgegenhalten, der Vertrag sei wegen Störung der Geschäfts­grundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertrags­laufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert wird.

Rechtliche Unmöglichkeit der vertraglichen Haupt­leis­tungs­pflicht

Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Rechtliche Unmöglichkeit ist gegeben, wenn ein geschuldeter Erfolg aus Rechtsgründen nicht herbeigeführt werden kann oder nicht herbeigeführt werden darf. So liegt der Fall hier. Während des Zeitraums, in dem die Beklagte aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ihr Fitnessstudio schließen musste, war es ihr rechtlich unmöglich, dem Kläger die Möglichkeit zur vertragsgemäßen Nutzung des Fitnessstudios zu gewähren und damit ihre vertraglich geschuldete Haupt­leis­tungs­pflicht zu erfüllen.

Hindernis nicht nur vorübergehend

Obwohl die Beklagte das Fitnessstudio im Hinblick auf die zeitliche Befristung der Corona-Schutzmaßnahmen lediglich vorübergehend schließen musste, liegt kein Fall einer nur vorübergehenden Unmöglichkeit vor, die von § 275 Abs. 1 BGB nicht erfasst würde. Ein nur zeitweiliges Erfül­lungs­hin­dernis ist dann einem dauernden gleichzustellen, wenn durch das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen. Wird - wie im vorliegenden Fall - für einen Fitnessstudiovertrag eine mehrmonatige feste Vertrags­laufzeit gegen Zahlung eines monatlich fällig werdenden Entgelts vereinbart, schuldet der Betreiber des Fitnessstudios seinem Vertragspartner die Möglichkeit, fortlaufend das Studio zu betreten und die Trainingsgeräte zu nutzen.

Zweckbezogene Besonderheiten

Der Zweck eines Fitness­stu­dio­vertrags liegt in der regelmäßigen sportlichen Betätigung und damit entweder in der Erreichung bestimmter Fitnessziele oder zumindest der Erhaltung von Fitness und körperlicher Gesundheit. Aufgrund dessen sind für den Vertragspartner gerade die regelmäßige und ganzjährige Öffnung und Nutzbarkeit des Studios von entscheidender Bedeutung. Kann der Betreiber des Fitnessstudios während der vereinbarten Vertrags­laufzeit dem Vertragspartner die Nutzungs­mög­lichkeit des Studios zeitweise nicht gewähren, etwa weil er - wie hier - das Fitnessstudio aufgrund der hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie schließen muss, kann dieser Vertragszweck für den Zeitraum der Schließung nicht erreicht werden. Die von dem Betreiber geschuldete Leistung ist deshalb wegen Zeitablaufs nicht mehr nachholbar.

§ 313 BGB nicht anwendbar

Zu Recht hat das Berufungs­gericht auch angenommen, dass die Beklagte dem Rückzah­lungs­an­spruch des Klägers nicht entgegenhalten kann, der Vertrag sei wegen Störung der Geschäfts­grundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB dahingehend anzupassen, dass sich die vereinbarte Vertrags­laufzeit um die Zeit, in der das Fitnessstudio geschlossen werden musste, verlängert wird. Eine solche Vertragsanpassung wird zwar in der insta­nz­ge­richt­lichen Rechtsprechung teilweise vertreten. Diese Auffassung verkennt jedoch das Konkur­renz­ver­hältnis zwischen § 275 Abs. 1 BGB und § 313 BGB. Eine Anpassung vertraglicher Verpflichtungen an die tatsächlichen Umstände kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn das Gesetz in den Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung die Folge der Vertragsstörung bestimmt. Daher scheidet eine Anwendung des § 313 BGB aus, soweit - wie im vorliegenden Fall - der Tatbestand des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt ist.

Spezi­al­ge­setzliche Regelung in Art. 240 § 5 EGBGB

Ein Anspruch der Beklagten auf die begehrte Vertrags­an­passung scheidet auch deshalb aus, weil mit Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB eine speziellere Vorschrift besteht, die im vorliegenden Fall einem Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze zur Vertrags­an­passung wegen Störung der Geschäfts­grundlage entgegensteht. Grundsätzlich ist eine Vertrags­an­passung wegen Störung der Geschäfts­grundlage nach § 313 BGB nicht möglich, wenn der Gesetzgeber das Risiko einer Geschäfts­grund­la­gen­störung erkannt und zur Lösung der Problematik eine spezielle gesetzliche Vorschrift geschaffen hat. Bei der durch Art. 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veran­stal­tungsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE) vom 15. Mai 2020 mit Wirkung vom 20. Mai 2020 (BGBl. I S. 948) eingeführten Vorschrift des Art. 240 § 5 EGBGB handelt es sich um eine solche spezi­al­ge­setzliche Regelung, die in ihrem Anwen­dungs­bereich dem § 313 BGB vorgeht.

Hintergrund der Regelung

Zur Zeit der Schaffung dieser Vorschrift mussten aufgrund der umfangreichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und der damit verbundenen Veran­stal­tungs­verbote und Kontakt­be­schrän­kungen eine Vielzahl von Veranstaltungen abgesagt und Freizei­t­ein­rich­tungen vorübergehend geschlossen werden. Daher konnten vielfach bereits erworbene Eintrittskarten nicht eingelöst werden. Ebenso konnten Inhaber einer zeitlichen Nutzungs­be­rech­tigung für eine Freizei­t­ein­richtung diese für eine gewisse Zeit nicht nutzen. Der Gesetzgeber befürchtete, dass die rechtliche Verpflichtung der Veranstalter oder Betreiber, bereits erhaltene Eintrittspreise oder Nutzungs­entgelte zurückerstatten zu müssen, bei diesen zu einem erheblichen Liqui­di­täts­abfluss führen würde, der für viele Unternehmen im Veran­stal­tungs­bereich eine existenz­be­drohende Situation zur Folge haben könnte. Zudem sah der Gesetzgeber die Gefahr, dass Insolvenzen von Veran­stal­tungs­be­trieben auch nachteilige Folgen für die Gesamt­wirt­schaft und das kulturelle Angebot in Deutschland haben könnten.

"Gutscheinlösung" des Gesetzgebers

Um diese unerwünschten Folgen nach Möglichkeit zu verhindern, wollte der Gesetzgeber mit Art. 240 § 5 EGBGB für Veran­stal­tungs­verträge, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden, eine Regelung schaffen, die die Veranstalter von Freizeit­ver­an­stal­tungen vorübergehend dazu berechtigt, den Inhabern von Eintrittskarten statt der Erstattung des Eintritts­preises einen Gutschein in Höhe des Eintritts­preises auszustellen (Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB), sofern die Veranstaltung aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte. Durch Art. 240 § 5 Abs. 2 EGBGB wurde dem Betreiber einer Freizei­t­ein­richtung ebenfalls das Recht eingeräumt, dem Nutzungs­be­rech­tigten einen Gutschein zu übergeben, der dem Wert des nicht nutzbaren Teils der Berechtigung entspricht.

Abschließender Charakter der Regelung

Durch diese "Gutscheinlösung" hat der Gesetzgeber unter Berück­sich­tigung der Interessen sowohl der Unternehmer im Veranstaltungs- und Freizeitbereich als auch der Interessen der Kunden eine abschließende Regelung getroffen, um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungs- und Freizeitbereich abzufangen. Eine Vertrags­an­passung nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäfts­grundlage findet daneben nicht statt.

Die maßgeblichen Normen lauten wie folgt:

§ 275 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

(4) Die Rechte des Gläubigers bestimmen sich nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326.

§ 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berück­sich­tigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risiko­ver­teilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. […]

§ 326 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)

(1) Braucht der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung; bei einer Teilleistung findet § 441 Abs. 3 entsprechende Anwendung. Satz 1 gilt nicht, wenn der Schuldner im Falle der nicht vertragsgemäßen Leistung die Nacherfüllung nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu erbringen braucht. [...]

(4) Soweit die nach dieser Vorschrift nicht geschuldete Gegenleistung bewirkt ist, kann das Geleistete nach den §§ 346 bis 348 zurückgefordert werden.

Art. 240 § 5 des Einfüh­rungs­ge­setzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch

(1) Wenn eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeit­ver­an­staltung aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte oder kann, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Eintrittskarte oder sonstigen Teilnah­me­be­rech­tigung anstelle einer Erstattung des Eintritts­preises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. [...]

(2) Soweit eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizei­t­ein­richtung aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen war oder ist, ist der Betreiber berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Nutzungs­be­rech­tigung anstelle einer Erstattung des Entgelts einen Gutschein zu übergeben.

(...)

(5) Der Inhaber eines nach den Absätzen 1 oder 2 ausgestellten Gutscheins kann von dem Veranstalter oder Betreiber die Auszahlung des Wertes des Gutscheins verlangen, wenn

1. der Verweis auf einen Gutschein für ihn angesichts seiner persönlichen Lebensumstände unzumutbar ist oder

2. er den Gutschein bis zum 31. Dezember 2021 nicht eingelöst hat.

Quelle: Bundesgerichtshof, ra-online (pm/cc)

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